Zwei Pflastersteine liegen nachts auf den Gleisen

Selbst im Leipziger Stadtteil Connewitz kein Alltag: Pflastersteine nach der Tag X-Demo im Juni 2023 Foto: Bernd März/imago

Linkes Pflaster Connewitz:Aber ist das noch Punkrock?

Leipzigs Stadt­teil Connewitz gilt als krawallig und unangepasst. Dabei ist er viel bürgerlicher geprägt, als der Mythos glauben lässt.

Aus leipzig, 23.12.2023, 17:06  Uhr

Es wird Nacht am Connewitzer Kreuz: Vier Jugendliche lungern inmitten einer Ansammlung von Bierflaschen herum. Ploppende Kronkorken und klirrende Flaschen stiften ihrer untätig-aggressiven Grundstimmung einen unsteten Rhythmus. Aus dem tragbaren Lautsprecher dröhnt Punkrock von der Terrorgruppe: „Ja, wo ich geh und wo ich steh, weiß jeder alles besser / Doch ich hab das bess’re Argument, mein Schweizer Taschenmesser.“ Die Musik und das Anarcho-A auf ihrer Kleidung lassen an ihrer politischen Haltung keinen Zweifel. Unvermittelt löst sich ein Teenager aus der Gruppe und pöbelt wahllos Vorbeilaufende an. Irgendwo muss die Wut ja schließlich hin.

Diese vermeintlich typische Szene hat sich genau so in Connewitz abgespielt. Allerdings nicht auf der Straße, sondern auf einer Bühne im Werk 2, einem soziokulturellen Zentrum am Connewitzer Kreuz. Aber das Klischee deckt sich mit einer in den Medien kursierenden Erzählung über den Leipziger Stadtteil: Immerhin nannte die Bild den Stadtteil 2015 eine gefährliche „No-go-Area“, der Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung sprach nach der Solidemo für Lina E. von „durchgeknallten Straffälligen in Connewitz“.

Doch auch auf der Gegenseite wird dieses Bild gepflegt: Seit Jahrzehnten ist Connewitz identitätsstiftend für die linke Szene, Hassobjekt der Rechten, mitunter Zankapfel der kommunalen Politik. Die Wechselwirkungen zwischen dem Stadtteil, seinem Ruf und seiner Medienpräsenz sind komplex und bisweilen widersprüchlich. Und viel davon scheint plötzlich sehr weit weg, wenn man sich vor Ort tatsächlich umschaut.

Wer am zentral gelegenen Connewitzer Kreuz aus der Straßenbahn steigt, dem offenbart sich ein typisches Großstadtviertel: links ein Supermarkt und ein Bäcker, rechts vierstöckige Gründerzeithäuser, davor ein paar Grünflächen und Parkplätze. Erst allmählich zeigt sich, wie flächendeckend besprüht die Wände und wie stark mit Stickern beklebt die Straßenlaternen sind: Antifa, Roter Stern, Rebel Kid.

Normalos im Szeneviertel

An einer der sieben Straßen, die das Connewitzer Kreuz bündelt, steht ein über und über bespraytes Fabrikgebäude. Inzwischen beherbergt es das Werk 2, eine Institution des kulturellen Lebens in Connewitz. Die Programmtafel am Eingang zeigt das Abendprogramm an: „Scherbenhelden“, das Theaterstück mit den krawalligen Jugendlichen aus der eingangs beschriebenen Szene.

Das Stück basiert auf dem gleichnamigen Roman von Johannes Herwig. Sein ganzes Leben hat der tätowierte Mittvierziger in Connewitz verbracht, war in den 1990er Jahren Punk und ist seit 2013 Autor. In „Scherbenhelden“ verarbeitet er die Erfahrungen seiner Jugend im Leipziger Süden während der Wendezeit. Das Buch zu schrei­ben sei ihm nicht leichtgefallen. „Es ist einfach schwierig, verständlich zu machen, wie sich das damals angefühlt hat“, erzählt Herwig und meint damit: Frust, Verzweiflung, ein Gefühl von Aussichtslosigkeit im neuen System.

Im Zuge der Wiedervereinigung haben viele Erwerbstätige im Osten ihre Existenzgrundlage verloren: 825.000 Arbeitslose gab es laut dem Zentrum digitale Arbeit kurz nach der Wiedervereinigung in den ostdeutschen Bundesländern – im Vergleich zur Vollbeschäftigung zu DDR-Zeiten eine gewaltige Zahl.

Einer davon ist der Vater des „Scherbenhelden“-Protagonisten Nino, der in der DDR als Schuhmacher selbstständig war, durch die Wende seinen Job verlor und seitdem depressiv zu Hause sitzt. Und dann ist da noch der aufkeimende, oft gewalttätige Rechtsextremismus. Der Leipziger Süden habe in dieser Zeit eine besondere Rolle für linke Strömungen gespielt, erklärt Herwig. „Dort hat die alltägliche Bedrohungslage durch Rechtsextreme irgendwann abgenommen, weil es viele Leute gab, die sich gewehrt haben.“

Dass Connewitz aber auch bundesweit zum linken Szeneviertel schlechthin wurde, ist allein durch den Antifaschismus der Wendejahre noch nicht zu erklären. Schon in den 1970er Jahren galt der Stadtteil als alternativ, aber auch als Arbeiterviertel. Ganze Straßenzüge standen damals leer, der Staat machte sich rar. So begannen Hausbesetzer:innen, sich in den leerstehenden Gebäuden Freiräume für Subkultur und Politik zu schaffen.

„Im Viertel hat sich ein alternatives Leben konzentriert und schließlich auch behauptet. Das hat sich inzwischen aber diversifiziert, hier leben heute mega viele Normalos“, sagt Herwig. „Das kommt in der Berichterstattung über Connewitz ein bisschen zu kurz.“

Hausbesetzer im Kirchenvorstand

Gleich um die Ecke vom Werk 2 stehen zwei der wenigen nicht besprühten Gebäude des Stadtteils: die evangelische Paul-Gerhardt-Kirche und ihr Pfarramt. „Von unserer Gemeinde ist die Kultur nur einen Steinwurf entfernt“, witzelt Pfarrer Christoph Reichl. Gemeinsam mit seiner Kollegin Ruth Alber, Pfarranwärterin Nicole Bärwald-Wohlfarth und einem weiteren Pfarranwärter kümmert er sich um eine Kirchengemeinde der besonderen Art. „Sehr offen, aber auch kritisch“, beschreibt Reichl seine Gemeindemitglieder mit einem Hauch von Stolz in der Stimme. „In etwa so verstehen wir uns auch als Kirche. Also linksliberal und weltoffen“, fügt er hinzu.

Die Frage, inwiefern Kirche in Connewitz politisch sei, beantwortet er mit einigen Anekdoten aus der Gemeindearbeit: Wie sie als Kirche eine Gebetswache anmeldeten, nachdem Rechtsextreme in Connewitz demonstriert hatten – um zu zeigen, „dass links nicht allein ist“. Oder wie sich die Kirchen im Leipziger Süden im Jahr 2020 zusammenschlossen und als erste Amtshandlung ein politisches Statement zur Flüchtlingshilfe im Mittelmeer verfassten.

Die Gemeindemitglieder würden aber auch ganz alltägliche Sorgen umtreiben, sagt Pfarranwärterin Bärwald-Wohlfarth. Kitaplatz- und Schulsuche bei Eltern, Sicherheit und Mobilität bei den Älteren. Ist Connewitz also doch kleinbürgerlicher als gedacht? Ist das hier noch Punkrock? „Die Punks, die Connewitz damals als linksalternatives Viertel mit aufgebaut haben, sind in die Jahre gekommen“, antwortet die Pfarranwärterin. Und manch ein Ex-Hausbesetzer sei heute sogar im Ortsausschuss des Kirchenvorstands aktiv, ergänzt Pfarrer Reichl.

Trautes Heim, Glück allein

Aber nicht nur ehemalige Haus­be­set­zer:innen, die heute bürgerlich leben, weichen den Ruf des linksalternativen Viertels auf: Viele derjenigen, die das Image von Connewitz als linke Hochburg noch aufrechterhalten würden, seien gar nicht hier ansässig, so Reichl. Gerade die Jüngeren würden eher im Osten und Südosten der Stadt leben, weil die Mieten dort günstiger seien. Tatsächlich liegen die Mietpreise laut der Leipziger Volkszeitung, die sich dabei auf Daten der Stadt bezieht, in Connewitz bei 8,55 Euro pro Quadratmeter. Das ist deutlich höher als in den südöstlichen und östlichen Leipziger Stadtteilen.

Der langhaarige, tiefenentspannte Familienvater wohnt zwar nicht direkt im Viertel, kommt mit seinem Sohn aber oft zum Herderspielplatz. So auch heute wieder. Wenn sein Sohn wieder nach ihm ruft – „Papaaa“ –, schaut er kurz zu ihm hinüber, schubst ihn einmal kräftig an und redet dann unbeirrt weiter: „Connewitz ist geil – perfekt für Familien. Man hat hier wirklich alles, was man braucht. Viel Grün, offene und engagierte Menschen, einen super Spielplatz.“ Er sagt das mit einer Selbstverständlichkeit, als nerve es ihn, wenn andere die Sicherheit und Lebensqualität von Connewitz infrage stellen. Und tatsächlich: Eine Statistik der Stadt verzeichnet von 2017 bis 2021 deutlich mehr Straftaten in anderen Vierteln, wie Plagwitz, Reudnitz-Thonberg oder Möckern.

Eine brennende Mülltonne liegt in der Nacht auf ener Straße, im Hinterfund Polizei mt Helmen und junge Menschen mit dunkler Kleidung

Bilder einer Nacht im Sommer, die den Mythos über den Stadtteil aber ganzjährig prägen: Straßenschlachten in Connewitz mit der Polizei Foto: Bernd März/action press

„Papaaa!“ – das Kind ist mittlerweile am Klettergerüst angekommen und verlangt nach Unterstützung. Ob er nicht schon allein klettern könne, ruft der Vater. Sicherheitsbedenken im Viertel, fährt er fort, habe er jedenfalls keine. Denn Unruhen kämen selten vor und konzentrierten sich sowieso nur auf einzelne Orte, da brauche man sich keine Gedanken zu machen. Das leuchtet ein: Aktionen wie den Tag X etwa, an dem Anfang Juni De­mons­tran­t:in­nen in Connewitz gegen das Urteil für Lina E. protestierten, gibt es schließlich nicht alle Tage. Wenn überhaupt, dann müsse man Angst vor dem Rechtsextremismus haben, findet der Vater. Mit Nachdruck fügt er hinzu: „Ich will ja nicht politisch sein, aber dieser Nazischeiß, der nervt.“

Wir machen uns die Welt

Ganz ausdrücklich politisch sein möchte hingegen das Conne Island. Das 1991 gegründete Jugendzentrum liegt etwas abseits vom Rest des Viertels – und ist doch so etwas wie das Zentrum von dessen politischem Leben. Man sieht sich hier als dis­kri­mi­nie­rungs­armen Raum mit linkem Selbstverständnis für all jene Menschen und Subkulturen, die von der Norm abweichen. „Wir sind sozusagen ein riesiger DIY-Laden für diejenigen, die nichts Vorgefertigtes konsumieren, sondern selbst gestalten wollen“, so bringen die Mitarbeitenden den Geist des Conne Island auf den Punkt. Sie möchten nicht namentlich genannt werden.

Wer sich beteiligen oder politisch engagieren möchte, ist zum allwöchentlichen offenen Plenum eingeladen. Hier wird seit 30 Jahren kollektiv ausgehandelt, wem das Island eine Plattform bieten soll. Das können Bands sein, marxistische Lesekreise, Mobilisierungsveranstaltungen oder Aktivismus-Workshops. „Dabei haben wir als Island keine einheitliche Linie“, sagt eine Mitarbeitende, „es ist eher so eine Art Wabern zwischen Grundwerten.“ Diese Selbstverwaltung in Eigenverantwortung ist nicht selbstverständlich.

Sicherlich trägt das Conne Island mit seiner politischen Arbeit zum Mythos Connewitz bei, der in der Wendezeit aufkam und das Viertel bis heute begleitet. Doch aufrechterhalten wird er laut den beiden Mitarbeitenden nicht allein von der alternativen Szene selbst, sondern auch von der Gegenseite: „Die CDU braucht den Ruf von Connewitz halt, um Wahlkampf zu machen.“

Punks im Kino

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Weg vom südlichsten Zipfel des Viertels und zurück auf die Wolfgang-Heinze-Straße zu Haus 12 a. Hier verbirgt sich hinter einer unscheinbaren Fassade das UT, Leipzigs ältestes Lichtspieltheater. Inzwischen stehen nicht mehr viele Filme auf dem Programm – stattdessen geben sich Punkbands, Sinfonieorchester, der Connewitzer Sportverein Roter Stern und sogar der MDR-Kinderchor die abgenutzte Klinke in die Hand.

„Nur Parteipolitik hat hier keinen Platz“, stellt ein Mitarbeiter des UT Connewitz e. V. klar, der anonym bleiben möchte. „Aber links verortet sind wir natürlich schon“, schiebt er gleich hinterher. Das kulturelle Leben ist in seinen Augen so lebendig wie eh und je – nur dass jetzt eben jüngere Leute das weiterführen, was es schon in den 1980ern an alternativer Szene gab. Geblieben ist zum Beispiel der Umstand, dass Geld für diesen Kulturbetrieb nicht die entscheidende Rolle spielt: Hier im Union-Theater etwa engagiert sich niemand gegen Bezahlung – sondern ehrenamtlich und aus Überzeugung.

Die Veränderungen im kulturellen Leben in Connewitz sieht der Mitarbeiter gelassen. Corona hätte da bisher mehr negative Folgen gehabt als die Gentrifizierung. „Inzwischen haben wir hier eben nicht mehr nur die Leipziger Punkband, sondern auch feiernde Erstis.“ Unbegreiflich sind ihm nur diejenigen, die aufgrund des Hypes nach Connewitz ziehen, dann aber auf Nachtruhe um 22 Uhr pochen.

Schon zu Beginn des Gesprächs mit dem UT-Mitarbeiter ist klar: Es wäre ein Fehler, seine Gelassenheit mit Gleichgültigkeit zu verwechseln. „Hier müssen sie mich raustragen, mit den Füßen zuerst.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.