+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++: Russische Offensive bei Charkiw

Putins Armee soll fünf Dörfer in der Region eingenommen haben. Die EU macht der Ukraine Sicherheitszusagen, und Polen will seine Grenze zu Belarus stärker befestigen.

Drei ältere Menschen, die mit viel Gepäck neben einem Bus an einer Haltestelle auf dem Land stehen

Einwohner von Wowtschansk verlassen einen Evakuierungsbus Foto: Vyacheslav Madiyevskyy/Reuters

Tusk: Europa muss in Sicherheit investieren

Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk hat eine noch stärkere Sicherung der Grenze zu Belarus versprochen. „Es gibt keine Einschränkung der Mittel, wenn es um die Sicherheit Polens geht“, sagte Tusk bei einem Besuch an der Grenze am Samstag. Russlands Verbündeter Belarus verstärke einen hybriden Krieg gegen den Westen, indem es Migranten ermuntere, über die Grenze nach Polen und damit in die EU zu gelangen.

„Ich weiß, dass es jeden Tag mehr und mehr illegale Übertritte gibt“, sagte Tusk, der polnische Soldaten, Grenzschutzbeamte und Polizisten traf. Er erwähnte auch eine wachsende Bedrohung durch den russischen Invasionskrieg gegen die Ukraine und die unsichere geopolitische Situation.

Tusk sagte, die Ostgrenze Polens sei auch die Außengrenze der EU. „Daher habe ich keinen Zweifel daran, dass ganz Europa in seine Sicherheit investieren muss. Und ich weiß, dass wir dies erreichen werden, indem wir in Polens Ostgrenze investieren“, sagte er. 2021 waren zahlreiche Migranten aus dem Nahen Osten und Afrika über die belarussische Grenze nach Polen gekommen. Damals beschuldigte die EU den belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko, die Migranten in Richtung EU zu schicken, um die Union zu destabilisieren. Diese hatte nach der allgemein als gefälscht betrachteten Wiederwahl Lukaschenkos Sanktionen gegen Belarus verhängt. (ap)

Fünf Menschen sterben bei ukrainischen Angriffen

In den russischen Grenzprovinzen Belgorod und Kursk und in der russisch besetzten Stadt Donezk sind nach Behördenangaben fünf Menschen bei ukrainischen Drohnen- und Artillerieangriffen ums Leben gekommen. In Donezk seien drei Menschen getötet und acht verletzt worden, als eine Rakete ein Restaurant getroffen habe, erklärte der von Russland eingesetzte Verwaltungschef der besetzten Region, Denis Puschilin. (rtr)

Russland bestätigt Offensive in der Region Charkiw

Das russische Verteidigungsministerium in Moskau hat eine Offensive im Grenzgebiet zur ukrainischen Millionenstadt Charkiw bestätigt. Russische Truppen hätten fünf ukrainische Grenzdörfer besetzt, teilte das Ministerium am Samstag in Moskau mit. Genannt wurden Striletsche, Krasne, Pylne und Boryssiwka, die etwa 30 Kilometer nördlich von Charkiw in der Nähe des Ortes Lipzy liegen, sowie Ohirzewe bei der Stadt Wowtschansk.

Dies deckt sich mit inoffiziellen ukrainischen Militärangaben zu der Offensive, die in der Nacht auf Freitag begann. Die russische Armee nahm für sich in Anspruch, eine hohe Zahl ukrainischen Soldaten ausgeschaltet und deren Technik vernichtet zu haben. Dafür gab es aber keine unabhängige Bestätigung.

In Moskau hieß es, 34 ukrainische Soldaten seien gefangen genommen worden. Die Zahl konnte nicht bestätigt werden. Aber Bilder einiger mutmaßlicher Soldaten wurden auf russischen Telegramkanälen veröffentlicht, auch wenn dies nach humanitärem Völkerrecht verboten ist. (dpa)

1700 Menschen fliehen aus umkämpften Gebieten nahe Charkiw

Russische Truppen haben nach Angaben des Verteidigungsministeriums fünf Dörfer im Nordosten der Ukraine erobert. Es handele sich um Boryssiwka, Ohirzewe, Pylna and Striletscha und Pleteniwka, erklärte das Ministerium am Samstag. Ukrainische Journalisten hatten bereits am Freitag die Einnahme von vier der Dörfer gemeldet, die in der sogenannten grauen Zone an der Grenze zwischen der ukrainischen Region Charkiw und Russland liegen.

Ukrainische Behörden teilten mit, mehr als 1700 Menschen hätten fliehen müssen. Artillerie- und Mörserbeschuss sowie Luftangriffe hätten mehr als 30 Städte und Dörfer getroffen, sagte der der Gouverneur von Charkiw, Oleh Syniehubov. Dabei seien mindestens drei Menschen getötet und fünf weitere verletzt worden.

Die russischen Streitkräfte hatten Ende März ihre Bombardierung von Charkiw verstärkt, der zweitgrößten Stadt der Ukraine. Der jüngste Vorstoß könnte eine Änderung der Taktik zeigen, die von ukrainischen Vertretern seit Wochen erwartet worden war. Die Ukraine leidet unter einem Mangel an Munition und Personal, weil westliche Hilfen monatelang ausgeblieben sind und die versprochene neue Unterstützung noch nicht angekommen ist. Sie schickte am Freitag Verstärkungen in die Region, um die Angriffe abzuwehren.

Die in Washington beheimatete Denkfabrik Institute for the Study of War erklärte, Russland habe nur „relativ wenig Personal für die ersten Angriffe eingesetzt“, aber die Offensive in der Region Charkiw solle ukrainisches Personal und Material aus anderen wichtigen Frontabschnitten in der Ostukraine abziehen. Das russische Militär könne auch versuchen, wichtige Nachschubwege abzuschneiden und Charkiw zu blockieren, das nur etwa 30 Kilometer südlich der Grenze liegt. (ap)

Sicherheitszusage gelten bis Nato-Beitritt

Die Europäische Union hat sich einem Medienbericht zufolge auf Sicherheitszusagen für die Ukraine geeinigt. Die Zusagen sollen im Sommer in Kraft treten und gelten so lange, bis die Ukraine der EU und der Nato beigetreten sein wird. Das berichtet die Welt am Sonntag unter Berufung auf einen vertraulichen Entwurf der Sicherheitszusagen, der dem Blatt vorliegt. „Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten werden langfristig und zusammen mit Partnern zu Sicherheitszusagen für die Ukraine beitragen, die der Ukraine helfen sollen, sich selbst zu verteidigen, sich Destabilisierungsversuchen zu widersetzen und in Zukunft vor Aggressionen abzuschrecken“, heißt es in dem elfseitigen Dokument. (rtr)

Ukrainischer Beamte: Russen wollen Wowtschansk zerstören

Russische Streitkräfte wollen einem ukrainischen Beamten zufolge die ukrainische Grenzstadt Wowtschansk zerstören. „Innerhalb von 24 Stunden gab es wahrscheinlich mehrere hundert Treffer durch Artillerie, Minen und Dutzende von Streubomben“, sagt der Leiter der Polizeistreife von Wowtschansk. „Sie sind dabei, die Stadt zu zerstören und versuchen, in das Gebiet einzudringen.“ (rtr)

Drei Tote bei Angriff auf Öldepot in Luhansk

Bei dem ukrainischen Angriff auf ein Öldepot in der von Russland kontrollierten Region Luhansk sind laut dem dortigen russischen Gouverneur drei Menschen ums Leben gekommen. Sechs Personen seien durch die Explosion verletzt worden, zwei hätten Rauchvergiftungen erlitten, schreibt der Gouverneur Leonid Passetschnik auf dem Kurzmitteilungsdienst Telegram. Ein Großbrand sei in dem Öllager ausgebrochen. Passetschnik vermutet, dass die Ukraine von den USA gelieferte taktische Raketensysteme der Armee (ATACMS) eingesetzt hat, ohne Beweise anzuführen. Von ukrainischer Seite gab es keine unmittelbare Stellungnahme. (rtr)

Bundestagsabgeordnete offen für Schutz von Nato-Gebiet aus

Bundestagsabgeordnete von CDU, FDP und Grünen haben sich offen für Pläne gezeigt, Teile des Luftraums über der Ukraine von Nato-Territorium aus durch westliche Flugabwehr zu schützen. Der CDU-Sicherheitspolitiker Roderich Kiesewetter sagte der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, westliche Länder könnten dabei „unbemannte russische Flugkörper“ über der Ukraine abschießen. Auch Politiker von FDP und Grünen hielten einen solchen Einsatz für denkbar.

Der Zeitung zufolge befürworteten die Politiker einen Vorschlag, den unter anderem der Militärfachmann Nico Lange von der Münchner Sicherheitskonferenz vorgebracht hatte. Seiner Ansicht nach könnte so an den Grenzen der Ukraine zu Polen, der Slowakei, Ungarn und Rumänien „eine sichere Zone von bis zu 70 Kilometern Breite entstehen“.

„Das würde die ukrainische Flugabwehr entlasten und ihr ermöglichen, die Front zu schützen“, sagte der CDU-Politiker Kiesewetter. Das Beispiel Israel, wo die USA, Großbritannien, Frankreich und andere Länder im April einen großen iranischen Luftangriff mit abgewehrt haben, zeige, dass teilnehmende Staaten in so einem Fall nicht zwingend „zur Kriegspartei“ werden müssten.

Der FDP-Bundestagsabgeordnete Marcus Faber sagte gleichfalls, dass „der Luftraum über den ukrainischen Grenzregionen“ im Prinzip „durch Luftverteidigungssysteme auf Nato-Territorium geschützt werden“ könnte. Allerdings seien Abwehrbatterien und Raketen jetzt schon knapp. Deshalb müsse die nötige Munition langfristig gesichert werden. „Unter dieser Voraussetzung halte ich das für möglich.“

Auch bei den Grünen gab es Zustimmung. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Agnieszka Brugger befürwortete gegenüber der Zeitung den Gedanken, „Systeme zur Luftverteidigung so an den Grenzen der Anrainerstaaten zu stationieren, dass die westlichen Teile der Ukraine mit geschützt werden können“.

Ihr Parteifreund Anton Hofreiter, Vorsitzender des Europaausschusses, schloss sich an: „Flugabwehr über der Ukraine von Polen und Rumänien aus sollte man langfristig nicht ausschließen“, sagte er der FAS. Gegenwärtig stehe das allerdings noch „nicht zur Debatte“. Im Augenblick gehe es vor allem darum, im Rahmen der westlichen Waffenhilfe „deutlich mehr“ Waffensysteme an die Ukraine selbst zu liefern. (afp)

US-Regierung beobachtet Angriff bei Charkiw mit Sorge

Die US-Regierung beobachtet den neuen russischen Großangriff nahe der ukrainischen Millionenstadt Charkiw mit Sorge. „Wir haben damit gerechnet, dass Russland eine Offensive gegen Charkiw starten würde, und diese scheint nun begonnen zu haben“, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates, John Kirby, am Freitag. In den Monaten nach Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine vor über zwei Jahren habe Russlands Militär bereits verzweifelt versucht, die Stadt einzunehmen, was nicht gelungen sei. „In der Tat war es vor allem das Scheitern der Einnahme Charkiws, das Herrn Putin dazu veranlasste, seine Truppen über die Grenze zurückzuziehen“, sagte Kirby mit Blick auf den russischen Präsidenten. Das aktuelle Vorgehen des russischen Militärs dort sei daher „sehr interessant und sicherlich besorgniserregend“. (dpa)

Medwedew droht London und Paris mit Gegenangriffen

Der frühere russische Präsident und heutige Vize-Vorsitzende des Nationalen Sicherheitsrats, Dmitri Medwedew, drohte Großbritannien und Frankreich mit drastischen Gegenschlägen im Falle ukrainischer Angriffe mit britischen oder französischen Marschflugkörpern. Derartige Angriffe auf russisches Gebiet würden nicht „von Idioten in bestickten Gewändern geleitet, sondern von Briten und Franzosen“, schrieb Medwedew am Freitag auf Telegram. Mit den „bestickten Gewändern“ spielte er auf die traditionelle Tracht der Ukrainer an. Die Antwort auf solche Angriffe werde „unter Umständen“ nicht gegen Kiew gerichtet sein, drohte er. „Und das nicht nur mit konventionellem Sprengstoff, sondern auch mit Spezialmunition.“ Dies sollten auch die „nicht vollständig ausgebildeten Idioten Seiner Königlichen Hoheit“ verstehen, sagte der für polemische Äußerungen bekannte Politiker an Großbritannien gerichtet.

Der britische Außenminister David Cameron hatte der Ukraine vor einigen Tagen bei seinem Besuch in Kiew erneut Unterstützung zugesichert. Der britischen Nachrichtenagentur PA zufolge betonte er während seiner Reise, es liege an Kiew zu entscheiden, wie die Ukrainer gelieferte Waffen einsetzen. Russland habe die Ukraine angegriffen und die Ukraine habe das Recht zurückzuschlagen. Auf die Frage, ob dies Ziele in Russland einschließe, sagte er demnach: „Das ist eine Entscheidung für die Ukraine und die Ukraine hat dieses Recht.“

Das russische Außenministerium hatte bereits ebenfalls gegen diese Aussagen Camerons protestiert und mit Gegenschlägen gedroht. Sowohl Frankreich als auch Großbritannien unterstützen die Ukraine mit der Lieferung von Marschflugkörpern.

Medwedew galt in seiner Amtszeit als russischer Präsident (2008 bis 2012) als moderater und liberaler Politiker. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine vor mehr als zwei Jahren vertritt er extreme Positionen. (dpa)

Beginn der russischen Offensive bei Charkiw

Die russische Armee scheint die von den ukrainischen Verteidigern erwartete Großoffensive begonnen zu haben: Über die Landesgrenze hinweg greifen starke russische Kräfte an – mit dem operativen Ziel, näher an die ostukrainische Millionenstadt Charkiw zu rücken. Die Offensive sei nicht überraschend gekommen, erklärte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in seiner Videoansprache am Freitagabend. „Wir kennen die Stärke der Truppen des Besatzers und sehen ihren Plan“, sagte er. „Unsere Soldaten, unsere Artillerie und unsere Drohnen reagieren auf die Besatzer.“ In einem ersten Ansturm konnten die russischen Einheiten vier kleinere Dörfer unmittelbar hinter der Grenze erobern.

Die Ukraine verteidigt sich seit mehr als zwei Jahren gegen den russischen Angriffskrieg. Um den jüngsten Großangriff erfolgreich abzuschlagen, benötige das Land nun Unterstützung aus dem Ausland. „Was wirklich hilft, sind die Waffen, die tatsächlich in die Ukraine gebracht werden, und nicht nur angekündigte Pakete“, sagte Selenskyj.

Der ukrainische Staatschef dankte US-Präsident Joe Biden für das neueste Hilfspaket der US-Regierung. Das Außenministerium in Washington teilte am Freitag mit, das Paket habe einen Umfang von rund 400 Millionen US-Dollar (rund 371 Millionen Euro). Es beinhalte unter anderem Munition für das Luftabwehrsystem Patriot, weitere Mehrfachraketenwerfer vom Typ Himars mit Munition sowie Stinger-Flugabwehrraketen und Artilleriemunition mit den Kalibern 155 und 105 Millimeter. „Das ist es, was wir brauchen“, sagte Selenskyj. Nunmehr müsse an der Logistik gearbeitet werden, um alle Waffen so schnell wie möglich an die Front zu bringen.

Nach einer monatelangen innenpolitischen Hängepartie hatte der US-Kongress Ende April milliardenschwere Hilfen für die Ukraine gebilligt – und damit den Weg für neue Waffenlieferungen freigemacht. Das Gesetz sieht Hilfen im Umfang von rund 61 Milliarden US-Dollar (57 Milliarden Euro) für Kiew vor. Die US-Regierung hatte die Freigabe des Geldes vom Parlament lange und vehement gefordert. Die vorherigen US-Mittel für Ukraine-Hilfen waren Ende des vergangenen Jahres ausgelaufen. Neue Unterstützung aus Washington blieb damit über Monate weitgehend aus, die ukrainischen Truppen mussten unter anderem wegen Munitionsmangels an einigen Frontabschnitten den Rückzug antreten.

Nach der Freigabe neuer Mittel vor etwa zweieinhalb Wochen brachte die US-Regierung bereits mehrere milliardenschwere Pakete mit neuer Militärausrüstung für die Ukraine auf den Weg. Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen das Land haben die Vereinigten Staaten nach Pentagon-Angaben militärische Hilfe in Höhe von rund 50,6 Milliarden US-Dollar (rund 47 Milliarden Euro) für Kiew bereitgestellt. (dpa)

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