Abschiebung von Gefährdern: Neue Härte

36 Islamisten wurden zuletzt aus Deutschland abgeschoben – ein beachtlicher Anstieg. Dieses Vorgehen ist juristisch heikel.

Ein Lkw zwischen zerstörten Weihnachtsmarktbuden

Zäsur in der Gefährder-Debatte: Der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin 2016 Foto: dpa

BERLIN taz | Am Dienstag war es so weit: Jabar N. saß im Flieger nach Afghanistan. 19 Abzuschiebende waren an Bord der Maschine von Düsseldorf nach Kabul. Jabar N. aber war ein besonderer Passagier: Der 22-Jährige wurde als Gefährder ausgewiesen. Monatelang hatte sein Fall die Thüringer Behörden beschäftigt. Nun fand er für sie einen Abschluss.

Die Vorwürfe gegen Jabar N. wogen schwer: Noch als Jugendlicher soll er in Afghanistan für die Taliban gekämpft, sich an mindestens 30 Gefechten beteiligt haben. Im Sommer 2015 flüchtete N. dann nach eigenen Angaben nach Deutschland. Dort landete er in Thüringen. N.s Asylantrag wurde im Mai 2017 abgelehnt, er setzte sich nach Frankreich ab – und wurde zurück abgeschoben.

Dann stießen die Behörden auf seine Vergangenheit: Jabar N. wurde als Gefährder eingestuft, die Bundesanwaltschaft schaltete sich ein. Kurz vor Weihnachten wurde der Afghane festgenommen – und nun abgeschoben. Thüringens Innenminister ­Georg Maier (SPD) sprach von einer „konsequenten Durchsetzung geltenden Rechts“.

Jabar N. ist kein Einzelfall. Lange taten sich die Innenbehörden der Länder schwer mit islamistischen Gefährdern. Rund 740 Personen bundesweit fasst die Polizei aktuell darunter, die Hälfte ohne deutsche Staatsbürgerschaft. Sie definiert damit Personen, denen politische Straftaten „von erheblicher Bedeutung“ zuzutrauen seien – die aber noch nicht unbedingt eine Tat begangen haben. Zwar ermöglicht der Paragraf 58a des Aufenthaltsrechts bereits seit 2004 auch Ausweisungen von Gefährdern, wenn auch nur eine „Gefahr für die Sicherheit“ Deutschland vorliegt. Gebrauch gemacht wurde davon indes jahrelang nicht.

Seit dem Anschlag des Tunesiers Anis Amri auf den Berliner Breitscheidplatz im Dezember 2016 hat sich das geändert. Auch er war als Gefährder eingestuft. Nach einer taz-Umfrage in allen Bundesländern wurden seit Anfang 2017 36 Gefährder abgeschoben. Die meisten in Nordrhein-Westfalen (8), Baden-Württemberg (6) und Berlin (5). Zielländer waren vor allem die Maghreb-Staaten: Algerien, Tunesien, Marokko. Aber auch Afghanistan, Russland, die Türkei, Nigeria, Serbien oder der Irak.

Seit dem Anschlag des Tunesiers Anis Amri auf den Berliner Breitscheidplatz im Dezember 2016 änderte sich das Vorgehen der Behörden

Das Bundesinnenministerium spricht gar von 60 Gefährdern, die 2017 ausgewiesen wurden. In den zusätzlichen Fällen half oft ein Kniff: Diese Islamisten waren auch straffällig geworden, sie wurden als Kriminelle abgeschoben. Oder sie waren als abgelehnte Asylbewerber ohnehin ausreisepflichtig.

Nach dem jahrelangen Stillstand sind die Zahlen ein beachtlicher Anstieg. Lange wurden Abschiebungen von Gefährdern ohne nachweisbare Straftaten als aussichtslos betrachtet. Nach dem Anschlag in Berlin aber kündigten die Innenminister unisono ein härteres Vorgehen an. NRW, wo Anis Amri gemeldet war, stand in der Kritik, eine Abschiebung des Tunesiers nicht forciert zu haben.

Den Auftakt der jetzigen Ausweisungswelle machte im Februar 2017 Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD). Er berief sich auf den Paragraf 58a und ließ einen 27-jährigen Algerier und einen 23-jährigen Nigerianer abschieben, beide als Gefährder eingestuft. Konkrete Taten konnte die Behörden ihnen nicht nachweisen. Das Bundesverwaltungsgericht aber bestätigte die Ausweisungen: Es gebe „vielfältige Anhaltspunkte“, die ein „Risiko einer sicherheitsgefährdenden oder terroristischen Tat“ durch die beiden bestätigten. Pistorius sprach von „rechtlichem Neuland“. Niedersachsen gehe „entschlossen im Kampf gegen Extremisten“ vor.

Nach der Entscheidung zogen andere Länder nach. So schob NRW zuletzt den 21-jährigen Ahmet Y. in die Türkei ab. Eine Straftat hatte der gebürtige Paderborner noch nicht begangen, er war 2017 aber nach Ägypten gereist. Beamte entdeckten in seinem Koffer 6.000 Euro und eine Mütze mit IS-Logo, auf seinem Handy Hinrichtungsvideos. Y. wurde nach Deutschland zurückgeschickt. Nun ist er in der Türkei. In Berlin wurde der Gefährder Mohamed A., ein seit Langem inhaftierter Libanese, ausgewiesen. In Bremen traf es Oussama B. Der 37-Jährige soll den IS und Amris Anschlag in Berlin gepriesen und mit einem Selbstmordanschlag seines Bruders geprahlt haben. Sein Fall beschäftigte monatelang die Gerichte.

In NRW sind 13 Gefährder ausreisepflichtig

Eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums nannte am Mittwoch die verstärkten Abschiebungen einen „Erfolg“. „Es gibt in diesem Bereich eine sehr koordinierte Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern.“

Die spielt sich vor allem im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum in Berlin ab. In der dortigen „AG Status“ wurden in den letzten Monaten alle Gefährder noch einmal auf Abschiebemöglichkeiten geprüft. Und die Länder sind noch nicht am Ende: Allein NRW zählt derzeit noch 13 ausreisepflichtige Gefährder. „Wir werden versuchen, mit allen rechtsstaatlichen Mitteln unsere Gesellschaft vor Gefährdern zu schützen“, sagt der dort zuständige Integrationsminister Joachim Stamp (FDP).

Dennoch bleiben die Abschiebungen umstritten: Denn nur die Polizei bestimmt, wer ein Gefährder ist. Die Grünen warnen, das Asylrecht nicht zu einem „Ersatz-Sicherheitsrecht“ zu machen. Die Gerichte aber störten sich an diesem Punkt bisher nicht. So ließ sich das Bundesverwaltungsgericht in den beiden Niedersachsen-Fällen „Erkenntnismaterial“ der Behörden vorlegen: Der Algerier und der Nigerianer gehörten zur salafistischen Szene, hätten mit dem IS sympathisiert und Gewalttaten mit Waffen angekündigt. Das genügte.

Höhere Hürden indes setzen die Gerichte, wenn es um den Umgang mit Gefährdern in den Herkunftsländern geht. Den Islamisten droht dort teils Folter oder Todesstrafe. Die Länder müssen daher Zusicherungen der Herkunftsländer einholen, dass den Abzuschiebenden dies erspart bleibt. So war es auch im Fall Oussama B. aus Bremen. Hier befanden die Gerichte die Garantie Algeriens für nicht ausreichend. Am Ende war es Bundespolizeichef Dieter Romann persönlich, der von Algeriens Polizeichef die Zusage bekam, fair mit dem Islamisten umzugehen. Der Durchbruch.

Und die Innenminister schmieden schon weitere Pläne. In Bremen prüft Innensenator Mäurer derzeit, hiesigen IS-Anhängern mit Doppelpass die deutsche Staatsangehörigkeit zu entziehen. Dies komme der Mitgliedschaft in einer ausländischen Armee gleich, so der SPD-Mann. „Notfalls müssen wir Gesetze ändern.“

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