Gedenkstätte für LGBTQIA-Club in Florida: Wie man aus Trauer Geld macht

Seit dem Anschlag auf den Club Pulse in Florida kämpfen Angehörige für einen Gedenkort. Ihre Trauer nutzten Unternehmen als Marketing-Hit.

Zwei Menschen lehnen aneinander vor einer Wand voller Bilder

Be­su­che­r*in­nen am vorläufigen Denkmal des Pulse Club Foto: Phelan M. Ebenhack/Zuma Press/imago

ORLANDO, FLORIDA taz | Am 12. Juni 2016 tötete ein Attentäter 49 Menschen im queeren Club Pulse in Orlando, Florida. Er verwundete Dutzende andere Be­su­che­r*in­nen schwer und wurde schließlich von der Polizei erschossen. Der Täter bekannte sich zum Terror des „Islamischen Staats“, war aber jahrelang selbst Besucher des Clubs, wo er regelmäßig nach Sex mit Männern gesucht hatte. Seine Tat beendete nicht nur das Leben vieler Menschen, die Gewalt veränderte die queere Community in Orlando nachhaltig.

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Zachary Blair, 40 Jahre alt, ist Mitglied der Initiative „Victims First“, einer Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Kalifornien, die in den ganzen USA über Waffengewalt aufklärt und den Überlebenden und Angehörigen zur Seite steht. Blair spricht viel und ohne Pausen, denn er hat viel zu sagen. Seit fünf Jahren recherchiert er den ehemaligen Be­trei­be­r*in­nen des Clubs nach, versucht zu verstehen, warum so viele damals nicht flüchten konnten.

Laut mehreren Berichten könnten sie während der Tatnacht in der Falle gesessen haben: Pulse hatte kein Sicherheitskonzept, nicht genug freie Fluchtwege, mehrere Sackgassen, in denen die Opfer erschossen worden sind. Ermittlungen legen nahe, dass der Attentäter in der Tatnacht von Plänen einer Attacke auf Disney World bei und einem anderen schwulen Club in Orlando abgerückt sei, weil dort jeweils verstärkte Sicherheitskonzepte existierten – er machte den Pulse Club als schutzloses Ziel aus.

Ohne Aufklärung kein Gedenken

Auf dem Parkplatz einer Shoppingmall öffnet Blair den Kofferraum seines Autos, darin befindet sich eine Plastikkiste mit sorgfältig sortierten Dokumenten. „Das sind die öffentlich zugänglichen Informationen zum Gebäude und Betrieb von Pulse.“

Es sei sehr aufwendig gewesen, an die Dokumente ranzukommen. Blair erzählt, dass die Stadtverwaltung für das Archiv zum Fall zunächst 600.000 Dollar verlangt habe. „Es war so um 2019, als ich verstanden habe, dass dies ein sehr langer Kampf werden wird.“ Doch ohne Aufklärung könne es kein Gedenken geben. Es sieht so aus, als würden sich die Betroffenen für einen langen Gerichtsprozess wappnen.

Der Besitzerin von Pulse, Barbara Poma, wirft Blair nicht nur Fahrlässigkeit vor, indem sie den Club ohne Genehmigung und Sicherheitskonzept habe umbauen lassen und betrieben habe. Sie habe sich zudem am Leid der Betroffenen bereichert.

Kurz nach der Terrorattacke gründete Poma zusammen mit einigen Bekannten die OnePulse Foundation. Die Stiftung legte einen Plan für ein Denkmal auf dem Gelände des Clubs und für ein überdimensioniertes Museum in einem anderen Stadtteil vor. Laut mehreren Berichten sollen sich Poma und ihre Mit­strei­te­r*in­nen über die Stiftung mehrere Hunderttausend Dollar an Spendengeldern und öffentlichen Mitteln als Gehälter haben auszahlen lassen.

„Sie war überall“

Gegen Poma und ihre Part­ne­r*in­nen wurde bisher kein Gerichtsverfahren eingeleitet, doch Überlebende und Angehörige haben Klage eingereicht, die Ermittlungen laufen noch. Die Akten stapeln sich. Auch im Kofferraum von Zachary Blair.

Als die Missstände rund um den Betrieb des Clubs 2019 bekannt wurden, gründete Blair mit fünf anderen Aktivist*innen, unter ihnen auch Angehörige der Opfer, die Initiative „NoPulseMuseum“. Seitdem kämpfen sie gegen die Museumspläne von Barbara Poma, die viel Anerkennung aus Politik und Medien in den vergangenen Jahren bekam. Zwischendurch tauchte ihr Gesicht mit dem Motto „Love is love“ als Kampagne gegen Queerfeindlichkeit auf, zum Beispiel als Werbebanner auf der schwulen Datingapp Grindr.

„Sie war überall, wir konnten es nicht mehr aushalten. Ich bin mittlerweile wirklich gegen dieses Liebesblabla“, sagt Blair. Er fordert, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, und fragt sich mit Blick auf die Waffengewalt in den USA, wie überhaupt ein Gedenken möglich sein soll, wenn jeden Tag aufs Neue Menschen sterben und die Politik nichts dagegen unternehme.

Auf dem Pulse-Gelände hat die Stiftung ein temporäres Denkmal erbauen lassen, eine geschwungene, dünne Wand mit Bildern von Regenbögen und lächelnden Menschen, die sich umarmen und liebhaben. Auf einem Zaun in der Mitte haben Angehörige vor Jahren Plakate mit Bildern ihrer getöteten Kinder, Geschwister und Freun­d*in­nen aufgehängt.

Betrieb der OnePulse Foundation faktisch eingestellt

Die Plakate sind vergilbt. Aus einem herzförmigen Ballon ist die Luft entwichen, er baumelt traurig am Zaun. Eine Bibel ist durchnässt und dient als Rückzugsort für einige Insekten. Eine digitale Informationstafel ist ausgeschaltet oder defekt, jemand hat das Logo der Stiftung mit Klebeband überdeckt. Es sieht nicht so aus, als würde sich jemand um den Ort kümmern.

Was auch daran liegen könnte, dass die OnePulse Foundation ihren Betrieb faktisch eingestellt hat. Anfang November knickte die Stiftung unter dem öffentlichen Druck ein und kündigte an, das Museum nicht zu realisieren. Da waren schon 2 Millionen Dollar aus öffentlichen Töpfen in den Kauf eines Warenhauses geflossen. Dort sollte das Museum entstehen, samt Selfie-Wand, auf der man für 49 Dollar eine kleine Kachel mit seinem eigenen Selfie hätte mieten können.

Als Werbeträger hatte die Stiftung den Sänger Ricky Martin engagiert, die Kampagne ging an einem Valentinstag online. Offiziell, heißt es in einer aktuellen Pressemitteilung der Stiftung, könne das Museum wegen Finanzierungsproblemen und gestiegener Baukosten nicht realisiert werden. Mehrere schriftliche und telefonische Anfragen an die OnePulse Foundation blieben bis zur Veröffentlichung dieses Texts unbeantwortet.

Und wie geht die Politik mit diesem Desaster um? Schriftlich lässt das Büro des Bürgermeisters von Orlando, Buddy Dyer, wissen dass sich die Stadt nun entschlossen habe, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.

Überteuerte T-Shirts verkauft

„Im Interesse unserer Gemeinschaft in Liebe und Akzeptanz haben wir beschlossen, das Grundstück von seinen derzeitigen Eigentümern zu kaufen.“ Also von Barbara Poma und ihrem Ehemann Rosario, die sich jahrelang geweigert haben, das Grundstück und Gebäude zu verkaufen. Dyer wurde erst im November für vier weitere Jahre gewählt und hat versprochen, das Denkmal in der anstehenden Amtsperiode zu realisieren.

Zachary Blair nennt den Untergang der OnePulse Foundation samt Museumsplänen einen großen Sieg. „Zwischendurch hatten sie einen Kiosk für Souvenirs eröffnet. Sie haben überteuerte T-Shirts verkauft, zwei Schritte entfernt von dem Ort, an dem Menschen erschossen worden sind.“ Blair knallt wütend den Kofferraum seines Autos zu. Erinnerungskultur könne man nicht privatisieren.

Das Dilemma rund um das Denkmal ist derweil auch in Tallahassee, der Hauptstadt von Florida, angekommen. Anna Eskamani ist demokratische Abgeordnete im Parlament dort und atmet beim Interview erst mal tief durch. Sie sagt, dass alles eine Herausforderung gewesen sei, da einige Angehörige die OnePulse Foundation durchaus unterstützt hätten. „Wie soll man sich für eine Seite entscheiden?“, sagt Eskamani.

Die 33-jährige Politikerin betont, wie kompliziert es in Florida gewesen sei, überhaupt Gelder für das Gedenken zu organisieren. „Erst nach der Massenschießerei an der Parkland High School 2018 konnten wir eine Finanzierung für Pulse aus dem Staatshaushalt von Florida durchsetzen.“

Sensationsgier der Medien

Die erzkonservative Regierung rund um den republikanischen Senator Ron DeSantis habe sich nach der Attacke in Parkland großzügig gezeigt, die Attacke auf die queere Community im Pulse Club hätten die Rechten dagegen ignoriert.

Nun macht sich Eskamani Sorgen, dass mit dem Untergang der OnePulse Foundation öffentliche Gelder wieder eingezogen werden könnten: Gelder, die für die Errichtung des Denkmals und die Unterstützung der Überlebenden wichtig seien. Und was macht diese erinnerungspolitische Karambolage mit jenen, die nur knapp mit dem Leben davongekommen sind, die ihre Liebsten verloren haben?

Tiara Parker ist eine von ihnen. Am 12. Juni 2016 war sie mit ihrer erst 18-jährigen Cousine Akyra Monet Murray zu Besuch in Orlando und wollte durch die Nacht im Pulse Club tanzen. Es endete damit, dass Akyra erschossen und Tiara Parker schwer verletzt wurde. In Fernsehberichten ist zu sehen, wie Tiara Parker ihre Überlebensgeschichte immer und immer wieder erzählen musste und dabei sichtlich retraumatisiert wurde.

Im Gespräch erzählt die 28-Jährige, wie sehr sie die Sensationsgier der Medien und die Profitgier der OnePulse Foundation belastet hätten. „Sieben Jahre wurden vergeudet. Wir stehen mit leeren Händen da. Sie haben uns Überlebende ausgenommen und den Club in eine Bank für sich selbst verwandelt.“ Parker wolle nur einen Ort haben, der die Möglichkeit zur Heilung biete, „einen schönen Ort, an dem wir gedenken“.

Betroffene wieder nicht einbezogen

Für die Zukunft wünscht sie sich mehr Mitspracherecht. „Die Betroffenen müssen nun übernehmen.“ Sie wisse, dass es kompliziert werden könnte, wenn Hunderte Meinungen dabei aufeinandertreffen. Aber ein öffentlicher Ort des Gedenkens, auf einem öffentlich zugänglichen Gelände, dort wo der Club einst betrieben wurde, das koste halt Geld, Zeit, Emotionen und Mut.

So einen Ort gibt es tatsächlich schon in Orlando. Auf die private Initiative einiger Menschen in der Stadt wurde ein kleiner Park mitten in einer Wohngegend den Pulse-Opfern gewidmet. In der Mitte thront auf dem Boden ein Herz in den Regenbogenfarben. In einem Kreis auf dem Boden sind die Namen der 49 Opfer eingraviert. Zachary Blair kommt manchmal hierher, um zu trauern.

Er selbst hat diesen Ort nur durch Zufall entdeckt. Wieder mal ein Denkmal, das ohne die Betroffenen in den Boden gestampft wurde. Aber anders als das Clubgebäude und die megalomanischen Pläne für das Museum zeigt dieser ruhige, kleine Park, dass es nicht viel braucht, um ein würdiges Erinnern zu ermöglichen. Auf dem Boden sind frische Wachsspuren einer Trauer­kerze zu erkennen.

Diese Recherche wurde durch ein Stipendium des Journalismusprogramms von Boell USA ermöglicht.

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