Debatte Israel: Der Wunsch nach einer Zäsur

Der Fall Augstein zeigt: Antizionismus ist nicht gleich Antisemitismus. Der Grat dazwischen ist jedoch manches Mal sehr schmal.

Jüdische Weltherrschaft? Judenstaat? Nur ein kleines Fähnchen? Augstein jedenfalls scheint Angst davor zu haben. Bild: dapd

Der Journalist Hartwig Tegeler möchte über die „komplexe Wahrheit“ Israels streiten und wusste am Mittwoch im Deutschlandradio zu verkünden, weshalb Jakob Augstein gar kein Antisemit sein kann: „In der Augstein-Auseinandersetzung ging es nicht um einen kriminellen Übergriff auf Juden.“

Denn, so weiter, „das wäre eine rote Linie, die tatsächlich nicht überschritten werden darf.“ Das ist doch endlich mal eine einfache, griffige Definition von Antisemitismus. So dumm, dass man beinahe schon Augstein in Schutz nehmen möchte, täten das nicht ohnehin gerade genügend Journalisten.

Man kann es nicht mehr hören, das Lamento über ein angebliches Verbot von Kritik am israelischen Staat. Die selbsternannten Freunde der Aufklärung beten es so oft rauf und runter, dass es einem tatsächlich das Wort „Entlastungsantisemitismus“ in den Kopf ruft. Könnte man nicht andersherum fragen, ob die ständige Behauptung eines Kritikverbots geradezu als Anreiz fungiert, Israel zu kritisieren?

Ich möchte nicht über einen möglichen Schuldabwehrreflex bei Jakob Augstein spekulieren. Das ist höchstens die Aufgabe seiner Therapeutin und führt nicht weit. Es führt auch nicht sehr weit, wie Dieter Graumann („Nachgeboren – vorbelastet?“, Kösel 2012) im letzten Spiegel, mehr Empathie für den israelischen Staat einzufordern, nicht weil das unzulässig wäre, sondern weil man sich nur Augsteins Äußerungen einmal genau vornehmen muss, um zu erkennen, dass er mit Konstruktionen operiert, die leider an altbekannte antisemitische Stereotype erinnern.

Jakob Augstein geriet nicht deshalb auf die fragwürdige Liste des Simon Wiesenthal Centers, weil er einfach nur die israelische Regierung kritisiert hat, sondern weil er mit den Begriffen „Lager“ und „Apartheidregime“ eine falsche und gefährliche Terminologie benutzt hat, die nicht den politischen Tatsachen entspricht.

„Raffende jüdische Finanzkapitalisten“

Den meisten Deutschen gilt immer noch nur derjenige als Antisemit, der mindestens von „raffenden jüdischen Finanzkapitalisten“ spricht. Dieser aus dem 19. Jahrhundert her rührende Antisemitismus hat sich durch die fordistische Wohlstandspolitik und der mit ihr einhergehenden Eindämmung des Klassenkonflikts nach dem Zweiten Weltkrieg weitestgehend erledigt, wenn auch im Zuge der gegenwärtigen Finanzkrise immer wieder Reste davon hervorgeholt wurden.

Hinzu kam der Aspekt, dass es nach der Schoah in Europa ohnehin kaum noch Juden gab und ein gewisser Pluralismus dazu beigetragen hat, dass selbst die Behauptung von Differenz von der Mehrheitsgesellschaft tendenziell weniger als Problem wahrgenommen wurde, sondern in die neumodische Vielfalt der Lebensstile integriert werden konnte. Ein Abend bei Klezmermusik und gar ein Essen im koscherem Restaurant schmücken den Differenzkonsumenten, der ein oder andere geht gar als Philosemit daraus hervor.

In Osteuropa, wo nach 1989 ein neuer Nationalismus und Autoritarismus entstanden sind, zeigt sich ein ganz anderes Bild, das können wir nur allzu gut in Ungarn beobachten.

Das alte Stereotyp von der jüdischen Weltherrschaft

Nein, bei Augstein geht es freilich weder um Tegelers „kriminellen Übergriff“ noch um das Bild des „jüdischen Wucherers“. Auch ist nicht jeder Antizionismus mit Antisemitismus gleichzusetzen. Aber worum es bei ihm implizit geht, ist das alte Stereotyp von der jüdischen Weltherrschaft, um den Judenstaat, der die Welt an der Nase herumführt.

Tania Martini ist taz-Redakteurin für das Politische Buch.

Israel, so Augstein, dränge der Welt eine Logik des Ultimatums auf, pflichtete er Anfang letzten Jahres Günter Grass bei und imaginierte ein emphatisches „Wir“, dessen Klammer aus dem Adjektiv deutsch bestand: „Es ist dieser eine Satz, hinter den wir künftig nicht mehr zurückkommen: ’Die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden.‘ Dieser Satz hat einen Aufschrei ausgelöst. Weil er richtig ist. Und weil ein Deutscher ihn sagt, ein Schriftsteller, ein Nobelpreisträger, weil Günter Grass ihn sagt. Darin liegt ein Einschnitt. Dafür muss man Grass danken. Er hat es auf sich genommen, diesen Satz für uns alle auszusprechen. Ein überfälliges Gespräch hat begonnen.“

Ein „überfälliges Gespräch“ – das klingt nach später Gerechtigkeit. Ein Deutscher, qua Schoah zum Schweigen verdammt, hat eine Zäsur herbeigeführt, für die wir ihm alle danken müssen?

Wer Kritik am israelischen Staat so explizit mit einem deutschem Tabubruch kurzschließt, der braucht in der Tat nicht mehr darüber zu sprechen, dass bis heute in Libanon, Syrien und Jordanien Palästinenser tatsächlich in Flüchtlingslagern leben, dass Pakistan und Nordkorea vielleicht den Weltfrieden gefährden, dass die Migration von einer Million Menschen aus den exrealkommunistischen Staaten die politischen Mehrheitsverhältnisse in Israel verschoben haben, dass die Hamas ein Schreckensregime errichtet hat.

Nein, wer so große Worte des Dankes an den deutschen Nobelpreisträger richtet, wer so sehr die Zäsur sucht, der möchte nicht bloß im Namen der Palästinenser sprechen. Sondern der reiht sich ein in den Entschuldungstrend, vor dem anscheinend weder Dichter noch Politiker, Rapper und Journalisten gefeit sind.

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Redakteurin für das Politische Buch und Kultur. Jurorin des Deutschen Sachbuchpreises 2020-2022 sowie der monatlichen Sachbuch-Bestenliste von ZEIT, ZDF und Deutschlandradio. Lehraufträge in Kulturwissenschaften und Philosophie. Von 2012 bis 2018 Mitglied im Vorstand der taz. Moderiert (theorie-)politische Veranstaltungen. Bevor sie zur taz kam: Studium der Gesellschaftswissenschaften, Philosophie und Psychoanalyse in Frankfurt/Main; Redakteurin und Lektorin in Wien.

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