Podcast der taz Panter Stiftung : Migrationspolitik mitentscheiden

In einem Monat bestimmt die EU ihr neues Parlament, Migration ist ein großes Thema im Wahlkampf. Doch steht eine andere Migrationspolitik zur Wahl?

Stavros Malichoudis, Redakteur bei We Are Solomon, und Lisa Schneider, taz-Redakteurin im Ausslandsressort, beim Journalismus Fest in Perugia Foto: Tigran Petrosyan

Stavros Malichoudis Foto: Twitter

Alessia Manzi Foto: privat

Mirco Keilberth Foto: DW

Anfang Juni treten die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union an die Urnen. Den Wahlkampf beherrschen die Themen Sicherheit und Migration – und die Differenzen zwischen den Parteien sowie ihren Wählerinnen und Wählern könnten nicht größer sein.

Die Frage, wie mit Migration umgegangen werden soll, birgt in der EU schon lange Sprengkraft: Soll sie ihre Außengrenzen weiter abdichten? Wie sollen Migranten und Geflüchtete verteilt werden?

Länder wie Italien stehen für einen harten Antimigrantenkurs, Deutschland eher für ein weiterhin uneingeschränkt geltendes Recht auf Asyl. Italien wird rechts regiert – der Kurs des Landes überrascht daher kaum. Griechenland hingegen hat eine konservative Regierung – und fährt dennoch einen noch härteren Kurs. Auch die EU selbst setzt auf Abschreckung und dabei auf Abkommen mit Staaten, die für Menschenrechtsverletzungen bekannt sind, etwa Tunesien.

Bringt wählen überhaupt etwas? Oder hat sich die Migrationspolitik längst von den versprochenen Kursen der Parteien gelöst?

Darüber diskutieren Stavros Malichoudis, Redakteur beim griechischen Medium We Are Solomon, das vor allem zu Migration arbeitet, Alessia Manzi, die für italienische Medien über Migration und Menschenrechte berichtet, und Mirco Keilberth, Tunesien-Korrespondent der taz und oft an den Ablegeplätzen der Boote nach Europa unterwegs. Lisa Schneider, Redakteurin im Ausslandsressort der taz und Co-Leiterin des Projekts der taz Panter Stiftung zu Migration und den EU-Wahlen, moderiert.

Dieser Podcast ist der Auftakt zu einer Serie: Jede zweite Woche veröffentlicht die taz Panter Stiftung an dieser Stelle eine neue Podcastfolge – und geht dabei verschiedenen Fragen zu den EU-Wahlen und Migration nach.

Nachfolgenden findet Sie ein deutsches und gekürztes Transkiript des Podcasts zum Nachlesen:

Lisa Schneider (Moderation): Ich möchte mit einem Zitat aus einem Artikel der taz beginnen, den wir vor kurzem veröffentlicht haben, denn es führt direkt zum Thema der heutigen Diskussion ein. Ganz unverblümt ausgedrückt, ob wählen überhaupt einen Unterschied macht oder ob die Migrationspolitik im Grunde genommen nicht durch die Entscheidungen der Menschen beeinflusst werden kann.

Wie ich und meine Kollegen in diesem Podcast erläutern werden, scheint es, dass die Migrationspolitik in Europa nicht durch das Wahlverhalten der Menschen oder die aktuelle Stimmung in der Bevölkerung beeinflusst wird, sondern im Wesentlichen durch Angst. Das ist eine starke These, denke ich, und wir werden sie jetzt diskutieren.

In der taz haben wir berichtet: Italiens rechtsextreme Regierungschefin Georgia Meloni steht derzeit besonders unter Druck, weil sie die Wahlen im Herbst 2022 mit dem Versprechen gewonnen hat, die Zahl der in Italien ankommenden Flüchtlinge zu reduzieren. Stattdessensind seit ihrem Amtsantritt so viele Flüchtlinge nach Italien gekommen wie seit mehreren Jahren nicht mehr. Ich denke, das gilt für ganz Europa. Heute kommen ähnlich viele Menschen wie im Jahr 2015, die Zahlen sind also nach einer Phase niedrigerer Zahlen wieder gestiegen.

Alessia – glaubst du, dass Meloni oder ihre Partei, Fratelli d'Italia, bei den EU-Wahlen dafür bestraft werden, dass sie dieses Versprechen, das sie im letzten Wahlgang gegeben haben, nicht einhalten?

Alessia Manzi: Am 8. und 9. Juni ist Italien aufgerufen, seine Vertreter für das Europäische Parlament zu wählen. Das wird in einem besonderen Kontext stattfinden: Europa ist von Konflikten umgeben: dem Krieg mit Russland und der Ukraine, dem Nahen Osten und dem Vormarsch des Rechtspopulismus und des Neofaschismus in dem Geist, der die rechtsextremen Parteien umgibt. Dazu zählt auch die aktuelle Regierung, die Präsidentin Meloni für Fratelli d' Italia und Matteo Salvini von der Lega.

Beide italienischen Parteien gehören zu den Parlamentsgruppen der Konservativen und Reformisten beziehungsweise der Identität und Demokratie. Diese rufen zur Verteidigung der nationalen Interessen auf, während sie den Kreuzzug gegen Asylbewerber und angebliche Islamisten vorbereiteten. Sie tun das, um die wirklichen Probleme in den jeweiligen Ländern – wie etwa die Arbeitslosigkeit – zu verbergen. Georgia Meloni sagt: „Ich bin Georgia, ich bin Mutter. Ich bin Italiener, italienischer Geist. Also Schluss mit der Umkehrung.“ Alles nur leere Slogans. Mit der Zeit ist ein Gefühl von Feindseligkeit gegenüber Migranten in Italien entstanden, gegen diejenigen, die an den Küsten oder auf den Straßen ankommen. Das wirkt sich zum Beispiel auch auf die italienisch-slowenische Grenze aus.

Lisa Schneider: Abkommen, wie das zwischen Italien und Albanien, dienen dazu, Migranten draußen zu halten. Die EU hat eine Reihe Abkommen geschlossen – eines der jüngsten war das Abkommen mit Tunesien. Mirco, könntest du uns ein wenig darüber erzählen, wie dieses Abkommen in Tunesien aufgenommen wurde? Du hast sehr viel mit Mi­gran­t:in­nen zu tun, die Tunesien Richtung Europa verlassen wollen – wie wird es von ihnen angenommen?

Mirco Keilberth: Tunesien ist ein sehr interessanter Schmelztiegel und ein Beispiel für die Probleme, die Europa versucht auf andere Länder abzuwälzen. Seit 2014 können Menschen aus Westafrika, Migranten, aber auch Studenten ohne Visum nach Tunesien kommen. Es gibt auch viele Menschen, die aus Libyen geflohen sind, vor den Gefangenenlagern und den libyschen Milizen, und einen sicheren Zufluchtsort in Tunesien gesucht haben.

Lange Zeit hat das ganz gut funktioniert – bis Anfang letzten Jahres hatten wir eine Art Lösung in Tunesien. Die Leute hatten informelle Jobs, die Migranten und die Flüchtlinge haben in der Dienstleistungsbranche in Tunesien gearbeitet. Es gibt ein Asylgesetz, und es gab eine Art Gleichgewicht zwischen der lokalen Bevölkerung und den Migranten.

Weder Italien noch Tunesien sind Endzielländer. Migration wird in Tunesien als eine Art Verschwörung gegen die arabische und islamische Kultur, gegen Nordafrika, bezeichnet. Das Ergebnis: Die Wut, die viele Tunesier über ihre eigene soziale Situation haben, über ihr eigenes Versagen, über das Versagen der Demokratie, wird übertragen. Wir sehen auch das Versagen von zehn Jahren politische Parteien. Seit dem Arabischen Frühling, seit 2011, hat sich das Leben, das wirtschaftliches Leben hier überhaupt nicht verbessert. Und plötzlich gab es einen Sündenbock: die Migranten. Und ich denke, es ist diese sehr miserable, sagen wir mal europäische, tunesische, autokratische Zusammenarbeit, die zu Gewalt gegen Migranten geführt hat.

Ich bin recht oft in den Migrantengemeinschaften, in Sfax und in anderen Küstenstädten in Tunesien, unterwegs: „Offensichtlich will uns niemand hier in Tunesien, also lasst uns gehen“, sagen sie. Und sie verstehen nicht, warum Europa sie in Tunesien festhalten will und die tunesischen Behörden gewaltsam gegen die Gemeinschaft vorgehen, sie aber auch nicht mit dem Boot ausreisen lassen wollen. In Libyen oder Tunesien wollen sie nicht bleiben. Diese Abkommen sind keine Lösunge.

Lisa Schneider: Welche Auswirkungen hat das Abkommen mit Tunesien vor Ort?

Mirco Keilberth: Ich habe viele Menschen getroffen, die tief traumatisiert sind und Freunde auf dem Meer verloren haben. Ich habe dutzende Menschen getroffen, die miterlebt haben, wie jemand in der Wüste oder auf dem Meer gestorben ist. Und selbst sie sagen: „Lass es mich noch einmal versuchen. Warum lassen mich die tunesischen Behörden oder die libyschen Behörden nicht noch einmal mein Leben riskieren?“

Ich weiß, dass es aus europäischer Sicht absurd klingt, aber ich höre immer wieder die gleichen Antworten: „Ich habe nichts zu verlieren. Ich kann maximal 50 Dollar im Monat verdienen. Ein informeller Job in meinem Heimatland. Ich habe nichts, was dort auf mich wartet“, sagen sie. Sie nehmen auch die sehr brutale Art und Weise, wie die Behörden oder Milizen in Libyen und Tunesien gegen sie vorgehen, oder auch in Marokko, in Kauf. Das hat für sie keine Bedeutung, weil sie nur eine Richtung kennen: Norden.

Sie werden es versuchen und wieder versuchen. Menschen, die einen Job gefunden haben – in Sfax, aber auch in Tripolis, Libyen – und ein sicheres Umfeld, fangen an zu überlegen, ob sie bleiben und nicht ihr Leben riskieren sollten, auch weil sie Kinder oder ihre Familie dabeihaben.

Dieses Abkommen bringt weder den Italienern noch den Europäern Sicherheit noch den Menschen in Tunesien. Es sollte ein Abschreckungsfaktor sein, und ich habe von einigen Mitgliedern des Parlaments gehört: So muss die Situation aussehen. Weil die Leute, die jetzt in Tunesien sind, eine Botschaft nach Westafrika zurückschicken sollen: Kommt nicht dorthin. Doch das wird nicht passieren. Es fehlt das Bewusstsein, dass eine unmenschliche Behandlung von Menschen nicht unbedingt bedeutet, dass sie nicht mehr kommen werden.

Lisa Schneider: Ich möchte ein weiteres Zitat aus einem anderen Artikel der taz hinzufügen. Es geht nicht nur um die Gefahr, auf dem Mittelmeer sein Leben zu verlieren. Es geht auch darum, was einen dann erwartet, wenn man kommt. Die Bedingungen, vor allem in Griechenland im Jahr 2015 oder an den osteuropäischen Grenzen, sind auch heute noch ziemlich schlecht.

Etwa in Griechenland, das zum Beispiel seit 2020 mit einem neuen Gesetz den Straftatbestand der Beihilfe zur illegalen Einreise regelt. Seitdem kann praktisch jede Form der Hilfeleistung, der medizinischen Versorgung, des Transports, der Seenotrettung innerhalb der Hoheitsgewässer oder der Verteilung von Lebensmitteln strafrechtlich verfolgt werden, wenn das nicht mit den Behörden abgestimmt ist.

Hilfe ist also theoretisch erlaubt, aber die Helfer müssen sich vorher mit den Behörden abstimmen, die diese verweigern können. Das bedeutet also, dass in Griechenland sogar Hilfe für ankommende Menschen, die Hilfe für Menschen in Not, illegal sein kann.

Deshalb möchte ich dich fragen, Stavros: Griechenland hat keine rechtsextreme Regierung, sondern eine konservative Regierung. Woher kommt deiner Meinung nach diese Tendenz in Griechenland, gegenüber Migranten noch härter zu sein als die italienische Regierung heute?

Stavros Malichoudis: Ich würde sagen, dass die derzeitige griechische Regierung der Rhetorik zum Opfer gefallen ist, die sie vor ihrem Amtsantritt verwendet hat. Vor 2019, als sie an die Macht kam, hat die derzeitige Regierung der Nea Dimokratia eine Rhetorik verwendet, die sehr gegen Menschen auf der Flucht war und die Menschen auf der Flucht kriminalisiert hat. Als sie an die Macht kam, erwarteten die Wähler, die ihr Vertrauen in diese Art von Rhetorik gesetzt hatten, von der Regierung, dass sie das auch umsetzt.

Und die Regierung hat auch erkannt, dass diese Art von Rhetorik der Regierung wirklich hilft, fester im Sattel zu sitzen. Das Gesetz, das du erwähnt hast, ist in Kraft, aber auch zuvor gab es schon Fälle, in denen Menschen kriminalisiert wurden, die Flüchtlingen bei der Ankunft im Land geholfen haben. Etwa im Jahr 2015, als eine große Zahl von Menschen ins Land kam. Im Jahr 2015 kamen über eine Million Menschen an und passierten Griechenland, meist um nach Mittel- und Nordeuropa weiterzureisen.

Seit drei Jahren gibt es keine Such- und Rettungsaktionen mehr, keine NGOs, die zum Beispiel auf den Inseln in der Nähe der Türkei bei Booten helfen. Früher gab es verschiedene NGOs und Basisorganisationen, die geholfen haben, aber das ist heute nicht mehr der Fall. Die Unterstützung von Flüchtlingen bei ihrer Ankunft im Land wird kriminalisiert. Wir hatten Fälle von NGOs, die wegen Schmuggels angeklagt wurden. Am Ende wurden die Leute in allen Fällen für unschuldig befunden. Aber sie wurden vier oder fünf Jahre lang verfolgt, und mussten sich all diesen rechtlichen Bedrohungen stellen. Das hat dazu geführt, dass auch Kollektive, Menschen, die sich mit den Menschen auf der Flucht solidarisch zeigen, zögerlicher sind, was das Ausmaß der Hilfe angeht, die sie leisten.

Lisa Schneider: Ich möchte auf etwas zurückkommen, das du ganz am Anfang gesagt hast: Die Regierung wurde von den Versprechen, die sie während der Wahlkampagne gemacht hatte, angetrieben. Ich glaube, aus unserer Sicht ist es oft so, dass die Leute kaum direkte Kontakte zu Migranten haben. Und auch deshalb entscheiden sie sich, für die Nea Dimokratia oder die Fratelli d'Italia zu stimmen. Sie haben nicht genug Kontakt zu den Menschen, um ihre Bedürfnisse und Wünsche zu verstehen und zu begreifen, warum sie nach Europa kommen. Ändert sich das bei den Menschen auf den griechischen Inseln, die täglich mit Migranten in Kontakt kommen?

Stavros Malichoudis: Ich stimme vollkommen zu. Es gibt ein sehr, sehr großes Maß an Desinformation. Das hat sich über die Jahre überhaupt nicht geändert. Ich erinnere mich daran, dass es vor zehn Jahren genauso war, und heute ist es immer noch so.

Es gibt zum Beispiel die weit verbreitete Vorstellung, dass Menschen, die nach Griechenland kommen, etwa Asylbewerber, sehr große finanzielle Vorteile im Land erhalten. In der Praxis bekommen Asylbewerber etwa 75 € pro Monat, was wir in einem europäischen Land niemals als substanziellen finanziellen Anreiz bezeichnen würden. Es gibt eine sehr, sehr große Desinformation, wenn es darum geht, worauf Drittstaatsangehörige Anspruch haben und warum sie hierherkommen, und auch, was die Ankunftszahlen betrifft.

Es wird immer so getan, als kämen so viele Menschen, dass Griechenland das nicht schaffen kann. Die Zahlen sind zwar recht klein, etwa 11.000 Leute, aber dafür kommen im Sommer etwa 30 Millionen Touristen nach Griechenland. Und das ist gar kein Problem.

Es fehlt an objektiven Informationen. Eine Sache, die die Dinge in den letzten Jahren wirklich nicht einfacher gemacht hat, ist, dass die Regierung geschlossene Zentren geschaffen hat, in denen Menschen auf der Flucht untergebracht werden. Diese befinden sich auf den Inseln. Sie werden von der EU mit Millionen von Euro finanziert. Das führt zur Isolation der Menschen.

Lisa Schneider: Das ist eine Parallele, die auch in Tunesien sowie in Italien und wahrscheinlich auch in Deutschland gilt, dass es viele Fehlinformationen und Meinungen gibt, die auf sehr selektiven Informationen basieren. Bei den bevorstehenden Wahlen ist das vielleicht sogar noch gravierender. Denn Migration wird eine große Rolle bei den EU-Wahlen spielen – aber es gibt ein großes Maß an Desinformation, an Fehlinformation.

Und man kann sogar sagen, dass die Menschen sehr nachrichtenmüde sind, mit den beiden großen Kriegen in Nahost und der Ukraine. Das wäre eine Frage an alle: Wie könnte man bessere Berichterstattung über Migration erreichen?

Mirco Keilberth: Nun, vielleicht kann ich mit der Sichtweise aus Tunis beginnen, wo es zwei Gemeinschaften gibt, die nach Europa wollen: die der Gastgeber, die dort ein besseres Leben will, und die Gemeinschaft der Migranten und Flüchtlinge, wie die Sudanesen, die aus einem Krieg mit 7 Millionen Flüchtlingen fliehen. Beide wollen einfach Geld verdienen und ein normales Leben führen.

Europa will dieses Thema aus den Nachrichten vor der EU-Wahl heraushalten. Sie wollen das Thema bis Juni, bis zum Sommer, aus den Medien fernhalten, eben wegen der Wahlen. Ich habe es übrigens sogar von vielen Migranten gehört: Sie verfolgen die Politik in Europa. Sie hören sich diese Dinge an. Es ist ihnen nicht entgangen, dass sie nicht willkommen sind.

Es scheint für Politiker recht einfach zu sein, diese Sache aus der Öffentlichkeit herauszuhalten. Und das ist buchstäblich das, was in Tunesien passiert ist und auch auf den griechischen Inseln mit den geschlossenen Lagern. Hier in Tunesien sind es die Olivenfelder in der Nähe der Stadt Sfax, wo die Menschen aus der Öffentlichkeit, aus der öffentlichen Meinung herausgehalten werden, lokale Journalisten dürfen da nicht hin. Selbst Mitglieder des Europäischen Parlaments dürfen nicht kommen.

Was hilft, wäre, eine offene Diskussion zu beginnen. Ich denke, es gab bereits einen Weg, wie man damit umgehen kann. Es gab eine Art saisonale Arbeitsmigration aus all diesen Ländern. Tunesier zum Beispiel gingen zur Erntezeit oder zur Bausaison nach Sizilien, nach Italien, verdienten etwas Geld, kehrten zurück und brauchten kein Visum. Und Menschen aus Afrika südlich der Sahara kamen bis zum Arabischen Frühling nach Libyen und Tunesien und arbeiteten in tunesischen Hotels, um etwas Geld zu verdienen. Dann kehrten sie zurück und investierten dieses Geld in ihrem Heimatland.

Was nicht hilft, ist, dass es für Menschen aus Nordafrika so schwierig ist, in Europa zu arbeiten. Und sie selbst sind von der Welt, die sie auf ihren Smartphones, auf Youtube und in den sozialen Medien sehen, so abgeschnitten wie nie zuvor.

Jeder in Nordafrika kann bezeugen, dass selbst nach den brutalen Maßnahmen, die die Behörden in Libyen und Tunesien gegen Migration fahren, die Zahlen nicht geringer werden. Es kommen mehr Migranten über die algerische und libysche Grenze nach Sfax und mehr nach Tunesien als im letzten Jahr. Obwohl Menschen berichten, dass sie in die Wüste abgeschoben wurden. Europa und Tunesien müssen in diesem Fall also neue Wege finden, um Migration zu legalisieren.

Alessia Manzi: Wir haben ein großes Problem mit den Informationen in Italien, weil die Regierung die Flüchtlinge als „Invasion“ bezeichnet. Die Regierung hat die Migranten zu einem Teil der Wirtschaftskrise gemacht. Das ist aber nicht der Fall. Es gibt viele Fehlinformationen, und diese Invasion wird konstruiert – sie existiert nicht.

Wenn man sich die Zahlen ansieht, sagt Meloni, dass einige Länder, wie Tunesien, sicher sind. Man muss sich nur die Geschichten von den Fliehenden anhören, um zu verstehen, dass das nicht der Fall ist. Oft ist zu lesen, dass die jungen Leute mit teuren Smartphones ankommen. Doch das ist nicht der Fall. Es ist eine Propaganda der Regierung von Meloni.

Lisa Schneider: Glaubst du, Stavros, dass dies auch auf die Situation in Griechenland zutrifft? Denn wenn man in die Herkunftsländer der Migranten schaut, die nach Griechenland kommen – etwa Syrien oder Afghanistan –, gibt es vielleicht keinen aktiven Krieg mehr, aber einen schwelenden Konflikt.

Stavros Malichoudis: Ja, dies ist ein Fall in Griechenland. Wenn man die letzten Jahre betrachtet: Die Menschen, die in Griechenland ankommen, werden in sehr, sehr großer Zahl als Flüchtlinge anerkannt, weil sie internationalen Schutz benötigen. Ein großer Teil kommt, wie bereits erwähnt, aus Syrien und Afghanistan. Es kommen auch eine Reihe von Menschen aus den Palästinensischen Gebieten an oder aus Eritrea oder Somalia. Doch nach einem Asylantrag und einer langen Wartezeit werden sie meistens als Flüchtlinge anerkannt.

Lisa Schneider: Es gibt im Grunde zwei Faktoren, einer in journalistischer Hinsicht und einer in politischer Hinsicht, die dazu beitragen könnten, dieses schwierige Thema der Migration ein wenig zu entwirren. Der erste ist: Journalisten müssen Zugang zu Orten bekommen, der ihnen derzeit verwehrt wird – etwa in bestimmten Ecken in Sfax oder in geschlossenen Haftzentren in Griechenland. Darüber zu berichten, vor allem vor der EU-Wahl, wäre wichtig, um andere Perspektiven zu geben. So könnte man der Taktik, das Thema Migration aus der Vorwahlberichterstattung herauszuhalten, etwas entgegensetzen.

Und das Zweite wäre – und das ist eine Aufgabe für Politiker –, legale Wege zu finden, wie Menschen ihren Lebensunterhalt in Europa verdienen können, ohne das Asylverfahren durchlaufen zu müssen. Vielen Dank an meine Kollegen Stavros, Alessia und Mirco.

Freie Rede – Hören Sie den neuen Podcast der taz Panter Stiftung und seien Sie am 29. Mai dabei, wenn wir den Podcast in der taz Kantine live aufnehmen: taz.de/stiftung/podcasts

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