Streubombenlieferungen an die Ukraine: Zu viel Verständnis in Berlin

Die Ankündigung der USA, Streubomben in die Ukraine zu liefern, ist stark umstritten. Die Zurückhaltung der Bundesregierung ist fehl am Platz.

Amerikanische Soldaten laden Streumunition in ein Panzerfahrzeug

Von Biden freigegeben: Streumunition, hier verladen von US-Militärs 2016 Foto: Gabriel Jenko/reuters

Nicht explodierte Sprengkörper aus Streubomben, die die USA vor Jahrzehnten in Vietnam, Laos und Kambodscha und später im Irakkrieg eingesetzt hatten, fordern nach wie vor jährlich Hunderte Todes- und Verstümmelungsopfer unter der Zivilbevölkerung der betroffenen Länder. Humanitäre Hilfsorganisationen rechnen mit bis zu weiteren 50 Jahren bis zur vollständigen Räumung dieser Munition.

Eine ähnliche Gefährdung droht der ukrainischen Zivilbevölkerung. Verantwortlich dafür ist in erster Linie die Streumunition, die die russischen Angreifer bereits Hunderte Male einsetzten. In deutlich geringerem Umfang haben aber auch die ukrainischen Verteidigungsstreitkräfte bereits Gebrauch von Streumunition gemacht. Die jetzt von der US-Administration geplante Lieferung von Streubomben an Kyjiw wird die Gefährdung der ukrainischen Zivilbevölkerung noch erhöhen.

Bis zu 3,7 Millionen Streubomben mit jeweils rund 80 Sprengkörpern könnte das Pentagon der Ukraine zur Verfügung stellen. Die von US-Präsident Joe Biden demonstrierte „Zuversicht“, von diesen insgesamt rund 300 Millionen Sprengköpfen würden lediglich „unter 2,35 Prozent“ Blindgänger bleiben, ist grob verharmlosend und irreführend. Der Rechnung nach wären das noch immer knapp 7 Millionen nicht explodierte Sprengköpfe. Außerdem sind die „2,35 Prozent“ das Ergebnis von Labortests.

Blindgängerquote zwischen 20 und 40 Prozent

In rea­len Kriegen, in denen diese US-Streumbomben in den letzten 20 Jahren zum Einsatz kamen, wie in Irak, Libyen oder durch Saudi-Arabien im Jemen, lag die Blindgängerquote zwischen 20 und 40 Prozent. Während Spanien und Großbritannien die Lieferentscheidung der USA kritisieren, zeigt die Bundesregierung Verständnis. In der Ukraine bestehe „eine besondere Konstellation“, da „die Ukraine eine solche Munition zum Schutz der eigenen Zivilbevölkerung einsetzt“, erklärte Regierungssprecher Steffen Hebestreit.

Zudem habe „Russland bereits in großem Umfang Streumunition eingesetzt“. Mit dieser Haltung missachtet die Bundesregierung das humanitäre Völkerrecht. Dessen Bestimmungen zum Schutz der Zivilbevölkerung gelten unterschiedslos für den Angreifer wie für den Angegriffenen. In derselben Logik könnte die Ampelkoalition demnächst auch die bereits im Februar von der Regierung Wolodimir Selenskis geforderte Lieferung von Phosphorwaffen an die Ukraine rechtfertigen, sollte Russland derartige Waffen einsetzen.

Zudem missachtet die Bundesregierung ihre Verpflichtungen des Oslo-Abkommens zum Verbot von Streumunition. Danach müsste sie versuchen, „Staaten, die dem Abkommen nicht angehören“, vom Streumunitionsgebrauch abzuhalten.

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Journalist und Buchautor, Experte für internationale Beziehungen und Konflikte. Von 1988-2020 UNO- und Schweizkorrespondent der taz mit Sitz in Genf und freier Korrespondent für andere Printmedien, Rundfunk-und Fernsehanstalten in Deutschland, Schweiz,Österreich, USA und Großbritannien; zudem tätig als Vortragsreferent, Diskutant und Moderator zu zahlreichen Themen der internationalen Politik, insbesondere:UNO, Menschenrechte, Rüstung und Abrüstung, Kriege, Nahost, Ressourcenkonflikte (Energie, Wasser, Nahrung), Afghanistan... BÜCHER: Reform oder Blockade-welche Zukunft hat die UNO? (2021); Globales Chaos-Machtlose UNO-ist die Weltorganisation überflüssig geworden? (2015), Die kommenden Kriege (2005), Irak-Chronik eines gewollten Krieges (2003); Vereinte Nationen (1995) AUSZEICHNUNGEN: 2009: Göttinger Friedenspreis 2004:Kant-Weltbürgerpreis, Freiburg 1997:Goldpreis "Excellenz im Journalismus" des Verbandes der UNO-KorrespondentInnen in New York (UNCA) für DLF-Radiofeature "UNO: Reform oder Kollaps" geb. 1954 in Köln, nach zweijährigem Zivildienst in den USA 1975-1979 Studium der Sozialarbeit, Volkswirtschaft und Journalismus in Köln; 1979-81 Redakteur bei der 1978 parallel zur taz gegründeten Westberliner Zeitung "Die Neue"; 1981-87 Referent bei der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste, verantwortlich für die Organisation der Bonner Friedensdemonstrationen 1981 ff.; Sprecher des Bonner Koordinationsausschuss der bundesweiten Friedensbewegung.

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