Kolonialismus-Projekt jetzt doch gesichert: Aufarbeitung geht weiter
In letzter Sekunde entschied der Senat, die 2014 gegründete Kolonialismus-Forschungsstelle an der Uni dauerhaft zu fördern. Die Finanzierung ist allerdings noch offen
Ein Pionierprojekt ist gerettet: Kurz vor Auslaufen der dreijährigen Förderung Ende März 2018 hat der Senat beschlossen, die Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe/Hamburg und die frühe Globalisierung“ an der Universität dauerhaft zu fördern. Das habe Carsten Brosda (SPD), Senator der federführenden Kulturbehörde, vor drei Wochen in einer Bürgerschafts-Fragestunde erklärt, sagt Forschungsstellen-Leiter Jürgen Zimmerer. „Herr Brosda sagte, man wolle das Projekt verstetigen, und die für die Finanzierung zuständige Wissenschaftsbehörde überlege derzeit, wie das zu bewerkstelligen sei.“
Das ist eine so kurzfristige wie überraschende Wende. Denn in der Senats-Antwort auf eine Große Anfrage der Linksfraktion vom August, die am Freitag im Kulturausschuss diskutiert wurde, hatte das noch anders geklungen. „Die Planungen und Überlegungen der zuständigen Behörden sind noch nicht abgeschlossen“, war da zu lesen, als sei die Abwicklung in Wahrheit längst beschlossen.
Dabei hatte derselbe Senat das Projekt – das deutschlandweit einzige seiner Art – 2014 mit großem Elan beschlossen und mit der dringenden Notwendigkeit begründet, Hamburgs Kolonialgeschichte aufzuarbeiten. Insgesamt 380.000 Euro hatte die Stadt für zunächst drei Jahre bewilligt, von denen ein halber Mitarbeiter sowie zwei Doktorandenstellen bezahlt wurden.
Sie sollten eine Ringvorlesung, einen Sammelband sowie eine Fachtagung stemmen. Zeitweilig beschäftigte die Forschungsstelle 14 Mitarbeiter, finanziert aus Drittmitteln, die Zimmerer, im Hauptberuf Professor für Globalgeschichte, einwarb. „Das heißt aber auch, dass wir mit Kurzzeit-Verträgen arbeiten und hoch qualifizierten Leuten oft keine Perspektive bieten können“, sagt er. Schon mehrfach seien gute Mitarbeiter abgeworben worden.
Deshalb hält er es für notwendig, die Forschungsstelle auf mindestens zehn, 15 Jahre anzulegen und mit 300.000, 400.000 Euro jährlich auszustatten, mit zwei Wissenschaftler- und einer Verwaltungs-Stelle. Nur so könne die bislang erreichte Qualität auf Dauer sichergestellt werden.
Zudem könne man das in Hamburg Erarbeitete nutzen und die Forschungsstelle zur zentralen Kolonialismus-Forschungsstelle für ganz Deutschland ausbauen, die etwa auch die Macher des Berliner Humboldt-Forums im Umgang mit Kolonialismus berate.
Aber auch in Hamburg, laut Zimmerer „der Kolonialismus-Metropole per se“, ist die Arbeit noch längst nicht getan. „Wir haben in den vergangenen drei Jahren stichprobenartig Bohrungen durchgeführt und Details zutage gefördert, die unbekannt waren“, sagt er. Kaum jemand habe zum Beispiel gewusst, dass vom Petersenkai in Hamburgs Baakenhafen 90 Prozent aller deutschen Soldaten verschifft wurden, die für den Völkermord an den Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, verantwortlich waren“, sagt Zimmerer. „Davon haben nicht nur die großen Reeder profitiert, das reichte bis ins Kleinbürgertum hinein, zu Händlern und Versorgern.“ Auch die Profiteure des Sklavenhandels vom Altonaer Hafen aus seien noch nicht alle benannt – ganz zu schweigen von den Kulturinstitutionen: „Theater und Oper haben ab 1880 ein stramm pro-koloniales Programm gefahren“ sagt Zimmerer. „Gioacomo Meyerbeers Oper ,Die Afrikanerin' war damals sehr beliebt und wurde erst 1933 abgesetzt.“ Und das nicht wegen ihrer rassistischen Texte, sondern aufgrund rassistischer Vorbehalte des NS-Regimes gegen den jüdischen Komponisten. All diese Forschungen müssten dringend vertieft werden.
Wie viel Geld Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Bündnis 90/Die Grünen) locker macht, ist noch unklar. Eigenartig auch, dass der Senat seine Entscheidung nicht öffentlich machte, nachdem man Zimmerer monatelang hingehalten hatte.
Andererseits habe sich der Senat in den letzten drei Jahren auf der Arbeit der Forschungsstelle ausgeruht und ansonsten wenig getan, um das gleichfalls beschlossene gesamtstädtische (post-)koloniale Erinnerungskonzept zu befördern, sagt Norbert Hackbusch, haushaltspolitischer Sprecher der Linksfraktion. Der Runde Tisch mit Forschern, Museumsleuten und zivilgesellschaftlichen Gruppen wie der „Arbeitskreis Hamburg postkolonial“ etwa werde erst jetzt, kurz vor Ablauf des Projekts, gestartet. Trotzdem ist Hackbusch insgesamt zufrieden. „Denn auch die Museen haben in letzter Zeit begonnen, sich intensiver mit kolonialistischen Aspekten zu befassen. Da bewegt sich was.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste