Traktoren stehen am frühen Morgen blockierend auf der Straße

Früh aufstehen sind Bauern gewohnt. Hier findet man sich aber zum Protest in der Morgendämmerung Foto: Patrick Pleul/dpa

Bauernproteste in Deutschland:Die Wut der Bauern

Der Traktor ist derzeit das Zeichen der Unzufriedenheit. Die Landwirte sind sauer. Das sind sie aber aus durchaus unterschiedlichen Gründen.

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13.1.2024, 19:15  Uhr

Die Bilder gehen um die Welt – zumindest in den sozialen Netzwerken. Mehrere hundert Landwirte blockieren in Schleswig-Holstein den Anleger einer Fähre, auf der sich Wirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck befindet. Privat hatte der Grünen-Politiker Urlaub auf Hallig Hooge gemacht. Als etwa 30 Demonstranten versuchen, die Fähre zu stürmen, wird es turbulent. Nur mit Mühe können sie von Polizei und Sicherheitskräften zurückgehalten werden. Die Stimmung ist aufgeheizt. Es wird geschrien: „Komm raus, du Feigling!“ Laut Augenzeugen trägt ein Teilnehmer ein Schild mit einem aufgemalten Galgen. Ein Gesprächsangebot seitens Habeck schlagen die Demonstranten aus.

Sie wollen nicht reden, sie wollen schreien. Aus Sicherheitsgründen muss der Minister zur Hallig zurückkehren. Erst spät in der Nacht, um 1.50 Uhr, kann er zurück an Land.

Die internationale Presse berichtet. Politico, Bloomberg, The Guardian. Denn der Vorfall am Hafen von Schlüttsiel stellt den bisher traurigen Höhepunkt der Bauerndemos in Deutschland dar. Seit Tagen gehen die Bauern auf die Straße, um gegen Maßnahmen zu protestieren, die von der Ampelkoalition schon teilweise wieder zurückgenommen worden sind. Die Kfz-Steuerbefreiung für Traktoren soll bleiben, die Subvention beim Agrardiesel nun schrittweise bis 2026 fallen.

Ab Montag kam es landesweit zu Blockaden. Die Bauern blockierten mit ihren Traktoren Autobahnen, Landstraßen, Dörfer und Städte. Am 15. Januar geht es zum großen Finale der Protestwoche nach Berlin. Zur Abschlusskundgebung zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule werden mehrere tausend Traktoren erwartet. Vereint wollen die Bauern zeigen, was sie von den Sparplänen der Bundesregierung halten.

Spardiktat zur Unzeit

Die Ampel hat turbulente Wochen hinter sich. Sie befindet sich in einer misslichen, selbstverschuldeten Lage. Nachdem sie beim Austricksen der Schuldenbremse vom Bundesverfassungsgericht erwischt wurde, braucht die Regierung Geld. Der Zeitpunkt könnte nicht schlechter sein: Die Koalition ist im Umfragetief, noch immer macht sich die Inflation bemerkbar, und eigentlich war der Zeitpunkt gekommen, um den Krisenmodus der vergangenen Jahre abzuschütteln – jetzt, wo die Grünen in die ökologische Transformation investieren wollen, die SPD in den Sozialstaat und die FDP in das Vertrauen ihrer Wähler:innen. Das Spardiktat kommt also zu einer Unzeit, und man entschied sich, den Rotstift ausgerechnet bei den Landwirten anzulegen. Ein fataler Fehler, wie sich jetzt herausstellt.

Alternativen hätte es gegeben. Eine Änderung der Pendlerpauschale oder der Dienstwagenbesteuerung zum Beispiel. Oder die Streichung des Dieselprivilegs. Denn nicht nur der Diesel für Bauern ist in Deutschland steuervergünstigt, auch der für Lkws, Spediteure, Handwerker und für rund 14 Millionen Au­to­fah­re­r:in­nen mit Dieselmotor. Bis zu 8,2 Milliarden Euro jährlich entgehen dadurch dem Staat an Steuereinnahmen. Forderungen nach einer Abschaffung gibt es schon lange, auch innerhalb der Ampel. Doch bisher blockte die FDP jeden Reformversuch ab.

Viele Traktoren aufgereiht, von oben gesehen

Sammeln zum Protest: Bauern haben in Ravensburg ihre Traktoren vor der Oberschwabenhalle abgestellt Foto: Felix Kästle/dpa

Dass man sich jetzt zuerst für Kürzungen bei den Bauern entschied, zeigt: Im Zweifel zieht die Politik lieber den Unmut der Landwirte auf sich als den Unmut der Autofahrer, und im Zweifel erhöht sie lieber die Preise auf dem Teller als die Preise an der Tankstelle.

Ob diese Rechnung aufgeht, ist derzeit fraglich. Die Bauern sind wütend. Der Wegfall von Agrardiesel und Kfz-Steuerbefreiung bringe die Landwirte an den Rand der Existenz, behauptet der Bauernverband. Doch stimmt das wirklich? Schließlich machen beide Fördermittel nur 5 bis 6 Prozent aller landwirtschaftlichen Subventionen aus. Laut einem Bericht der Bundesregierung belaufen sich die Agrardieselbeihilfen pro Betrieb auf 2.900 Euro – ein überschaubarer Betrag. Gleichzeitig sind laut einem Bericht des Bauernverbands die Gewinne im vergangenen Wirtschaftsjahr auf rund 115.000 Euro pro Betrieb gestiegen.

Es gibt mächtige Agrarholdings, die jährlich bis zu 5 Millionen Euro an Subventionen erhalten. Und es gibt Kleinbauern im Familienbetrieb, die einige hundert Euro bekommen

Doch das sind alles Durchschnittswerte. Die Realität ist komplizierter und von den Bauern kann man sowieso nicht sprechen. Denn es gibt mächtige Agrarholdings, die jährlich bis zu 5 Millionen Euro an Subventionen erhalten, und es gibt Kleinbauern im Familienbetrieb, die einige hundert Euro bekommen. Es gibt Viehzucht und Ackerbau. Es gibt konventionelle und ökologische Landwirte. Einige produzieren für den Weltmarkt, andere für den Wochenmarkt.

Bauern sind keine homogene Gemeinschaft. Sie sind ungleich Verlierer oder Gewinner dieses Systems, und ihre Verhandlungsposition im Preiskampf mit Abnehmern und Verbrauchern ist unterschiedlich stark. Während also viele große Betriebe das Spiel beherrschen und Gewinne derzeit steigern können, geht es vielen Kleinbauern wirtschaftlich schlecht. Die Kosten in der Landwirtschaft sind gestiegen, ebenso die Bürokratie. Das dramatische Höfesterben gibt einen Hinweis darauf, dass einige Bauern auch vermeintlich kleine Kürzungen nicht einfach wegstecken können.

Doch ungeachtet der tatsächlichen Folgen: Die Ankündigung, klimaschädliche Subventionen ausgerechnet in der Landwirtschaft abzubauen, war strategisch höchst unklug. Denn aus dem Lager der Bauern war es bislang einigermaßen still geblieben. Und das, obwohl nach 16 Jahren Union sogar ein Grüner den Landwirtschaftsminister stellt. Eine Partei, mit der sich viele Landwirte traditionell eher nicht verbunden fühlen. Doch Cem Özdemir ließ die Landwirte größtenteils in Ruhe. Er wollte zeigen, dass auch Grüne pragmatische Agrarpolitik können, die mit den Bauern und nicht gegen sie agiert. Özdemir belästigte sie nicht mit neuen Umwelt-, Klima- und Tierschutzvorgaben – zum Ärger der Umweltverbände. Sie hatten nach 16 Jahren Union von einem grünen Minister auf eine mutigere Agrarpolitik gehofft.

Doch jetzt hat die Ampel einen schlafenden Riesen geweckt und in einer generell aufgeheizten Stimmung einen weiteren Brandherd gelegt, den man auch mit der hastigen Rücknahme der Maßnahmen nicht gelöscht bekommt.

Ein gefundenes Fressen

Mit den Landwirten legt man sich am besten nicht an. Der deutsche Bauernverband ist mächtig, ihr Vorsitzender Joachim Rukwied kämpferisch, und die Bauern genießen in der Bevölkerung großen Rückhalt. Zudem stehen ihnen mit Union, den Freien Wählern in Bayern, der AfD und dem Springer Verlag gleich vier Verbündete zur Seite, die im zaudernden Kurs der Ampel ein gefundenes Fressen sehen.

Bauernproteste sind nichts Neues. Bereits Ende 2019 belagerten tausende Traktoren die Hauptstadt, um gegen strengere Auflagen beim Umwelt- und Insektenschutz zu protestieren. Jahrelang gingen Bauern wegen der EU-Düngeverordnung auf die Straße und machten mit grünen Kreuzen auf den Feldern auf ihre Lage aufmerksam. Doch bislang bewegten sich Protestform und Rhetorik immer im demokratischen Spektrum und eine Unterwanderung durch andere Gruppen blieb aus.

Jetzt hat sich etwas verändert. Die aktuellen Proteste fallen in eine Zeit, in der die Regierung bei vielen das Vertrauen verspielt hat. Die Beliebtheitswerte der Ampel sind schlecht, ebenso das Abschneiden von SPD, FDP und Grünen bei den letzten Landtagswahlen. Die Union in der Opposition gibt den Einpeitscher. Spricht von der schlechtesten Regierung, die Deutschland je hatte, und fordert Neuwahlen. Auch fällt es CDU/CSU immer schwerer, sich von undemokratischen Aktionen zu distanzieren. Am Tag nach dem Vorfall in Schlüttsiel ist es in der Union dazu seltsam still. Markus Söder und Friedrich Merz, die ansonsten verlässlich jede Aktion der Letzten Generation verurteilten, schweigen. Zu groß ist die Sorge, selbst zur Zielscheibe zu werden.

Für die Bauern ist die aktuelle Vereinnahmung von Rechts keine gute Nachricht. Sie haben die Deutungshoheit über ihre Proteste verloren. Der schrille Ton, die Symbole und Banner, die einige Demonstranten mit sich tragen, lenken vom eigentlichen Anliegen ab. Nicht über Inhalt, sondern über Form wird jetzt gestritten. Zum anderen schreckt es andere Landwirte davon ab, sich an den Demos zu beteiligen. Sie möchten nicht gemeinsam mit Menschen mit Umsturzfantasien auf der Straße laufen.

Ein Traktor mit Transparent steht auf eine Autobahnauffahrt, davor Menschen mit Warnwesten

Der Protest geht Richtung Berlin: Landwirte blockieren in Jacobsdorf, Brandenburg, die Auffahrt zur A12 Foto: Patrick Pleul/dpa

Ein solcher Landwirt ist Jakob Grüner, Gemüsebauer bei KoLa, einer solidarischen Landwirtschaft in Leipzig. Für ihn sei die Unterwanderung von rechts der Hauptgrund gewesen, am Montag nicht auf die Straße zu gehen. Generell fühle er sich auch vom Bauernverband nicht repräsentiert. „Der Bauernverband steht für die Interessen der großen Betriebe, die für den Weltmarkt produzieren, und nicht für die Interessen der kleinbäuerlichen Landwirtschaft“, sagt der Junglandwirt.

Wie ihm ging es vielen kleinbäuerlichen Betrieben und Solawis in der Region. Aus diesem Grund organisierten sie in einem Bündnis eine alternative Demo. Unter dem Motto: „Für eine gerechte und nachhaltige Agrarpolitik“ und „Klare Kante gegen die extreme Rechte“ wollten sie am Freitag in Leipzig auf die Straße gehen.

Es fehlt noch an den Alternativen

„Auch wir sind gegen die ersatzlose Streichung des Agrardiesels“, sagt Jakob Grüner. Der Zeitpunkt komme mangels klimafreundlicher Alternativen zu früh. Aber wenn er doch wegfällt, müssten die Fördermittel so gestaltet werden, dass sich eine natur- und klimaverträgliche Landwirtschaft tatsächlich lohne und wirklich die kleinen Betriebe davon profitieren. Bislang ist das nicht der Fall. „Subventionen zur Förderung der Artenvielfalt reichen zum Beispiel bei Weitem nicht aus, um die tatsächlichen Kosten zu decken“, sagt Grüner.

Ein Beispiel dafür sei die Förderung von Agroforst. Landwirte können derzeit 78 Euro pro Hektar an Beihilfen bekommen, wenn sie einen Teil ihrer Felder unbewirtschaftet lassen und in gewissen Abständen Bäume oder Sträucher pflanzen. Damit können für Vögel und Insekten neue Lebensräume geschaffen werden. Doch die dadurch verlorenen Einnahmen seien um ein Vielfaches höher. Dies führe dazu, dass viele Bauern die Möglichkeit von Agroforst ungenutzt lassen.

Auch für den Aufbau von Humus im Boden gäbe es keine ausreichenden Fördersysteme. Doch Humus ist für den Klimaschutz ungemein wichtig. Der Aufbau von 0,1 Prozent Humus im Ackerboden kann 3 bis 6 Tonnen CO2 pro Hektar binden. Darin liegt großes Potenzial für den Klimaschutz. Doch die Politik lasse dieses Potenzial ungenutzt. Daher lenke die Debatte um den Agrardiesel nur von der schlechten Agrarpolitik der letzten Jahrzehnte ab, so die Einschätzung des Landwirts.

Mit der Zivilgesellschaft an einem Tisch

Dieser Ansicht ist auch das Bündnis „Wir haben es satt“. Gemeinsam mit 35.000 Bäuerinnen und Bauern setzt es sich seit 2011 für eine sozial gerechte Agrar- und Ernährungswende ein. „Im Gegensatz zum Bauernverband tun wir das gemeinsam mit der Zivilgesellschaft“, sagt Inka Lange, Sprecherin des Bündnisses. Man bringe Pro­du­zen­t:in­nen und Kon­su­men­t:in­nen an einen Tisch.

Die Vereinnahmung der aktuellen Proteste von rechtsextremen Gruppen sieht das Bündnis kritisch. „Der Bauernverband hat sich zu spät und nicht genügend von rechter Hetze, Populismus und undemokratischen Strukturen distanziert“, findet Lange. Pünktlich zum Start der Grünen Woche in Berlin ruft das Bündnis zu seiner jährlichen Demo auf. Am 20. Januar geht es mit dem Slogan „Gutes Essen braucht Zukunft“ auf die Straße. „Unsere Forderungen gehen weit über Agrardiesel und Kfz-Steuer hinaus, weil wir das Gesamtbild anschauen“, sagt Lange. Neben höheren Erzeuger:innenpreisen, um die Abhängigkeit der Landwirte von Subventionen zu reduzieren, brauche es auch Anreize, um Umwelt, Klima und Tierschutz stärker in den Fokus zu rücken. „Dies wurde in der Agrarpolitik einfach jahrelang verschleppt.“

In der Tat ist der Reformstau in der Landwirtschaft riesig. Viele Baue­rn sind Leidtragende eines Systems, das grundlegend reformiert gehört. Gebaut auf Masse statt Klasse, Tierleid statt Tierwohl, Export statt Selbstversorgung und schnellem Profit statt echter Verantwortung für die Natur.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Gleichzeitig leiden viele Bauern unter diesem Image. Sie fühlen sich zu Sündenböcken erklärt, zu Unrecht für Umweltprobleme verantwortlich gemacht und von Regeln und Gesetzen aus der Stadt gegängelt. Der angekündigte Abbau der Subventionen war somit nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Denn eines ist klar: Aus der Makroperspektive ist das Problem vieler Bauern natürlich nicht, dass der Diesel etwas teurer wird. Es sind vielmehr riesige Betriebe, die das Spiel nach ihren Regeln gestalten, es ist die Marktmacht von Rewe, Edeka, Aldi & Co, die Billigkonkurrenz aus dem Ausland, die flächenorientierte Subventionspolitik der EU und die „Geiz ist Geil“-Mentalität der deutschen Verbraucher.

Denn Lebensmittel sind hierzulande vergleichsweise günstig. Mit 11,9 Prozent liegt der Anteil am Einkommen, den Deutsche für Lebensmittel ausgeben, unter dem europäischen Durchschnitt. Eigentlich müsste dieses System grundlegend reformiert werden, anstatt zu Lasten des Klimas an den Symptomen herumzudoktern.

Der größte Erfolg der Bauern wäre daher nicht die Rücknahme der angekündigten Maßnahmen. Der größte Erfolg wäre, wenn die Proteste zum Anlass genommen würden, um die jahrelang gewachsenen strukturellen Missstände in der Landwirtschaft politisch zu korrigieren.

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