Neues Album von Gaika: Böser Traum Kolonialgeschichte

Der Londoner Musiker Gaika spielt auf „Drift“ mit der britischen Geschichte. Und erzählt von einer Jugend zwischen Hiphop und Postpunk.

Portrait des Londoner Künstlers Gaika

Passt in keine Schublade: der Londoner Künstler Gaika Foto: Emanuel Shogbolu

Wer träumt, arbeitet ein Geschehen aus der Vergangenheit durch. Im Traum kommt wieder an die Oberfläche, was längst vergessen worden ist, seine Bedeutung verschiebt sich. Das neue Album des Londoner Künstlers Gaika stellt eine solche Traumarbeit musikalisch dar. „Drift“ hat es Gaika Tavarares genannt, den alle nur bei seinem Vornamen kennen. Aber der Albumtitel „Drift“ führt in die Irre. Er verspricht Wegdämmern und Abdriften. Aber zu hören ist die hoch konzentrierte Verdichtung von Gaikas akustischem ­Unterbewusstsein: ein Trip, bei dem die Grenzen von Soundsystemkultur, Punk und Londoner HipHop-Underground nicht mehr existieren.

Sich in den Erinnerungen von Gaika zurechtzufinden ist daher nicht ganz einfach. ­Obwohl er Ende der nuller Jahre – damals noch in der Musikszene von Manchester als Teil der HipHop-Crew Murkage – auf sich aufmerksam machte, ist er ein stilistischer Einzelgänger geblieben. Auf seinen ersten Solomixtapes rappte Gaika mit einer tiefen, grummeligen Stimme Reime, die sich des spezifischen Straßenslangs in Brixton bedienten, um schließlich im Refrain in Patois die goldene Ära jamaikanischer Reggaevokalisten aus den 1970ern wie­der­auf­er­ste­hen zu lassen.

Seine Beats schlurften derweil durch das verhallte Niemandsland zwischen R&B, Grime und Dub. Gaikas ­Signaturesound ist das Produkt einer spezifisch britischen Musikkultur und passt dennoch nicht so recht in eine ihrer vieler Szenen. Die Gründe dafür liegen in Gaika Tavares’ Kindheit. Seine Eltern sind Mi­gran­t:in­nen der ersten Generation, in den 1960ern kamen sie von Jamaika und Grenada in die britische Hauptstadt. Beide hatten eine Hochschulausbildung und wie bei so vielen Mi­grant:in­nen jener Generation ließ sie die Allgegenwart von Rassismus in Großbritannien politisch aktiv werden. In Gaikas Südlondoner Elternhaus liefen Reggae- und Funksongs, und es standen Postkoloniale-­Theorie-Klassiker von Frantz Fanon und Stuart Hall im Bücherregal.

Seine Eltern hätten ihm Neugier mitgegeben, hat er neulich in einem Interview mit dem Musikmagazin The Wire erzählt, zu entdecken gab es für ihn viel: Musik im Programm der Londoner Piratensender, und in semilegalen Clubnächten gab es Battles der MCs. In den Auskennerblogs wurden alte Postpunk­alben diskutiert. Und über Soundcloud eröffnete sich ihm ein weltweites Netzwerk von Schwarzen Produzent:Innen, die die Grammatik ihrer lokalen Beatszenen mit der Ortlosigkeit des Internets und einer Affinität zu Theorie und Kunst zusammenbrachten.

Soundinstallationen zwischen Wut und Melancholie

Das perfekte Umfeld für Gaika, der sich außer durch Musik auch mit Soundinstallationen ausdrückt. „War Island“, eines dieser Werke, hat er 2021 im Londoner ICA ausgestellt. Es ist eine nostalgische Meditation über die Gentrifizierung von Londons Trabantensiedlungen, eingebettet in einen Soundtrack zwischen Wut und Melancholie.

Gaika: „Drift“ (Big Dada/Rough Trade)

Wut und Melancholie bestimmen auch die Gefühlslandschaft in den 14 Tracks auf „Drift“ und sind dabei oft nur schwer voneinander zu trennen. In „Sublime“ singt Gaika etwas selbstversunken über Breakbeats, Windspiel und Slidegitarre, im Video steht er im Sonnenuntergang in alten Ruinen auf Grenada, der karibischen Heimatinsel seiner Mutter. Es ist Nostalgie im ursprünglichen Sinne des Worts: Heimweh nach einem Ort und einer Zeit, die es so nie gegeben hat. Instrument dieser Nostalgie ist auf „Drift“ vor allem die Gitarre und nicht wie auf seinen bisherigen Alben der verhallte Beat. Als Jugendlicher nahm er Postpunkalben in der Sammlung seiner Eltern wahr. In den späten 90er Jahren entdeckte er dann Nirvana für sich und fand im Grungesound der US-Rockband eine Blaupause für Musik jenseits des Bling-HipHop, der damals im Freundeskreis angesagt war.

Die verzerrten Gitarren bilden den Backdrop, vor dem Gaika auf „GUNZ“ über die Sinnlosigkeit von männlich kodiertem Wettbewerbsdenken und Gewalt singt. Auf „Lady“ wird es zum Soundtrack eines fiktiven Heist-Movies, in dem die Gastrapperin BbyMutha von der queeren DC-Comicfigur Harley Quinn schwärmt. Und auf „O Vampiro“ ist ein jaulendes Gitarrensolo die Begleitung für eine wütende Anklage der britischen Abschottungspolitik, die Bootsflüchtlinge zur Bedrohung stilisiert, die der durch Vampire gleichkomme.

Vielschichtiger klingt die Musik von „Drift“, wenn Gaika die Sounds weniger eindeutig kodiert. Auf „First Among Misfits“ erzählt er gemeinsam mit der Südlondoner MC The Narrator eine Geschichte über Straßengewalt. Aber weil er darunter einen Postpunkbasslauf legt und nicht rappt, dürfte er damit kaum in den Suchfilter der britischen Justiz geraten, die Rapsongs mit den gleichen Themen gerne als Beweismittel vor Gericht einsetzt, um Schwarze zu verurteilen. Denn das Echo der britischen Kolo­nial­vergangenheit hallt in Gaikas Musik immer nach. Vielleicht ist das die Botschaft von „Drift“: Es gibt noch viel durchzuarbeiten – auch jenseits von Träumen.

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