Autorin Oksanen zu Putins Antifeminismus: „Es geht gegen Gleichberechtigung“

Das neue Buch von Sofi Oksanen heißt „Putins Krieg gegen die Frauen“. Die Bestsellerautorin über die Verbindung von Antifemimismus und Ukrainekrieg.

Sofi Oksanen lehnt sich an eine Garderobe

Sofi Oksanen kämpft gegen das Imperiale Russland Putins Foto: Stina Stjernkvist/TT/imago

literataz: Frau Oksanen, Sie beschreiben in Ihrem Essay, wie das russische Regime einen Krieg gegen Frauen führt, sowohl durch konkrete Gewalt als auch ideell. Ist Frauenfeindlichkeit per se ein Symptom des Totalitarismus?

Sofi Oksanen: Ein Hauptaugenmerk des Putin-Regimes ist es, Frauen von der Macht fernzuhalten und Männer an der Macht zu halten. Wer beobachtet hat, wie es Frauen und sexuellen Minderheiten in Russland in jüngerer Zeit erging, dürfte nicht überrascht sein ob der Entwicklung zur patriarchalen Diktatur.

Es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen dem Antifeminismus in Russland und dem Ukrai­ne­krieg: Die Ukraine repräsentiert alles, was der Kreml ablehnt – zum Beispiel, dass Frauen mehr Macht haben. Die Ukraine schickt auch Soldatinnen an die Front, hat rund 5.000 weibliche Offiziere, Präsident Selenskyj ehrt viele von ihnen mit der Ehrenmedaille „Held der Ukrai­ne“. Es ist definitiv auch ein Krieg um die Gleichberechtigung der Geschlechter.

Die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas wurde kürzlich in Russland zur Fahndung ausgeschrieben, auch Julia Nawalnaya dürfte in höchster Gefahr schweben, wenn sie nun die Rolle ihres toten Mannes übernehmen sollte.

47, ist eine finnisch-estnische Schriftstellerin. Sie stammt aus Jyväskylä (Finnland), ihr Vater ist Finne, ihre Mutter Estin. Oksanen studierte Literaturwissenschaft und Dramaturgie, als Schriftstellerin wurde sie schon mit ihrem Debüt „Stalins Kühe“ bekannt. Sie hat mehrere Romane veröffentlicht, „Putins Krieg gegen die Frauen“ ist ihr erstes auf Deutsch erschienenes Sachbuch.

Der Kreml greift gezielt Politikerinnen an, das ist seine Strategie. Der internationale Haftbefehl gegen Kaja Kallas ist eines der Beispiele dafür. Es gibt eine Menge Desinformationskampagnen gegen westliche Politikerinnen, die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock war ein Ziel dieser Attacken. Dass jetzt Julia Nawalnaya ins Visier genommen wird, zeigen etwa im Netz geteilte Bilder, die sie angeblich mit ihrem neuen Freund zeigen sollen.

Sie erwähnen Putins Hausphilosophen Alexander Dugin, der die „Demaskulinisierung“ Russland befürchtet, von da ist es nicht weit zu Putins homophobem Feindbild „Gayropa“. Sind Chauvinismus und Antifeminismus Teil des russischen Identitätsgebildes?

Die russische Identitätsbildung und die Geschichte könnten ganz anders aussehen, wenn das Land ein demokratisches System gehabt hätte, wenn mehr Frauen an der Macht gewesen wären oder wenn die Macht der Sicherheitsorgane geringer gewesen wäre. ­

Putins Idee von der russischen Identität schließt Frauen aus. Anders war das etwa in Nawalnys Team, in seinem engsten Umkreis waren viele Frauen. Er benachteiligte niemanden aufgrund seiner geschlechtlichen Identität, er wollte einfach die talentiertesten und fähigsten Personen. Grundsätzlich kann man sagen, dass Russland ein Identitätsproblem hat: Die baltischen Staaten oder auch Polen verfügten immer über eine recht klare nationale Identität.

Eine eigenständige russische Identität aber gab es nicht. Nicht zu Sowjetzeiten, nicht heute. Die russische Identität ist nur auf Kolonisierung aufgebaut.

Einer der Gründe für Sie, dieses Buch zu schreiben, waren Vergewaltigung und Folter, die Ihre Großtante während der Besetzung Estlands durch die Sowjetunion erlitten hat.

Ja. Meine Großtante hat sich danach völlig aus der Welt zurückgezogen, nie darüber gesprochen. Ihr Fall hat mir gezeigt, dass erlittene sexuelle Gewalt etwas ist, das einen für den Rest des Lebens begleitet. Man kann sie nicht mit jeder anderen Kriegsverletzung vergleichen, sie ist ein Trauma. Die Wunden, die ein Opfer in sich trägt, sollten genauso anerkannt werden wie körperliche Schäden bei Kriegsversehrten.

Was ist mit finanzieller Entschädigung von Vergewaltigungsopfern?

Es könnte noch ein langer Weg sein, bis es Schmerzensgeldzahlungen geben wird. Wir sollten auch über Arbeitsunfähigkeit bei den Opfern sprechen. Eine finanzielle Entschädigung wäre ein Zeichen, dass sexuelle Gewalt ernst genommen wird.

Was muss in der (westlichen) Öffentlichkeit und Politik geschehen, damit sexuelle Gewalt noch mehr als systemischer Teil eines Krieges begriffen wird?

Es gibt eine positive Entwicklung: Wir haben viel mehr Frauen im Journalismus, mehr Forscherinnen, Staatsanwältinnen und Richterinnen. Durch sie gibt es eine andere Sensibilität als in einer komplett männerdominierten Öffentlichkeit. Die MeToo-Bewegung hat viel verändert und dazu beigetragen, dass das Schamgefühl aufseiten der Opfer vielleicht weniger wird. Aber Sexualverbrechen sind in der Vergangenheit ziemlich unterbelichtet geblieben. Bei den Nürnberger Prozessen gab es keine Verurteilungen wegen Vergewaltigungen, obwohl wir genau wissen, dass sie zum Verbrechensrepertoire des Nazi-Regimes gehörten.

Warum wird sexuelle Gewalt noch heute im Krieg so wenig geahndet?

Die Verfolgung sexueller Straftäter in Kriegen ist eine große Herausforderung für unser Rechtssystem. Das ist sicher auch ein Problem des Geldes. Erst mal brauchen wir aber den politischen Willen, um Sexualdelikte im Krieg aufzuklären und um die Täter anzuklagen. In der Ukraine gibt es so viele derartige Kriegsverbrechen, dass eine Aufklärung ohne internationale Hilfe nicht möglich ist.

Sofi Oksanen: „Putins Krieg gegen die Frauen“. Aus dem Finnischen von A. Plöger und M. Murmann. Kiepenheuer & Witsch,Köln 2024, 336 Seiten, 24 Euro

Bleibt sexuelle Gewalt zu sehr Randnotiz?

Ja. Ich verstehe auch, dass manchmal andere Dinge kriegsentscheidend sind, zum Beispiel, dass die Ukraine definitiv mehr Munition braucht. Aber sexuelle Gewalt sollte ein selbstverständlicher Teil der Diskussion sein. Meist wird nur über besonders grausame Ereignisse zu diesem Thema berichtet, als wäre es etwas Separates. Es sollte normal sein, darüber zu reden. Dann gäbe es weniger Scham und Einsamkeitsgefühle auf Opferseite.

Welche Rolle spielt Frauenhass im Netz, wenn wir über sexuelle Gewalt generell sprechen?

Es gibt online viel Hass, der sich explizit gegen Frauen richtet, auch in Finnland. Finnland steht immer weit oben im Gender Equality Index, und doch werden auch hier Politikerinnen, Journalistinnen, Polizistinnen, Richterinnen mit geschlechtsspezifischem Hass überzogen. Also Menschen, die das Fundament unseres demokratischen Systems bilden. Aus Onlinehetze wird schnell tatsächliche Gewalt.

Noch mal zurück zu Russland: Sie beschäftigen sich auch mit Putins Narrativ von den chaotischen neunziger Jahren, von denen er sein Land erlöst habe. Für Sie trägt diese Erzählung frauenfeindliche Züge. Welche?

Ganz einfach: Es war für den Kreml die Zeit, als all die schlechten westlichen Einflüsse ins Land kamen, einschließlich der Feministinnen und des Frauenaktivismus. Mit den Folgen hatte und hat Putin zu kämpfen, man denke an Pussy Riot.

Eine Ihrer Forderungen ist es, dass Russland alle Verbrechen des Stalinismus und des Kolonialismus aufarbeitet – dieses Ziel ist in weiter Ferne, oder?

Ja, weil zunächst einmal eine Niederlage Russlands in diesem Krieg erforderlich wäre. Die Niederlage ist aber etwas, das die westlichen Länder nicht zu thematisieren wagen. Klar ist aber: Russland wird sich nicht freiwillig mit seiner Vergangenheit auseinandersetzen oder anerkennen, dass der Kolonialismus ein Problem ist.

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