Radwegeausbau in Berlin: Kommt Zeit, kommt Sicherheit

Vier Jahre wird es wohl gedauert haben, bis die Pop-up-Radspur auf der Kantstraße „verstetigt“ ist. Eine Garantie gegen Unfälle ist das jedoch nicht.

Kein abgesperrter Radweg, dafür Unmengen an motorisiertem Verkehr und jede Menge Falschparker in zweiter Reihe in der Kantstraße Foto: Jürgen Ritter/imago

BERLIN taz | Ein grauer Märzmittag auf der Kantstraße: Der Verkehr ist außerhalb der Stoßzeiten überschaubar, weder auf der Autospur noch auf dem breiten, gelb markierten Radstreifen ist viel los. Von den RadfahrerInnen, die zwischen dem Gehweg und einer losen Reihe aus parkenden Pkws entlangrollen, ist gefühlt jeder zweite für einen Essenslieferdienst unterwegs. Kein Wunder, bei der Dichte an Restaurants auf der architektonisch wenig attraktiven, aber mit asiatischer Küche reich gesegneten Charlottenburger Meile.

Die gelben Markierungen des Radstreifens sind stark ausgeblichen. Schließlich ist es schon fast vier Jahre her, dass sie im Pop-up-Verfahren auf den Asphalt gepinselt wurden. Die Anordnung war damals eine Reaktion auf eine Serie von „Montagsdemonstrationen“, initiiert im Frühjahr 2020 von Fahrradaktivist Heinrich Strößenreuther. „Safe und Chill“ wollte er die Kantstraße für Radfahrende machen. Zumindest ein kleines bisschen wurde das auch Realität.

Fahrradfreundlich war die Verbindung zwischen Breitscheidplatz und Messegelände bis dahin nie. Kein Radweg, auch kein schmaler gepflasterter auf dem Bürgersteig, dafür Unmengen an motorisiertem Verkehr und jede Menge Falschparker in zweiter Reihe. Im Februar 2020 kam es dann zu einem besonders schrecklichen Ereignis, das bis heute nachhallt.

Ein schrecklicher Unfall ohne Folgen

Rückblende: Am 7. Februar dieses Jahres finden sich rund hundert RadlerInnen, viele in gelben Warnwesten, auf dem Savignyplatz ein. Vom Mauerpark ist der Korso in eisiger Kälte nach Charlottenburg gefahren, um eine wirklich sichere Kantstraße einzufordern. Die DemonstrantInnen versammeln sich auf der Höhe eines weiß lackierten Fahrrads, das an einer Laterne lehnt, geschmückt mit ein paar Blumen und einem Grablicht, am Rahmen ein Schild im Gedenken an den, der hier vor vier Jahren starb: „Radfahrer, 64 Jahre“.

In ihrer Ansprache erinnert Susanne Grittner vom ADFC an Bernd Wissmann, einen Architekten, der damals vom Bahnhof Zoo nach Hause radelte. Er wartete in der Platzmitte an der roten Ampel, auf dem kurzen Bus- und Radstreifen vor der dortigen Haltestelle. Wissmann machte alles richtig, der Mann, der ihn mit seinem BMW totfuhr, alles falsch: Er raste über Rot auf den Platz, mit mehr als 70 km/h, obwohl nur 30 erlaubt sind. Dann wollte er über die Busspur rechts an den wartenden Autos vorbeiziehen. Der Aufprall war so heftig, dass Bernd Wissmann 37 Meter weit geschleudert wurde und starb.

Grittner hat aus der Nähe verfolgt, was dann passierte: Erst anderthalb Jahre später lag die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft vor. Der erste Gerichtstermin wurde für Februar 2022 anberaumt – und kurzfristig zugunsten einer anderen Verhandlung abgesagt.

Der zweite und der dritte Anlauf im August 2022 und im Juli 2023 platzten wegen Krankheit des Angeklagten, den vierten Versuch im September 2023 vereitelte ein technisches Problem an der Sicherheitsschleuse des Landgerichts: Die Öffentlichkeit sei so nicht wie vorgeschrieben sicherzustellen, entschieden die RichterInnen.

Auf die lange Bank geschoben

„Das war alles wirklich schwer zu ertragen“, sagt Grittner. Sie spricht von einer „Tortur für die Angehörigen“. Die auch nicht wirklich endete, als das Gericht im vergangenen Oktober schließlich einen Strafbefehl gegen den Angeklagten erließ. Bei diesem Verfahrensweg ohne mündliche Verhandlung ist das Strafmaß gedeckelt, erklärt die ADFC-Aktivistin – der Unfallfahrer kam mit einem Jahr auf Bewährung davon.

Auf die Wiedererlangung seiner Fahrerlaubnis kann er schon Anfang 2025 wieder hoffen. „Das hat etwas mit uns gemacht“, sagt Susanne Grittner. „Wenn man das verfolgt hat, kann man an unserer Gerichtsbarkeit zweifeln.“

Sie appelliert aber nicht nur an die Justizsenatorin Felor Badenberg (parteilos, für CDU), für angemessene Zeiträume bei der Bearbeitung solcher Fälle zu sorgen, sie richtet das Wort auch an die CDU-Verkehrssenatorin: „Frau Schreiner, Sie wollten doch etwas tun. Wir warten und sind ungeduldig! Wir fordern Sie auf, dass die Infrastruktur auf der Kantstraße erweitert und verbessert wird!“

Denn auch der gelb markierte Radweg ist nicht wirklich sicher. Das zeigte sich im Februar 2023, als wieder ein Radfahrer auf der Kantstraße zu Tode kam: Ihm wurde die Tür eines Taxis zum Verhängnis, das auf der lediglich gelb markierten Sperrfläche hielt, um einen Fahrgast aussteigen zu lassen.

Hin und Her zwischen Bezirk und Senatsverwaltung

Dass bis heute noch nichts aus der längst beschlossenen „Verstetigung“ des Radstreifens geworden ist, hat verschiedene Gründe. Vor allem ist da wie immer das Gezerre zwischen Bezirks- und Landesebene.

Schon 2021 beklagte der grüne Verkehrsstadtrat von Charlottenburg-Wilmersdorf, Oliver Schruoffeneger, gegenüber der taz, die – damals ebenfalls grün geführte – Senatsverwaltung wälze Dinge auf das Bezirksamt ab, dem dafür die Kapazitäten fehlten. Unter anderem ging es um die Frage, ob die Feuerwehr nach einer Umgestaltung genügend Platz hätte, ihre Leiterwagen sicher aufzustellen.

Zwischenzeitlich übernahm Berlins marode Infrastruktur die Rolle des Verhinderers: Weil im Frühjahr 2023 unter dem nördlich verlaufenden Kaiserdamm ein Düker zusammenbrach – ein Bauwerk, das Abwasserleitungen unter der Magistrale hindurchführt –, sollten im Umfeld keine größeren Bauarbeiten stattfinden, um das Verkehrschaos in Grenzen zu halten.

Im April nun soll der Kaiserdamm wieder voll funktionstüchtig sein, aber offensichtlich wurde die Zeit nicht genutzt, um den Plan für die Kantstraße zur Anordnungsreife zu bringen.

Radspur auch künftig weitgehend ungeschützt

Auf Anfrage teilt die Senatsverwaltung mit, für die Verstetigung des östlichen Abschnitts der Radspur – zwischen Budapester und Wilmersdorfer Straße – befinde man sich noch in „Abstimmungen, unter anderem mit dem Bezirk und der Feuerwehr“. Bis zur „finalen Lösung“ seien noch „einige bauliche Randbedingungen“ zu klären. Auf dem westlichen Abschnitt, wo die Kantstraße zur Neuen Kantstraße wird, könne es aber schon bald losgehen.

RadlerInnen sind auch nach dem Umbau zwischen fließendem und ruhendem Autoverkehr unterwegs

Hier wird die Radspur freilich auch künftig weitgehend ungeschützt sein: Die Pkw-Stellplätze liegen quer zur Fahrtrichtung, unterbrochen von Straßenbäumen, ein Umbau wäre extrem aufwändig. RadlerInnen sind also weiter zwischen fließendem und ruhendem Autoverkehr unterwegs.

Aber immerhin bestätigt Stadtrat Schruoffeneger, dass ihm sowohl die Anordnung als auch eine Finanzierungszusage vorliegen. Dass die Arbeiten bis zur Fußball-EM im Juni abgeschlossen sind, wie es die Senatsverwaltung erwartet, hält er aber für „sehr sportlich“. Die Anordnung zur Einrichtung der Baustelle fehle noch, und auch das Vergabeverfahren für die Arbeiten benötige seine Zeit.

Woran es beim östlichen Abschnitt immer noch hakt, kann er sich auch nicht erklären. Was er weiß: Die Verkehrssenatorin wird über drei ihr vorliegende Varianten entscheiden. Eine davon stammt aus dem Bezirksamt, sie sieht eine bauliche Anpassung des Mittelstreifens vor, was den Raum für die Feuerwehr vergrößern würde. Eine echte Busspur wird es wohl nicht geben, höchstens wird die Spur zwischen Autos und Fahrrädern zum „Multifunktionsstreifen“, der morgens und abends den BVG-Bussen – darunter ein Expressbus nach Spandau – und zwischendurch als Ladezone zur Verfügung steht.

Radweg geht derzeit zulasten des ÖPNV

Ganz klar ist das noch nicht, aber es wäre immerhin eine Erleichterung für den ÖPNV. Der Fahrgastverband IGEB beklagt seit Einrichtung der Pop-up-Spur, dass die Busse nun oft im Stau stünden, die Verbesserung für den Radverkehr somit auf Kosten der Fahrgäste gehe.

Mit den wegfallenden Parkplätzen – vor allem für die FDP im Bezirk ein Horrorszenario – hat IGEB-Sprecher Jens Wieseke dagegen keine grundsätzlichen Probleme: Es gebe rund um die Wilmersdorfer Straße genügend Parkhäuser mit ausreichend Platz, sagt er zur taz.

Eines lässt sich sicher sagen: Während der Radverkehr auf der Kantstraße spürbar zugelegt hat, hat der Autoverkehr nach offizieller Zählung abgenommen. Rollten hier 2019 noch mehr als 22.000 Pkws täglich hin und her, waren es 2023 weniger als 17.000 – wobei es auch einen stadtweiten Trend zu weniger Pkw-Verkehr gibt.

Sicherer ist die Straße damit auf jeden Fall schon geworden. Eine Garantie gegen schwere Unfälle kann aber auch die künftige Infrastruktur nicht geben, solange einzelne Autofahrende rücksichtslos alle Regeln brechen.

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