Runder Tisch im Schloss Bellevue: Emotionen in Zeiten des Terrors

Bundespräsident Steinmeier hat bei einem Treffen zum Krieg in Nahost Zeichen gegen Antisemitismus gefordert – auch von arabischer Seite.

Frank-Walter Steinmeier umarmt Margot Friedländer

Margot Friedländer am Mittwoch im Schloss Bellevue beim Bundespräsidenten Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

„Ich weiß es nicht, warum die Menschen nichts gelernt haben.“ Dieser Satz hat an diesem 9. November eine neue Bedeutung bekommen. Gesagt hat ihn Margot Friedländer, Holocaust-Überlebende, 102 Jahre alt. Gerichtet ist er an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, an die Ver­tre­te­r:in­nen arabischer, palästinensischer, jüdischer Communitys.

Sie sind wie Friedländer einen Tag vor dem Gedenken an die Reichspogromnacht ins Schloss Bellevue gekommen, um der Sprachlosigkeit zu weichen, um über Hass, Hetze und Antisemitismus zu reden, die seit dem 7. Oktober, seit dem Angriff der Terrormiliz Hamas auf Israel, auch in Deutschland wieder verstärkt Einzug halten. Friedländer zeigt den Anwesenden den Gelben Davidstern. „Das darf nie wieder geschehen“, sagt sie. Und: „Menschen haben Menschen umgebracht. Wer hasst Menschen?“

Der Bundespräsident hat zuvor eine Rede gehalten – und erneut in staatsmännischer Manier jede Form von Antisemitismus in Deutschland scharf verurteilt. „Wir werden Antisemitismus in diesem Land nicht dulden, keinen alten und keinen neuen, keinen christlichen und keinen muslimischen, keinen linken und keinen von rechts“, sagte Steinmeier.

„Ich bin besorgt, wie sehr die Gewalt im Nahen Osten auch den gesellschaftlichen Frieden in Deutschland gefährdet. Ich bin entsetzt über die Billigung des Terrors, die antisemitische Hetze auf unseren Straßen.“ Und er forderte arabischstämmige Menschen in Deutschland zu einer klaren Distanzierung von Antisemitismus und der radikalislamischen Hamas auf. „Terrorismus, Volksverhetzung und der Aufruf zur Vernichtung des Staates“ hätten keinen Platz in Deutschland, „und ich erwarte, dass wir gemeinsam dagegenhalten.“

Ernst, heiter und manchmal verzweifelt

Wer versucht dagegenzuhalten, das sind die Menschen, die Steinmeier neben Friedländer zu einem runden Tisch eingeladen hat. Dialog in Zeiten des Terrors, verschiedene Perspektiven anhören, ist das Ziel.

Ein Imam ist dabei, der muslimische Jugendliche in Strafanstalten betreut, ein Rabbiner, der gemeinsam mit dem Imam Workshops macht, zwei Restaurantbetreiber aus Berlin – der eine Israeli, der andere Palästinenser, die über das gemeinsame Kochen kulturelle Unterschiede überwinden. Ein Ehepaar, das an Schulen geht und den „Emotionen der Jugendlichen Raum geben will“, um die Gewalt, die Ausgrenzung vom Schulhof zu kriegen.

Das Gespräch ist ernst, mitunter fast schon heiter, ab und an verzweifelt, aber alle sind auf der Suche nach der Formel für ein gutes Zusammenleben. Für die Restaurantbetreiber ist es ein neues Rezept für Hummus, für die Freundschaft zwischen einem Muslim und einem Juden die regelmäßige gemeinsame Drachenbootfahrt.

Der Bundespräsident hatte zuvor die „palästinensische und die gesamte arabische Gemeinschaft in unserem Land“ aufgefordert, ihre politischen Ansichten im Rahmen der Gesetze zu formulieren. „Sie alle sollen Raum haben, um Ihren Schmerz und Ihre Verzweiflung über die zivilen Opfer in Gaza zu zeigen, mit anderen zu teilen“, sagte Steinmeier. „Das Recht, das öffentlich und friedlich zu tun, ist von unserer Verfassung garantiert – und dieses Recht steht nicht infrage.“ Es dürfe „keinen antimuslimischen Rassismus und auch keinen Generalverdacht gegen Muslime geben.“

Dass es den offenbar doch gibt, das sagen auch die Ver­tre­te­r:in­nen muslimischer Initia­tiven. Seit dem 7. Oktober hätten sich viele junge Ara­be­r:in­nen gefragt: Wo ist eigentlich ihr Platz in der Gesellschaft? Und viele hätten gar das Gefühl, aus Berlin verscheucht zu werden. „Wir versuchen, den Scherbenhaufen aufzufangen.“ Aber reicht das? Alle, auch Steinmeier, setzen auf die Schulen, auf die Lehrkräfte, die für mehr Aufklärung sorgen, die die Jugendlichen mit ihrer Wut auffangen sollen. Kapazitäten dafür gibt es viel zu wenig. Auch das wird in der Runde mehr als klar.

Margot Friedländer sagt, man müsse die Menschen aufklären, gut zu sein. „Wir sind doch alle gleich, wenn wir auf die Welt kommen.“ In jedem Menschen stecke irgendwas Gutes.

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