Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte: Die Stimmung wird gekippt

Geflüchtete sind wieder bedroht. Die Ampelkoalition wollte zwar Migration nicht als Problem, sondern als Normalität behandeln, vermittelt aber etwas anderes.

Menschen treffen sich u.a. mit Schildern mit der Aufschrift "Upahl sagt nein" an der Hauptstraße zu einem Protestmarsch gegen den Bau einer Flüchtlingsunterkunft in Upahl

Migration nicht als Problem, sondern als Normalität. Das sehen die Menschen in Upahl leider nicht so Foto: Frank Hormann/dpa

Die Stimmung kippt. Das könnte einem in den Sinn kommen, wenn man liest: Die Zahl der Übergriffe auf Geflüchtetenunterkünfte steigt kontinuierlich. Doch dieser Satz ist gefährlich. Er suggeriert einen Automatismus, den es nicht gibt. Die Stimmung kippt nicht. Sie wird gekippt.

Die Ampel hat im Koalitionsvertrag einen neuen Umgang mit dem Thema versprochen: Migration nicht als Problem, sondern als Normalität. Die zugehörigen Gesetzesvorhaben geht die Regierung auch an. Was sie aber tagtäglich vermittelt, ist ein Bild von Migration und vor allem von Flucht als Bedrohung.

Natürlich ist es eine Herausforderung, wenn in kurzer Zeit viele Menschen Schutz suchen. Aber für Herausforderungen gibt es Lösungen. Die Union bläst aus lauter Angst vor weiterem Stimmverlust inbrünstig in das Horn der AfD – und die Bundesregierung lässt sich mitreißen vom Untergangssound, statt den versprochenen Paradigmenwandel zu verteidigen.

Da ist vom „Kollaps“ der Kommunen die Rede, wenn Kanzleramt und Länder sich auf offener Bühne vorrechnen, dass kein einziger Cent mehr übrig sei, um Menschen Schutz vor Krieg und Gewalt zu bieten. Da wird die Notwendigkeit beschworen, sich mit Zäunen zu schützen, statt Ertrinkende zu retten. Da wird auf jene verwiesen, die „wirklich“ Hilfe brauchen, in Abgrenzung zu jenen, denen unlautere Motive unterstellt werden.

All das holt keine einzige Stimme von rechts außen zurück. Stattdessen befördert es die Stimmung über die Klippe, die AfD noch weiter nach oben in den Umfragen – und ist letztlich Öl auf die Molotowcocktails derer, die Gewalt ausüben.

Um das zu verstehen, reicht ein Blick in die Jahre nach 2015, als flüchtende Menschen als „Welle“, als Naturkatastrophe bezeichnet wurden – und bundesweit Unterkünfte brannten. Oder in die 1990er: Der Mob wütete in Rostock-Lichtenhagen, Bundesregierung und Parlament beugten sich dem Druck von rechts und beschnitten das Grundrecht auf Asyl drastisch. Kurz danach verbrannten in Solingen fünf Menschen.

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leitet das Inlandsressort der taz. Davor war sie dort seit Oktober 2018 Redakteurin für Migration und Integration und davor von 2016-17 Volontärin der taz Panter Stiftung. Für ihre Recherche und Berichterstattung zum sogenannten Werbeverbot für Abtreibungen, Paragraf 219a StGB, wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Im März 2022 erschien von Gesine Agena, Patricia Hecht und ihr das Buch "Selbstbestimmt. Für reproduktive Rechte" im Verlag Klaus Wagenbach.

Am 22. August 1992 begannen die tagelangen Angriffe auf das Flüchtlingsheim in Rostock-Lichtenhagen. Für die taz berichtete damals die spätere Chefredakteurin Bascha Mika in drei Reportagen von vor Ort. Im ersten Text beschrieb sie, wie Tausende AnwohnerInnen ihre Leute anfeuerten: „Skins, haltet durch!“ Im Bericht vom zweiten Tag erzählt sie, dass sich die Polizei, kurz bevor der erste Brandsatz flog, zum Schichtwechsel zurückzog. In der dritten Reportage schrieb Bascha Mika über die hunderte Rechte, die immer noch zu den mittlerweile leeren Plattenbauten ziehen.

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