Romane von Joan Didion übersetzt: Wenn Hippies lügen

Joan Didion, die brillante Essayistin, hat auch Romane geschrieben. Lesenswert! Auch wenn nicht alle so großartig sind wie ihre großen Reportagen.

Porträtaufnahme der Schriftstellerin Joan Didion, 1972

Drastische Beschreibungen: Joan Didion in Malibu, 1972 Foto: Henry Clarke/Condé Nast/Pond5/imago

Es gibt Joan-Didion-Momente, die man nicht vergisst. Zum Beispiel: ein Besuch im Tonstudio der Doors, auf Jim Morrison wartend, jene personifizierte Verheißung der neuen Zeit in schwarzen Lackhosen ohne Unterwäsche. Oder: ein Gefängnisbesuch beim Black-Panther-Mitgründer Huey P. Newton, bei dem die Reporterin erfolglos versucht unideologische Sätze aus ihm herauszupressen.

Dann: Blumen pflücken mit Nancy Reagan in deren Garten in Sacramento/Kalifornien. Brillant beobachtet und beschrieben sind ihre politischen Reportagen und Essays aus den 1960er und 1970er Jahren mit derlei Szenenmaterial; nachzulesen sind sie in „Das weiße Album“, das 2022 in einer neuen Ausgabe erschienen ist.

Joan Didion: „Play it as it lays“. Aus dem Englischen von Antje Rávik Strubel, Ullstein, Berlin 2023, 240 Seiten, 23 Euro

Joan Didion: „Wie die Vögel unter dem Himmel“. Aus dem Englischen von Antje Rávik Strubel. Ullstein, Berlin 2023, 336 Seiten, 24 Euro

Für diese Essays ist die große amerikanische Autorin Joan Didion, die 2021 im Alter von 87 Jahren gestorben ist, weltberühmt geworden. Es gibt wohl niemanden, der über den kalifornischen Traum und Albtraum jener Zeit, über blumige Hippie-Ideale und Hippie-Lügen so dicht und präzise geschrieben hat wie sie. Ihre Romane sind dagegen weit weniger bekannt. Zwei von ihnen hat Ullstein jetzt neu aufgelegt: „Play it as it lays“ aus dem Jahr 1970 und „Wie die Vögel unter dem Himmel“ (im Original „A Book of Common Prayer“, 1977). Antje Rávic Strubel, die auch schon die Essays ins Deutsche übertragen hatte, hat sie neu übersetzt.

In „Wie die Vögel unter dem Himmel“ entwirft Didion eine fiktive mittelamerikanische Republik namens Boca Grande, einen korrupten und autokratischen Staat. Didion erzählt – über ihre Erzählerfigur – vor allem die Geschichte von Charlotte und ihrer Tochter. Charlotte ist aus Kalifornien nach Boca Grande gekommen, um ihre Tochter Marin zu suchen.

Marin hat sich einer terroristischen revolutionären Gruppierung angeschlossen und spricht wie ein marxistischer Wortautomat; in jedem zweiten Satz kommen die Worte „revolutionärer Prozess“ und „herrschende Klasse“ vor. Ihre Mutter mäandert auf ihrer Suche nach der Tochter seltsam unbeteiligt durch dieses Land; die Tochter kommt zunächst überwiegend in Erzählungen vor. Als sie dann auftaucht, wirkt sie, so superdogmatisch, wie sie dargestellt wird, überzeichnet.

Wie riecht amerikanisch?

Das politische Setting dient hier eher dazu, Figurenkonstellationen auszustaffieren. Mit den Charakteren wiederum kann man aber kaum Empathie empfinden, dazu erzählt Didion zu wenig aus deren Innenleben. Wenn solche Andeutungen vorkommen, zum Beispiel, als Charlotte über ihren dissoziativen Charakter sinniert und darüber, „was sie das ‚Abgeschnittensein‘ nannte“, beginnt es spannend zu werden – doch werden diese nicht weiter verfolgt.

Die Gegensätze zwischen den kalifornischen Ankömmlingen und der Bevölkerung in Boca Grande werden zum Teil hübsch und polemisch beschrieben, da hat der Roman große Momente („Sie riechen amerikanisch. Ich frage mich, wie amerikanisch eigentlich genau riecht. Norteamericana-Fotze.“). Als großer politischer Roman – der er von der Anlage her sein könnte – ist „Wie die Vögel unter dem Himmel“ dennoch nicht gelungen, dazu ist die Erzählung zu wenig aus einem Guss.

Der andere Roman, „Play it as it lays“, ist thematisch ein echter Didion-Classic. Der Titel – „Play it as it lays“ – bezieht sich auf die Redewendung, nach der man beim Kartenspiel mit dem Blatt leben muss, das man zugewiesen bekommen hat. Der Roman handelt von der ehemaligen Hollywood-Schauspielerin Maria Wyeth­, die in einer psychiatrischen Klinik behandelt wird und auf ihre Karriere und ihr bisheriges Leben zurückblickt. Sie denkt an ihre in die Brüche gegangene Ehe und an viele Affären, an ihre beeinträchtigte Tochter, die in einer Einrichtung betreut wird, an eine Abtreibung, zu der sie einst gedrängt wurde.

Verdrogte Hollywood-Welt

Gut hatte sich Maria Wyeth in ihrem Leben immer nur dann gefühlt, wenn sie allein mit dem Auto über die Highways gebraust war. Ihr Zusammenbruch und ihr Klinikaufenthalt könnte in Zusammenhang stehen mit dem Tod ihres Freundes, der nur mit dem Akronym „BZ“ benannt wird (zugleich übrigens Abkürzung für den damals beliebten Tranquilizer Benzodiazepin) und der sich das Leben genommen hat – ganz klar wird das nicht.

Hervorragend sind die Beschreibungen der alten und verdrogten Hollywood-Welt um Maria Wyeth herum, man fühlt sich bisweilen an Fassbinders „Die Sehnsucht der Veronika Voss“ erinnert, vor allem bei den Dialogen. „Play it as it lays“ ist konsequenter und stringenter erzählt als „Wie die Vögel unter dem Himmel“.

Der Roman ermöglicht mit seinen Leerformeln aus den Hollywoodzirkeln auch mehr Gegenwartsbezug, man ersetze „kalifornische Schauspielerszene“ durch „kalifornische Start-up-Szene“ und könnte eine zeitgenössische Adaption erzählen.

Manche mögen den Roman mit seinen drastischen Beschreibungen der Abtreibung auch feministisch lesen, im Vordergrund steht allerdings ein kommunikativ zerstörtes Soziotop, in dessen Trümmern man erfolglos nach echten menschlichen Regungen sucht. In diesen Beschreibungen ist Joan Didion brillant wie in ihren Essays.

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