Infektionsforscher über neue Medikamente: „Covid wurde schnell vergessen“

Josef Penninger vom Helmholtz-Zentrum arbeitet an Medikamenten für die Behandlung von Infektionskrankheiten. Ein Problem ist die Finanzierung.

Eine Wissenschaftlerin hält eine Multiwellplatte mit vom Coronavirus infizierten Zellkulturen im Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung.

Medial kein Thema mehr: Coronavirus-Forschung, hier im Mai 2020 im Helmholtz-Zentrum Braunschweig Foto: dpa | Julian Stratenschulte

taz: Herr Penninger, Sie wollen als neuer Leiter des Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig die Forschung an Präzisionsmedizin vorantreiben. Was ist das?

Josef Penninger: Präzisionsmedizin meint, dass man versucht, Medikamente zielgerichtet und mit möglichst wenigen Nebenwirkungen einzusetzen. Bei Krebs passiert das schon und jetzt wollen wir uns auch für Infektionskrankheiten besser aufstellen. Wir wissen zum Beispiel – das wurde lange ignoriert –, dass Frauen zu 20 Prozent andere Proteine produzieren als Männer. Und das alleine sagt uns schon, dass wir zielgerichtetere Therapien brauchen. Mit neuen Technologien ist medizinisch vieles möglich: Dass wir Gene lesen und aktiv ändern, dass wir aus Stammzellen neue Organe machen können – wir waren mit der Medizin noch nie so nahe dran.

Wenn ein Krankheitserreger gleich bleibt, wie funktioniert dann Präzisionsmedizin bei Infektionskrankheiten?

Für Infektionskrankheiten funktioniert das natürlich ein bisschen anders. Akut muss man so schnell wie möglich diagnostizieren und behandeln. Aber da kann man schon bei Biomarkern ansetzen: Wenn ich zum Beispiel einen Blutfaktor wie ein bestimmtes Protein habe, sollte ich eher das eine als das andere Medikament geben. Aber das ist natürlich eine ganz andere Situation als zum Beispiel Long Covid, wo man sich auch genetische Anfälligkeiten anschauen kann.

Was kann man bei Long Covid machen?

1964 geboren, leitet seit 1. Juli das Braunschweiger Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung. Zuletzt hatte der Gründungsdirektor des Wiener Instituts für Molekulare Biotechnologie (IMBA) Professuren an der University of British Columbia inne.

Bei Covid wissen wir: Jemand wird krank, jemand anderes nicht, noch jemand kriegt Long Covid. Die Frage ist natürlich: Warum passiert das? Wir brauchen Grundlagenforschung, um herauszufinden, wen wir besonders schützen müssen. Und bei Long Covid geht es dann auch darum, dass wir Medikamente maßgeschneidert für die Person einsetzen. Gerade für langwierige Auswirkungen von Infektionen ist Präzisionsmedizin, die zielgerichtet für eine Person ist, essenziell.

Mit Covid ist es ja nicht vorbei: Wir müssen uns auf kommende Pandemien vorbereiten. Was braucht es dafür?

Alle reden von Global Preparedness. Es wäre jetzt politisch angebracht, nicht nur Lippenbekenntnisse zu machen, sondern auch die Strukturen zu schaffen, mit denen wir wirklich vorbereitet sind. Covid wurde wahnsinnig schnell vergessen: Wenn ich jetzt zu Investoren gehe und eine Lösung für alle kommenden Covid-Varianten vorschlage, sagen die: Interessiert uns nicht, es gibt keinen einzigen Euro mehr für Covid-Forschung. Da ist die Politik gefordert: In Forschung und Politik müssen wir vorbereitet sein und die Politik muss die Maßnahmen aufsetzen und Geld bereitstellen. Privat wird das nicht finanzierbar sein.

Private Pharmaunternehmen sind auch meist diejenigen, die Medikamente entwickeln und verkaufen – auf Grundlage der Erkenntnisse öffentlich finanzierter Forschung. Gerade bei Tropenkrankheiten ist das aber selten lukrativ …

Da haben Sie vollkommen recht: An neuen Medikamenten gegen Infektionskrankheiten verdient man nichts. Da war Covid eher die Anomalie. Wer soll das zahlen? Und dann ist die Krankheit weg und man kann langfristig kein Geld daran verdienen. Hier, in unseren Krankenhäusern, gibt es multiresistente Keime, gegen die Antibiotika nicht wirken. Sogar dafür ist es schwierig, Medikamentenentwicklung zu finanzieren.

Liegen da die Grenzen von privater Medikamentenentwicklung?

Ich glaube, wir brauchen ein semistaatliches System, das genau da ansetzt. Wir machen tolle Grundlagenforschung und das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung nimmt diese Projekte, um erste Entwicklungsstufen vorzufinanzieren. Das ist staatliches Geld. Aber ab dem Punkt, an dem das in klinischen Studien an Menschen getestet wird, denke ich, ist es angebracht, dass auch privates Geld einfließen kann, um die Vorstufen weiterzuentwickeln. Für bestimmte Krankheiten passiert das schon früher, für andere wird es das nie geben, weil niemand daran Geld verdienen wird. Da braucht man dann philanthropische Stiftungen und Förderung von Staaten oder der Weltgesundheitsorganisation.

Welche äußeren Faktoren muss die Infektionsforschung berücksichtigen?

Wir leben in einer Welt mit Klimaänderungen, und durch die ändern sich Ökosysteme. Zum Beispiel sind neue Zecken jetzt nach Europa gekommen, die sehr schwere Krankheiten mitbringen. Ein zweiter Faktor ist: Wenn es vor dreihundert Jahren einen Krankheitsausbruch in einer abgelegenen Gegend gab, war das schlimm. Aber heute, mit acht Milliarden Menschen und modernen Reisemöglichkeiten, springen solche Infektionen viel einfacher in größere Populationen. Dazu kommen Abholzung und andere Umweltzerstörung: Da verlieren Tiere ihr Habitat und müssen sich jetzt in Gegenden aufhalten, wo sie vorher nie waren. Die Möglichkeiten, dass sich dann Infektionen auf Menschen übertragen und schnell verbreiten, waren nie so groß wie heute. Diese Faktoren werden sich wahrscheinlich nicht entschleunigen.

Wie entwickelt das HZI Antworten auf diese neuen Herausforderungen?

Wir versuchen, junge Forscherinnen und Forscher zu uns zu holen, die nicht traditionell forschen, sondern radikal neue Technologien entwickeln. Wir wollen aus unserer Komfortzone raus.

Was ist denn die Komfortzone der Infektionsforschung?

Die Vorstellung: „Infektionen sind schlecht und jetzt tun wir etwas dagegen.“ Das ist natürlich essenziell, aber wir wollen das auch umdrehen: Wir haben vier Milliarden Jahre Evolution hinter uns und Viren und Bakterien waren Teil dieser Evolution und wir können wahnsinnig viel von ihnen lernen: Wie überleben sie zum Beispiel Klimaänderungen? Vielleicht können wir das, was die Infektionsbiologie über Bakterien und Viren weiß, anwendbar machen im Feld der Klimaanpassung oder der Medizin.

Und wie begegnet man diesen neuen Bedingungen?

Diese Dinge muss man schnell erkennen, zum Beispiel durch Public Health Management. Da sind wir am HZI wirklich gut aufgestellt: Wo wird ein Ausbruch passieren? Wie könnte man neue Medikamente entwickeln? Da brauchen wir auch politische Unterstützung, damit man nicht nur weiß, wie es geht, sondern auch etwas auf Lager hat, was man direkt anwenden kann.

Wie sieht die Forschung in diesem Bereich aus?

Wir haben am HZI einen „One Health“-Forschungsansatz, der Gesundheit holistisch, also gesamtheitlich sieht. Wir müssen nicht nur sehen, dass Menschen infiziert werden, sondern auch, wie: Wie ist das Zwischenspiel mit Klimaänderungen, Tieren, Infektionsketten? Was heißt Adaption? Virus und Mensch sind kein isoliertes System, und wenn wir das besser verstehen, können wir auch in der Zukunft ganz anders agieren. Das ist Forschung, die wirklich der Gesellschaft im Größeren zugutekommt.

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