Anschlag auf Tesla-Fabrik in Grünheide: Wer bricht hier die Regeln?

Der Brandanschlag auf Tesla war falsch. Noch viel dramatischer ist aber, wie Politik und Unternehmen Mitbestimmung und Umweltschutz missachten.

Baumhäuser in einem Kiefernwald.

Protestcamp gegen die Erweiterung der Tesla-Fabrik in Grünheide, Ende Februar 2024 Foto: Florian Boillot

Der demolierte Strommast in der Nähe von Grünheide mag bei Tesla Kosten von Hunderten Millio­nen Euro verursachen – eine neue Stufe politischer Gewalt war der Anschlag nicht. Gegner des Atomkraftwerks Brokdorf etwa fanden sich in den 80er Jahren in Gruppen wie „Revolutionäre Heimwerker“ zusammen und sägten über 100 Strommasten um. Die erfolgreiche Anti-AKW-Bewegung ist zwar mit den Jahren friedlich und bürgerlicher geworden – ein Teil von ihr war aber militant.

Insofern war der Anschlag der Vulkangruppe auf das Tesla-Werk zwar gefährlich und falsch, er greift aber zugleich ein bekanntes Motiv auf, das es vor ein paar Jahren sogar ins Kino schaffte: In der Thrillerkomödie „Gegen den Strom“ setzt die Ökoaktivistin Halla auf Island Strommasten außer Gefecht, um ein klimaschädliches Aluminiumkraftwerk stillzulegen. Anders als Halla darf die mutmaßliche Tätergruppe „Vulkan“ nicht auf Sympathie hoffen. Ihr Anschlag auf Tesla trifft auf eine Öffentlichkeit, die Umweltaktivisten jeglichen Er­regungsgrades nahezu feindlich gegenübersteht.

Logischerweise hat nun in Sachen Strommast-Attentat die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen übernommen. Sie sieht einen Anfangsverdacht unter anderem der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, der verfassungsfeindlichen Sabotage sowie der gemeinschaftlichen Brandstiftung. Da kann die Vulkangruppe in ihrem Bekennerschreiben noch so sehr den Schulterschluss mit Ökos und Anwohnerinnen suchen – verständlicherweise haben diese sich schnell distanziert. Mit Linksterroristen möchte man nicht auf einem­ Baum sitzen.

Apropros. Versetzen wir uns kurz in die Nachrichtenlage von vergangenem Montag. Da hatten sich in dem Kiefernforst, der dem neuen Güterbahnanschluss für Tesla, mehreren Lagerhallen und einer Betriebskita weichen soll, Baumbesetzer eingerichtet. Mit Zustimmung der örtlichen Bür­ge­rin­itia­ti­ve bauten sie Baumhäuser und aßen vegane Pizza. Derweil grübelten Bürgermeister und Ge­mein­de­ver­tre­te­r:in­nen von Grünheide über dem Ergebnis einer Bürgerbefragung, das die Tesla-Erweiterung ablehnte. Hinter verschlossenen Türen stritt sich der örtliche Abwasserverband Strausberg-Erkner, weil die „Gigafactory“ ihr Abwasser mit stark erhöhten Phosphor- und Stickstoffwerten ins Netz pumpt. Kurz: Um das öffentliche An­sehen von Tesla stand es am Montagmorgen nicht gut.

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Das Tesla-Desaster sollte zu denken geben

Seit Dienstagabend ist das anders. Seitdem geht es um Linksterror, der die deutsche Infrastruktur zerstöre und damit den Wirtschaftsstandort ruiniere. Diese Erzählung fügt sich ein in den erregten Diskurston dieser Tage. Doch so wie radikale AKW-Gegner vor vierzig Jahren nicht die Republik aus den Angeln hoben, wird man heute den Einfluss der Vulkangruppe kaum unterschätzen können. Die Gefahr für den Standort wartet woanders.

Demonstrativ schätzt nicht nur der Tesla-Konzern Prinzipien und Verfahren gering, die für die Bundesrepublik grundlegend sind: Demokratie, Mitbestimmung, Arbeitnehmerrechte, Umweltschutz. Diese Geringschätzung greift in Industrieverbänden und Parteien um sich. Eines der Schlagworte dazu lautet „Bürokratie­abbau“. Wie aber aus dem Triumph der Potsdamer Landesregierung – Tesla in der Streusandbüchse! – das Desaster von heute werden konnte, sollte allen zu denken geben, die mit neuem Tempo die Transformation der fossilen Wirtschaft vorantreiben wollen.

Man kann von Tesla halten, was man will. Elektroautos sind die Zukunft des Autoverkehrs, und wir brauchen Fabriken, in denen sie gebaut werden, genau wie Windparks, Infrastruktur für Wasserstoff, Batterie- und Chipfabriken. Auch im grüneren Kapitalismus wird es Eingriffe in Landschaft geben, er wird Ressourcen verbrauchen, lokal Lärm und Dreck produzieren. Oder geht es anders?

Katja Witte und Johannes Venjakob leiten den Forschungsbereich Strukturwandel und Innovation am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie. Dort forschen und beraten sie zu zukünftigen Energie- und Industriesystemen. Belastungen durch große Infrastrukturen und Fabriken werden wir auch künftig hinnehmen müssen, sind sich die beiden sicher. Autos, Batterien, Chips – sie können wettbewerbsfähig nur in großen Anlagen hergestellt werden.

Die Missachtung von Regeln hat ihren Preis

Eine Produktion in kleineren, vernetzten Einheiten, bei denen Wasser-, Flächenverbrauch und Emissionen verteilt würden, halten sie für ineffizient. „Das würde Verkehr schaffen und am Ende mehr Ressourcen verbrauchen“, sagt Venjakob. Es gelte also, Belastungen, Interessen und Ansprüche offen­zulegen und gegeneinander abzu­wägen. „Das scheint im Falle Teslas nicht gelungen“, sagt Witte.

Erstaunlich, aber nicht überraschend. Er sehe Brandenburgs Landesregierung und Tesla „als eine Art Beutegemeinschaft: Tesla will in Deutschland und Europa Autos verkaufen, wir wollen neue, zukunftsfähige Arbeitsplätze“, hatte Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) verkündet, als Tesla-Chef Elon Musk seinen Standortwunsch bei Berlin öffentlich gemacht hatte. Seitdem hielt die Maßeinheit „Tesla-Geschwindigkeit“ Einzug in den politischen Sprachgebrauch. Doch die inzwischen in „Deutschland­geschwindigkeit“ umgetaufte Missachtung von Regeln hat ihren Preis.

Die Tesla-Fabrik entstand mit jeder Menge Ausnahme­genehmigungen. Das macht nun Schule. In Schleswig-Holstein will der schwedische Hersteller Northvolt Lithium-Ionen-Batterien in Serie bauen, heiß begehrte Ware, die Europa derzeit aus Asien importiert. Entsprechend begeistert drückt die Politik aufs Tempo. Egal, ob es um die Schienenanbindung oder den Wasserhaushalt geht – die „zwingend notwendige Gesamtbetrachtung wurde bislang unterlassen“, schreibt der Umweltverband BUND in einer Stellungnahme, „für die Menschen der Region werden die Gesamtauswirkungen des Projektes weder im Einzelnen noch in der Gesamtheit erkennbar“. Dabei lehnt der BUND die Fabrik an sich nicht ab.

„Natürlich sehen wir die großen Chancen für die Region“, sagt Joachim Schulz, Sprecher des örtlichen BUND, „sie bietet Arbeitsplätze, und wir brauchen Batterien für die Verkehrswende.“ Es sei besser, sie hier herzustellen als in China unter wer weiß was für Bedingungen. Aber wie Politik und Verwaltung die Genehmigungsverfahren durchpeitschten, sei nicht in Ordnung.

Es brauche ein sinnstiftendes Narrativ

Gespart habe sich die Verwaltung etwa ein Raumordnungsverfahren. Das sei für ein Vorhaben dieser Größe jedoch unbedingt notwendig. Darin wird geplant, wie sich alle Neubauten, neuen Straßen und Bahnstrecken auswirken. „Das gibt allen vor Ort Sicherheit“, sagt Schulz, „aber es dauert bisweilen ein wenig länger.“ Raumplanungs- und Planfeststellungsverfahren, Umweltverträglichkeitsprüfungen – all diese Bürokratiemonster mit schlechtem Ruf sind dafür gemacht, Gefahren zu erkennen. Für Anwohner, für die Natur, aber auch für das Projekt selbst. Wer sie umgeht, löst Interessenkonflikte und Umweltprobleme nicht auf. Sie erscheinen nur später und sorgen für genau den Ärger, der sich bei Tesla besichtigen lässt.

Brauchen wir also nicht weniger, sondern mehr Bürokratie? „Nein“, sagt Witte, „wir brauchen mehr Beteiligung“. Denn die bisherigen, aktenlastigen Verfahren führten nicht dazu, dass die Betroffenen sich zur rechten Zeit von der richtigen Stelle gehört fühlen. „Wir brauchen mehr Transparenz, mehr Offenheit in den Prozessen“, sagt Witte. Mediationsverfahren etwa, bei denen alle Betroffen wirklich mitgestalten könnten. Kurt Tucholsky würde wohl lästern, dass die öffentliche Beteiligung an Behördenprozessen verboten wäre, wenn sie wirklich etwas ändern würde. Doch die Transformation klappt nur mit der Bevölkerung. Mit „not in my backyard“ hat das nichts zu tun.

Es gelte, ein Dilemma aufzulösen, sagen Witte und Venjakob: „Eine schnelle Transformation der Wirtschaft, unter Mitnahme der lokalen Bevölkerung und Lösung neuer Zielkonflikte mit Arten- oder Landschaftsschutz“. Das sei schwierig. Es bräuchte ein sinnstiftendes Narrativ. Man müsse den Menschen erklären, warum Wandel nötig sei. Venjakob und Witte ­sehen eine Überforderung derjenigen, die das Publikum emotio­nal ansprechen könnten: Politik, Medien, Bildung.

„Die Kunst kann es vielleicht“, sagt Venjakob. Womit wir wieder beim Kino wären. Die isländische Bogenschützin Halla jedenfalls gerät am Ende des Films in ein Unwetter und steht ratlos im Regen.

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Jahrgang 72, schreibt über Rohstoffthemen, Chemie und gerne auch den Wald. (Mit-)Autorin verschiedener Bücher, zuletzt eine Stoffgeschichte über Seltene Erden.

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