Ein beleuchteter Messeaufbau mit Werbetafel, Aufschrift: „RT“

Das Logo von „Russia Today“ an einem Messestand auf dem St. Petersburg International Economic Forum im Juni 2022 Foto: Sefa Karacan/AA/picture alliance

Russia Today von Luxemburger Firma unterstützt:Kriegsspiele gegen EU-Sanktionen

Russia Today verbreitet weiter Moskaus Propaganda in der EU. Eine Luxemburger Firma hilft mit einem deutschen Server. Eine Recherche von CORRECTIV und taz.

17.2.2023, 11:00  Uhr

André Reitenbach ist nicht nur Informatiker, er interessiert sich auch fürs Gaming. Für Krieg spielen im Internet. Er sei „ein umsichtiger Mitarbeiter mit einer ausgeprägten Problemlösungskompetenz“, schreibt ein offenbarer Kollege von ihm auf seinem LinkedIn-Profil. „Loyal, intelligent und ehrgeizig“.

Reitenbach hat die Firma GCore Labs S.A. großgezogen, die die Server für eines der erfolgreichsten Online-Kriegsspiele gestellt hat: World of Tanks, ein Panzerspiel, produziert vom Spieleentwickler Wargaming.net.

Doch Reitenbach hat seit dem russischen Angriffskrieg ein Problem. Seine Firma ist offenbar für die Verbreitung russischer Propaganda in Deutschland mitverantwortlich. Propaganda, die von der Europäischen Union sanktioniert wurde. Konkret: Russia Today, der russische Auslandssender des Staates. Die Firma GCore bestreitet die Vorwürfe.

Die EU hat auf den russischen Einmarsch in die Ukraine mit dem größten Sanktionspaket in ihrer Geschichte reagiert. Darunter waren Handelsverbote, Finanzsanktionen – und ein Verbot von Russia Today. Die EU wolle, begründete die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen, den „Sprachrohren des Kreml nicht länger gestatten, ihre toxischen Lügen zu verbreiten, um Putins Krieg zu rechtfertigen und zu versuchen, unsere Union zu spalten“.

Russia Today sendet weiter

Russia Today darf in der EU nicht mehr verbreitet werden. Weder die Texte, noch die Videos, Podcasts, Streams und Webseiten. Alle Unternehmen, die Russia Today dabei helfen, zu senden, machen sich strafbar. Das gilt für die Telekom genauso wie für Telegram.

Einen ganzen Fernsehsender samt seinen Webseiten zu verbieten, das hat es in Europa so noch nie gegeben. Unter Fachleuten sind die Sanktionen umstritten: Einige sehen die Presse- und Meinungsfreiheit bedroht, andere ärgern sich, dass Putin den Schritt für sich nutzen konnte und westliche Medien verbannte.

Knapp ein Jahr nach Beginn des Krieges zeigen Recherchen von taz und CORRECTIV: Die Sanktionen werden einfach umgangen. RT sendet übers Netz weiter in Europa, auf Russisch, Englisch, Spanisch und Deutsch. Bis heute ist unklar, wer das Sendeverbot eigentlich durchsetzt, Behörden ducken sich weg.

Plattformen wie Youtube und Twitter blockieren den Sender in Europa. Aber die Inhalte von RT sind – beispielsweise über alternative Domainnamen – weiterhin zu erreichen. Doch wie kommen die Videos von Russland auf einen Computer in, sagen wir, Mannheim?

Hier kommt André Reitenbach ins Spiel. Seine Firma GCore sitzt in Luxemburg und verteilt große Bild- und Videodateien im Internet. Etwa, wenn 190.000 Menschen gleichzeitig Kriegsspiele spielen. So viele waren es laut World of Tanks im Jahr 2013. Oder wenn viele in Europa Kriegspropaganda aus Russland empfangen möchten. Dieses System nennt sich CDN, Content Delivery Network, also quasi Inhalts-Verteilungs-Netzwerk.

Mitarbeiter bietet Medwedew Geheimdienstzugang an

Der Sinn hinter solchen Netzwerken ist es, große Dateien auf der ganzen Welt schneller auszuliefern. Eine Video-Datei von Russia Today beispielsweise nimmt dann nicht den weiten Weg von Moskau aus, sondern eine Kopie des Videos wird von einem Server in Deutschland aus verteilt.

Mit Reitenbach wollten wir eigentlich reden, baten ihn mehrmals um ein Gespräch. Die indirekte Antwort: Gleich nach der Anfrage wird das Internet wie von Zauberhand aufgeräumt. Nach unseren Anfragen ändern sich Netz-Einstellungen, die von Russia Today auf Reitenbachs Firma verweisen. Auch ein Video verschwindet von Youtube.

Eine Grafik: Von einem Server mit Russlandflagge gehen Pfeile ab zu kleineren Servern, von da zu Laptops und Handys

CDN steht für Content Delivery Network. Es verteilt große Bild- und Videodateien im Internet Foto: Nina Bender, CORRECTIV. Vektoren von sentavio & fullvector/Freepik

Jenes Video zeigt, wie der damalige Chef von GCore Russland, Michael Shurygin, vermutlich im April 2021 mit dem ehemaligen russischen Präsidenten Dimitrij Medwedew Pläne schmiedet.

Medwedew ist nicht irgendwer. Er ist einer der mächtigsten Menschen im Kreml und Vertrauter Putins. Und Shurygin beeindruckt Medwedew. Er bringt ihn zum Lachen. Sie seien sehr erfolgreich mit GCore, sagt Shurygin und zeigt eine Präsentation mit GCore-Logo.

Im Gespräch geht es um die Kontrolle der Märkte in Indien, in Kasachstan, Europa. Und dann trifft Shurygin zwei Aussagen, die nur als Anbiederung an den autoritären russischen Staat verstanden werden können. Erstens erklärt er gegenüber Medwedew: Es wäre gut, wenn alle in Russland auch nur russische Dienste nutzen dürften, denn die würden mit den Sicherheitsbehörden zusammenarbeiten, anders als die amerikanischen Anbieter. Übersetzt heißt das: Shurygin wirbt im Namen von GCore bei Medwedew mit weitreichenden Eingriffsmöglichkeiten für den russischen Staat.

Russland könne Luxemburg unterwandern. Und sie lachen.

Zweitens macht Shurygin einen Witz, der einen vor dem Hintergrund von russischer Spionage in Europa aufhorchen lässt: Eine neue Software für Online-Arztgespräche liefe gut an, sagt Shurygin, sie hätten sie in Luxemburg „eingeführt“. Die Runde lacht. Shurygin hatte einen Sprachwitz gemacht, der nur im Russischen funktioniert: „Eingeführt“ also внедрять, vnedryat', ist doppeldeutig. Es kann auch als „eindringen“ oder „unterwandern“ verstanden werden. Sie hätten also Luxemburg unterwandert. Medwedew sagt: „Ich hoffe, im Auftrag des Staates“. Und sie lachen nochmal.

Auf eine Anfrage hat Michael Shurygin nicht reagiert.

André Reitenbach wollte nicht persönlich mit uns sprechen, dafür antwortet das PR-Team seiner Firma schriftlich auf Fragen. Man wolle betonen, schreibt es, dass GCore Russlands unprovozierte und ungerechtfertigte militärische Aggression in der Ukraine aufs Schärfste verurteile. „GCore pflegt keine Beziehungen zum russischen Staat“ und „hat auch keine geschäftliche Beziehung mit Russia Today“.

Content Delivery Netzwerke, wie GCore sie anbiete, seien ein wesentlicher Bestandteil der technischen Infrastruktur des Internets, schreibt das Team weiter. „GCore lädt keine eigenen Inhalte ins Internet und speichert diese auch nicht“. Auf die Ursprungsserver, auf denen diese Inhalte gespeichert seien, habe GCore keinen Einfluss. Zudem könne und würde GCore die Daten, die durch ihr Netzwerk laufen, nicht in Echtzeit überwachen. Das Unternehmen handele aber „so schnell wie möglich, wenn es von verletzenden oder anderweitig illegalen Inhalten erfährt“.

Kurz heißt das: GCore versucht, die Verantwortung von sich zu schieben.

Unsere Recherchen zeigen: Inhalte, die GCore weiterleitet, sind von Russia Today. Das ist in der EU seit März 2022 illegal. Und: Die Firma müsste das wissen, bereits kurz vor Einführung der EU-Sanktionen wurde öffentlich auf Twitter über die Verbindung geschrieben.

Das digitale Schattenspiel

Um es konkret – und etwas technischer – zu machen: Am 16. Januar veröffentlichte Russia Today beispielsweise eine kurze Videoreportage aus der Ostukraine, in dem die russische Söldner-Truppe Gruppe Wagner heroisiert und das ukrainische Militär dämonisiert wird. Bei einem Abruf von Deutschland aus sieht es zunächst so aus, als stamme das Video aus Russland. Der Domainname mf.b37mrtl.ru liest sich kryptisch, hat aber die Endung RU für Russland und verweist mit MF am Anfang auf die Firma Megafon aus Moskau.

Der Clou: Tatsächlich wird das Video aus Deutschland übertragen. Nachvollziehen lässt sich das mit der IP-Adresse. Die ist so etwas wie der Herkunftsstempel auf einem Ei im Supermarkt. Die IP-Adresse der Domain des Videos führt nach Frankfurt und gehört GCore. Das ließ sich mit vielen der englischsprachigen Medieninhalte von rt.com durchspielen: Videos und Podcasts, gehostet in Frankfurt durch GCore.

Anfang Februar aber ändern sich plötzlich die technischen Daten hinter den RT-Videos: Wenige Tage, nachdem wir André Reitenbach erstmals um ein Gespräch bitten, verweist die IP-Adresse der Domain des Videos über die Wagner-Truppe in der Ostukraine nun nicht mehr auf GCore, sondern direkt nach Russland. Der gleiche Domainname, über den das Video nach wie vor im Internet abrufbar ist, hat nun eine andere IP-Adresse: eingetragen auf die Firma Megafon, einen der größten russischen Mobilfunkanbieter. Im Jahr 2019 hatte Megafon auf der eigenen Webseite über den Start einer Partnerschaft mit GCore berichtet.

Wurden die IP-Adressen nach unserer Anfrage absichtlich geändert, um Verbindungen von RT, Megafon und GCore zu verschleiern? GCore bestreitet das. Russia Today und Megafon haben bis Redaktionsschluss nicht auf unsere Anfrage reagiert.

Das Labyrinth der EU-Sanktionen

Zurück nach Europa. Weshalb kann eine Firma wie GCore in der EU Verbindungen nach Russland pflegen und durch das Verbreiten von Russia Today offensichtlich Sanktionen verletzen?

Verantwortlich dafür, die Sanktionen durchzusetzen, sind die jeweiligen Mitgliedstaaten. Da GCore in Luxemburg sitzt, sind dort die Behörden zuständig. Allgemein ist die Sache klar: Auch eine Firma, die Server für die schnellere Verbreitung bietet, dürfte Russia Today nicht helfen, heißt es vom luxemburgischen Staatsministerium. „Von den aktuellen EU-Sanktionen sind sie ebenfalls betroffen. So wie es bei Hosting-Diensten oder Broadcast-Diensten der Fall ist, dürfen auch CDNs die Verbreitung solcher Inhalte weder ermöglichen noch in irgendeiner Art und Weise unterstützen.“ Die Strafe liege bei einem Verstoß bei bis zu 5 Jahren Haft oder 250.000 Euro Bußgeld. Allerdings: Im Falle von Reitenbach und seiner Firma GCore ist bis heute nichts passiert.

Eine Grafik: In Russland steht ein hoher Server und ist verbunden mit kleineren Servern auf der ganzen Welt

Die Verbreitung von Russia Today ist in Europa verboten – und geschieht trotzdem Foto: Nina Bender, CORRECTIV. Vektoren von sentavio & fullvector/Freepik

In Deutschland werden die Sanktionen auch nur behäbig durchgesetzt. Nicht zuletzt, weil ein Jahr nach ihrer Ankündigung ihre Durchsetzung wie eine heiße Kartoffel von Amt zu Amt geworfen wird.

Zunächst informiert die Bundesnetzagentur die Netzbetreiber: Sie dürfen die Webseite von RT sperren. Trotz Netzneutralität, einer Art Gleichbehandlungsgebot für Daten. Tatsächlich: Die meisten Unternehmen sperren.

Doch das Amt schreibt von dürfen. Wer ist aber nun zuständig für die Server in Frankfurt, über die GCore Russia Today-Videos ausgeliefert hat? Wer hat die Pflicht, die Verantwortung?

Sanktionsdurchsetzung: niemand ist zuständig

Vielleicht die „Taskforce zur Umsetzung der Sanktionen gegen Russland“ im Finanzministerium des liberalen Christian Lindner? Nein, erklärt ihr Sprecher, nur Finanzsanktionen, kein Russia Today. Er verweist an die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien.

Claudia Roth also? Auch nicht zuständig, schreibt deren Büro. Es gibt aber telefonisch einen Tipp: Vielleicht die Landesmedienanstalten mit ihrer Dachorganisation, der Kommission für Zulassung und Aufsicht, kurz: ZAK.

ZAK klingt gut. Schnell, effektiv. Doch die ZAK wiegelt ab. Die Medienanstalten seien nur für Lineares zuständig, schreibt die Sprecherin, sowie für nicht-lineare einfache und rundfunkähnliche Telemedien. Das mag zwar so klingen wie Russia Today, aber sie schreibt, die Durchsetzung der Sanktion unterliege dem Zoll.

Es gibt bei der Generalzolldirektion seit dem 2. Januar die Zentralstelle für Sanktionsdurchsetzung (ZfS), die Sanktionsbrüche recherchieren und an die Staatsanwaltschaften melden soll. Doch ihr Sprecher spricht: Der Zoll sei nur für die Finanz- und Wirtschaftssanktionen zuständig, nicht für das Verbreitungsverbot von Russia Today.

Was wäre Deutschland ohne das Wirtschaftsministerium, das weiß, wer zuständig ist: Generell, für alle Sanktionen, die Bundesbank, das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle – und: die neue Zentralstelle für Sanktionsdurchsetzung beim Zoll, unterstellt dem Finanzministerium von Christian Lindner. Womit wir wieder am Anfang wären.

Verstoß gegen EU-Sanktionen ist deutlich

Julia Grauvogel überrascht das Hin und Her nicht. Sie forscht zu internationalen Sanktionen am Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien in Hamburg. Für sie ist das, was GCore macht, illegal. „Die Inhalte von Russia Today zu verbreiten, verstößt gegen die EU-Sanktionen“, sagt sie. Nur, wie sinnvoll sind Sanktionen, die nicht durchgesetzt werden?

„Die Frage ist, welche Ziele mit Sanktionen verfolgt werden“, sagt Grauvogel. „Geht es nur darum, dass RT nicht zugängig ist? Oder geht es auch darum, das Signal zu senden, dass russische Propaganda nicht ungehindert verbreitet werden darf? Das zumindest haben die Sanktionen geschafft.“

Tatsächlich sind die Zugriffszahlen aus Europa auf die Webseiten von RT stark zurückgegangen, haben britische Forschende beobachtet.

Die Chefin von Russia Today Deutsch hat Anfang Februar angekündigt, dass sich der Sender aus Deutschland zurückziehen werde. Allerdings nicht wegen des Verbreitungsverbots, sondern weil ihnen das neueste EU-Sanktionspaket die Finanzierung entzogen hat. Trotzdem, schreibt die Chefin von RT DE bei Telegram: Die Webseite und der Sender RT DE werden weiterbetrieben, von Moskau aus.

Die Propaganda-Videos sind also weiter in Deutschland abrufbar. Ohne Hilfe von André Reitenbach und GCore aber würde das nicht so schnell laufen. Sofern es kein unentgeltlicher Freundschaftsdienst ist, scheint seine Firma daran also auch ein Jahr nach Beginn der russischen Invasion in die Ukraine mitzuverdienen – mindestens über Umwege. Öffentlicher Antikriegs-Äußerungen zum Trotz, hat GCore auch weiterhin Verbindungen nach Russland. Während Luxemburg bezüglich des Sanktionsbruchs deutlich ist, werden sich die Behörden in Deutschland einigen müssen, wer überhaupt zuständig ist. Und Reitenbach wird verstehen müssen, dass dieser Krieg keine Simulation mehr ist.

Hinweis

Im Zuge einer rechtlichen Auseinandersetzung hatte die taz den Text zeitweise offline gestellt. Nach einem Urteil des Hanseatisches Oberlandesgericht in Hamburg hat die taz den Text am 8. Mai 2024 wieder online gestellt. Ein Absatz, der sich auf eine ehemalige Tochterfirma von G-Core bezog, wurde aus rechtlichen Gründen gestrichen.

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