Historikerin über sächsischen Zionisten: Rechthaberisch, aber visionär

Lisa Gebhards Biografie entreißt den Dresdner Zionisten Davis Trietsch (1870–1935) dem Vergessen. Seine Ideen sind nicht nur Utopie geblieben.

Davis Trietsch in einem historischen Schwarweiß-Porträt.

Pionier der Solarenergie und Hühnerzucht war er auch: Davis Trietsch 1912 Foto: Central Zionist Archives

Das Gerät ähnelt einer überdimensionierten Satellitenschüssel. Tatsächlich ist die runde, der Sonneneinstrahlung zugewandte Seite mit Spiegelflächen belegt, auf denen die Sonnenenergie gebündelt wird. Deren Wärme erhitzt das Wasser in einem Kessel zu Dampf, das wiederum einen 15-PS-Motor antreibt, dem eine Wasserpumpe angeschlossen wird. So ließe sich mit der Energie der Sonne die Bewässerung landwirtschaftlicher Betriebe bewerkstelligen.

Eine solarbetriebene Dampfmaschine also. Was sich wie ein verrücktes Projekt von Elon Musk anhört, kommt in der Tat aus Kalifornien. Allerdings stammt die Idee des „Sonnenmotors“ schon aus der Wende vom 19. auf das 20. Jahrhundert. Propagiert wurde das Gerät auch in Deutschland, und zwar von einem gewissen Davis Trietsch.

Für Deutschland allerdings war der „Sonnenmotor“ nicht vorgesehen. Der Visionär Trietsch dachte vielmehr an einen Einsatz in Palästina, womit wir bei der eigentlichen Leidenschaft dieses Mannes angekommen sind – dem Zionismus.

Anderen frühen zionistischen Denkern sind in Israel ganze Städte gewidmet, mindestens aber Hauptstraßen und Plätze. Für den 1870 geborenen Trietsch blieb ein unbedeutender Weg in einem Tel Aviver Vorort. Dass der Mann in Vergessenheit geriet, hat Gründe, die freilich nichts mit seinen Verdiensten für den jüdischen Staat zu tun haben. Sie weisen vielmehr auf eine Charaktereigenschaft Trietschs hin: die Rechthaberei.

In Vergessenheit geraten

Lisa Sophie Gebhard: „Davis Trietsch. Der vergessene Visionär“. Mohr Siebeck Tübingen, 2023, 388 Seiten, 89 Euro

Für das jüdische Witzblatt Schlemiel, das Trietsch oft durch den Kakao zog, war das seinerzeit ein Glücksfall. Für seine zionistisch gesinnten Zeitgenossen weniger. Trietsch eckte mit seinen Ideen an, weil er unkonventionell, bisweilen größenwahnsinnig dachte und sich grundsätzlich für alles interessierte.

Zudem entsprach der Mann so gar nicht dem Bild der zionistischen Männerwelt, deren Mitglieder mit mindestens einem Doktortitel ausgestattet waren. Trietsch stammte dagegen aus kleinsten Verhältnissen in Dresden, wuchs als Waise auf, wanderte in den 1890ern nach New York aus, wo er es zum Schildermaler brachte, und kehrte um 1900 zurück nach Europa (und Palästina), die Idee des Zionismus propagierend.

Der Ideengeber

Nun entreißt die Historikerin Lisa Sophie Gebhard Davis Trietsch dem Vergessen. Ihre facettenreiche Biografie beleuchtet einen Mann, der für seine Ideen lebte und stritt, ohne Rücksicht auf sein eigenes Fortkommen – und dessen Vorstellungen nicht nur Utopie geblieben sind.

Davis Trietsch wusste aus eigener Anschauung aus der Lower East Side, was Armut in überfüllten Mietskasernen bedeutete. Er kannte die Berichte über die Pogrome in Russland. Trietsch propagierte deshalb noch zu Zeiten des diplomatisch agierenden Theodor Herzl eine Massenansiedlung in Palästina. Es ging ihm darum, jetzt und nicht in ferner Zukunft Leben zu retten.

Expedition nach Zypern

Nicht nur diese Vorstellung stieß unter führenden Zionisten auf Skepsis. Zudem verstieg sich der im kolonialen Denken verhaftete Trietsch zu der Idee, zur Aufnahme möglichst vieler bedrohter Menschen müsse man die Grenzen Palästinas ausdehnen – zu einem „Greater Palestine“, das auch Zypern sowie Teile Syriens und Ägyptens mit einschloss.

Über die einheimische Bevölkerung machte er sich dabei wenig Gedanken. Trietsch beließ es nicht bei Worten, sondern führte eine Expedition an, die Arbeiter aus Boryslaw in der heutigen Ukraine auf die Mittelmeerinsel transferierte. Doch der Ausflug scheiterte kläglich. Für Trietsch, so ist Gebhards Studie zu entnehmen, war das freilich kein Grund, seine Vorstellungen von der Masseneinwanderung und dem „Greater Palestine“ zu revidieren.

Schon gar nicht war ihm die Gabe der Diplomatie gegeben. So kam es auf einem Zionistenkongress zum offenen Streit mit Übervater Herzl, der Trietsch gekonnt abkanzelte.

Andere hätten danach die Flinte ins Korn geworfen. Dafür war der beharrliche Trietsch nicht gemacht. Er kämpfte weiter für seine Ideen, lebte zeitweise in Palästina, wurde zum Experten, schrieb Bücher und Broschüren ohne Ende und besuchte weiterhin zionistische Versammlungen, auch wenn er dort geschnitten wurde.

Erst am Ende seines Lebens, als die Nazis in Deutschland die Macht ergriffen hatten, zeigte sich, dass Trietsch in manchen Punkten recht behalten hatte. Nun ging es tatsächlich um Masseneinwanderung für die Verfolgten sowie darum, wie man aus Rechtsanwälten Bauern machen konnte.

In einer Siedlung am Rande Tels Aviv ist Davis Trietsch verewigt. Trietsch entwarf den aus Deutschland kommenden mittelständischen Bewohnern in Ramoth HaShavim ihr Geschäftsmodell: Hühnerfarmen hinter dem eigenen Häuschen. Selbstverständlich hatte sich Trietsch früh für Geflügelhaltung interessiert. Das Geschäft funktionierte noch Jahrzehnte, nachdem Davis Trietsch 1935 in Tel Aviv verstorben war.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.