Lagebericht Antiziganismus: Ablehnung von Sinti und Roma

Sinti und Roma werden in Deutschland weiter diskriminiert. Das zeigen ersten Erkenntnisse der Meldestelle Antiziganismus.

Ein Teich mit einem Gedenkstein

Gedenkstätte für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma in Berlin Foto: Jürgen Ritter/imago

BERLIN taz | Antiziganismus ist eine wenig sichtbare, aber anhaltend präsente Diskriminierung in Deutschland. So lassen sich die ersten Erkenntnisse der Melde- und Informationsstelle Antiziganismus (MIA) zusammenfassen. Am Dienstag stellte die MIA ihre ersten Erkenntnisse zum Thema Antiziganismus in Deutschland vor. Das Fazit ist ernüchternd. „Rund 60 Prozent der deutschen Bevölkerung lehnt Sinti und Roma als Nach­ba­r:in­nen und Ar­beits­kol­le­g:in­nen ab“, sagte Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti Roma, der taz.

Die MIA ist 2021 entstanden und wird vom Bundesinnenministerium gefördert. Ziel ist die Erfassung und Veröffentlichung antiziganistischer Vorfällen. Eine anonyme Meldestelle und eine Datenbank sollen Antiziganismus sichtbarer machen. „Wir wollen die Dunkelziffer der Übergriffe erhellen“, erklärt Guillermo Ruiz, Projektleiter der MIA, der taz. Die Anonymität der Meldenden ist neben dem Schutz der Opfer dabei besonders wichtig. So sollen Angestellte und Be­am­t:in­nen ermutigt werden, antiziganistische Strukturen und Handlungen innerhalb ihres Arbeitsumfeldes zu melden, ohne um ihren Job bangen zu müssen.

Konzentration auf Sinti und Roma aus der Ukraine

Antiziganismus ist ein Jahrhunderte altes Phänomen, was in Deutschland während der NS-Zeit seinen grausamen Höhepunkt fand. Der Sinti und Roma-Völkermord der Nazis hat circa 500.000 Angehörigen der Minderheit das Leben gekostet. Erst 1982 wurde dieser Völkermord von der Bundesregierung als solcher anerkannt. Laut Romani Rose zeige das beispielhaft, dass Antiziganismus in Deutschland noch nicht ausreichend thematisiert wird. Die Meldestelle will diesem blinden Fleck durch Aufmerksamkeit und Sensibilisierung etwas entgegensetzen.

In den letzten Wochen hat sich die Arbeit der MIA auf antiziganistische Vorfälle gegen aus der Ukraine fliehende Sinti und Roma konzentriert. Guillermo Ruiz berichtet, dass Angehörige der Minderheit der Zugang zu öffentlichen Räumen und Gütern verwehrt wurde und ihre ukrainische Herkunft oft infrage gestellt wird. Ein Landkreis in Bayern sagte wohl sogar explizit, dass sie zwar Geflüchtete aus der Ukraine aufnehmen würden, jedoch keine Sinti und Roma.

Eine traurige Konsequenz des grassierenden Antiziganismus' ist, dass einige Angehörige der Minderheit ihre kulturelle Identität verstecken wollen, um Diskriminierungserfahrungen zu minimieren. Dies führt zu einer Unsichtbarkeitmachung der Kultur. „Sinti und Roma flüchten in die Anonymität und verheimlichen ihre Abstammung aus Angst vor Gewalt und Diskriminierung“, so Romani Rose. „Wer weiß schon etwas über den Einfluss von Sinti und Roma auf die europäische Klassik?“

Forderung nach stärkerem Engagement gegen Antiziganismus

Der Vorsitzende betont jedoch, dass die Anerkennung und Sichtbarmachung der kulturellen Identität der Sinti und Roma, keinesfalls eine Abwendung von ihrer deutschen Nationalität bedeute. „Wir lassen es uns nicht absprechen, dass wir Deutsche sind. Kulturelle Identität steht nicht im Gegensatz zur deutschen Nationalität.“

Aufgrund der ersten Erkenntnisse der MIA fordert Guillermo Ruiz ein stärkeres Engagement gegen Antiziganismus von der Bundesregierung. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) sollte erweitert werden, damit es als Instrument gegen antiziganistische Vorfälle in allen staatlichen Institutionen genutzt werden kann. „Außerdem sind wir für die Einführung der Verbandsklage“, erklärt Ruiz, „damit Organisationen wie die MIA die Rechte einer Minderheit gesammelt geltend machen kann.“

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