Hamas-Angriff auf Israel: Regierung im Notstand

Israels Premier Netanjahu hat am Mittwoch eine Notstandsregierung gebildet. In Gaza spitzt sich die Lage zu: Das einzige Kraftwerk ist außer Betrieb.

Palästinensische Familien laufen im eiligen Schritt auf einer Straße

Palästinensische Familien in Gaza-Stadt fliehen am Mittwoch vor dem israelischen Beschuss Foto: Mohammed Talatene/dpa

BERLIN taz | Vier Tage nach den Massakern von palästinensischen Terroristen in Israel hat Regierungschef Benjamin Netanjahu am Mittwoch eine Notstandsregierung gebildet. Ex-Verteidigungsminister Benny Gantz, bislang in Opposition zu der rechtsreligiösen Regierungskoalition, wird Teil eines dreiköpfigen Kriegskabinetts. Für die Dauer des Kriegs sollen keine Gesetze verabschiedet werden, die nicht mit dem Krieg zu tun haben. Ob auch der Oppositionsführer und ehemalige Regierungschef Jair Lapid dazustößt, war am Nachmittag noch unklar. Er hat gefordert, dass zwei extremistische Parteien aus der Koalition geschmissen werden.

Der Schritt kommt zu einem Zeitpunkt, zu dem sich zusätzlich zu Israels Luftangriffen im Gazastreifen eine Bodenoffensive anbahnt. „Wir werden später auch auf dem Boden vorgehen“, sagte Verteidigungsminister Joaw Gallant am Dienstag.

Während Palästinenser am Mittwoch erneut Raketen aus Gaza auf israelische Städte wie Aschkelon, Aschdod und Tel Aviv abfeuerten, spitzt sich innerhalb Gazas die Lage zu. Israel hat das Gebiet nach den hundertfachen Morden an Zi­vi­lis­t*in­nen von Strom-, Wasser- und Hilfslieferungen aus Israel abgeschnitten. Das einzige Kraftwerk stellte laut der örtlichen Energiebehörde am Mittwoch die Stromproduktion ein, weil kein Treibstoff mehr vorhanden war. Früheren Berichten zufolge soll die Stromgesellschaft allerdings auch auf Solarenergie umstellen können. „Das Kraftwerk in Gaza war bereits vor der Eskalation nur noch vier Stunden am Tag in Betrieb“, sagte Oxfam-Landesdirektor Mustafa Tamaizeh.

Die Luftangriffe haben auch die Versorgung mit Wasser und die Entsorgung von Abwasser für über 400.000 Menschen unterbrochen. So steht derzeit eine Kläranlage im nördlichen Gaza still. Ungeklärtes Abwasser wird ins Mittelmeer geleitet. Laut dem UN-Palästinenserhilfswerk (UNRWA) suchen derzeit mehr als 180.000 Menschen Zuflucht in den Schulen der Organisation.

Wirbel um Berichte über geköpfte Babys

„Der Terror der Hamas bringt nichts als Verderben für die Menschen im Gazastreifen“, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin. Es sei Teil der zynischen Strategie, sich hinter der Zivilbevölkerung zu verstecken. Eine Sprecherin des Kanzleramts sagte mit Blick auf die Lage in Gaza, Israel habe das Recht, sich zu verteidigen.

Venro, der deutsche Dachverband für Entwicklungshilfeorganisationen, forderte ungehinderten Zugang, um die palästinensische Bevölkerung mit Hilfsgütern zu versorgen. Humanitäre Hilfe dürfe sich allein nach dem Bedarf richten, nicht nach politischen Interessen.

Auf palästinensischer Seite stieg die Zahl der Getöteten nach Hamas-Angaben auf mehr als 1.000. Nach israelischen Angaben sollen zusätzlich mindestens 1.500 Hamas-Kämpfer getötet worden sein, nachdem sie die Grenzanlage überwunden hatten, um wahllos Menschen zu töten.

Das Ausmaß der Massaker wird derweil mit jedem Tag sichtbarer: Videos zeigen, wie die Terroristen auf Pick-up-Trucks durch die Straßen fuhren und Jagd auf Menschen machten. Berichte über geköpfte Babys, die sich am Dienstag verbreitet hatten, nachdem das israelische Militär Pressevertreter in die Ortschaft Kfar Azar geführt hatten, wo mehr als 100 Menschen getötet worden waren, wurden dagegen angezweifelt. „Während der Tour haben wir keine Beweise dafür gesehen“, schrieb der israelische Journalist Oren Ziv auf der Plattform X, vormals Twitter. „Auch der Armeesprecher oder die Kommandeure erwähnten keine derartigen Vorfälle.“ Dennoch, betonte er, sei die Szene grauenhaft gewesen. Insgesamt lag die Zahl der Getöteten auf israelischer Seite am Mittwoch bei mehr als 1.200.

Immer noch Hamas-Kämpfer auf israelischem Boden

Auch Tage nach dem Überfall war die Gefahr am Mittwoch noch nicht vollständig gebannt, die von den Hamas-Kämpfern auf israelischem Boden ausgeht. Am Morgen teilte die Armee mit, sie habe weitere 18 Personen getötet, die die Grenze überwunden und sich offenbar seitdem in Israel aufgehalten hatten. Außerdem habe sie einen Taucher getötet, der auf dem Seeweg nach Israel gelangen wollte.

Mit großer Sorge betrachten Mi­li­tär­ex­per­t*in­nen derweil Israels Nordgrenze, hinter der die Schiitenmiliz Hisbollah das Sagen hat. „Die Hisbollah ist zehnmal so stark wie die Hamas“, sagte Miri Eisin vom International Institute for Counter-Terrorism und Oberst im Ruhestand des israelischen Militärs. Die Hisbollah teste aktuell, wie weit sie gehen könne, indem sie anderen Gruppen erlaube, von libanesischem Boden aus anzugreifen. Am Mittwoch allerdings feuerte die Hisbollah selbst Panzerabwehrlenkraketen über die Grenze und bekannte sich dazu. Die israelische Armee flog daraufhin einen Drohnenangriff auf eine Stellung der Miliz. Auch aus Syrien flogen Raketen auf israelisches Gebiet, ohne jedoch Schaden anzurichten.

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