taz-lab-Kolumne S(ch)ichtwechsel #1: Wen die Spaltung betrifft

Wie sieht die Spaltung der Gesellschaft eigentlich aus? Unsere Autorin blickt für die Antwort durchs „Berliner Fenster“ auf die ganze Welt.

Frau mit Maske im Fenster eines gelben Berliner U-Bahn-Waggon

Der Blick durchs Berliner Fenster zeigt die Notwendigkeit von Verantwortung Foto: Annette Riedl / dpa

Von SHAYNA BHALLA

In unserer taz-lab-Kolumne S(ch)ichtwechsel schreiben unsere Autor:innen wöchentlich über Klima und Klasse.

taz lab, 21.01.2022 | Mit Sicherheit findet sie sich auch in dieser taz, die zur Floskel verkommene Bedrohung durch die „Spaltung der Gesellschaft“. Aber hat sich mal jemand damit beschäftigt, wie das eigentlich konkret aussieht? Wer spaltet wen und wieso eigentlich?

Während ich in der U-Bahn sitze und durch das „Berliner Fenster“, dem Fahrgastfernsehen von Berlin, von der Spaltung der Gesellschaft erfahre, scheint mir meist, bis auf die klassischen Vorkommnisse – ihr wisst schon –, alles recht friedlich. Keine akute Spaltung in Sicht.

Völlig gestresst

Für viele von uns ist diese Pandemie die erste andauernde Erfahrung einer Krise, die global wie auch individuell so stark spürbar ist. Die meisten von uns sind Newbies, zum Glück. Viele sind völlig gestresst und haben auch allen Grund dazu.

Doch den Stress verursacht bei den meisten von uns, die nun mal nicht in einer politischen Funktion stehen und sich salzarm ernähren, keine abstrakte Spaltung einer für viele ohnehin schon abstrakten Gesellschaft.

Armut, Gesundheit, Überforderungen

Den Stress verursachen hauptsächlich Armut, Überforderungen, Gesundheit – also die individuellen Lebensrealitäten. Der Fokus auf ein abstrahiertes Spaltungsnarrativ vernebelt uns den Blick. Denn diejenigen, die unter den Auswirkungen der Pandemie am spürbarsten leiden, sind oft ohnehin schon kein Teil der Gesellschaft.

Meine Vermutung: Mit den kommenden Jahren und den Herausforderungen, vor die uns die Klimakrise stellt, wird es sich ähnlich verhalten. Ob sich nun alle einig darüber sind, wie jene zu bewältigen und was die Ursachen dafür sind, ist vorerst irrelevant. Was zählt sind Lebensrealitäten, die es zu verbessern und vor weiteren Krisen zu schützen gilt.

Mehr Gerechtigkeit einfordern!

Es kann nicht sein, dass jeder Dissens innerhalb der deutschen Mittel- und Oberschicht zu einer angeblich gespaltenen Gesellschaft hochdramatisiert wird, während sich global gesehen die allermeisten mit völlig anderen Problemen rumschlagen müssen. Sie sind nicht mitgemeint, wenn von einer gespalteten Gesellschaft gesprochen wird – dabei werden sie überall auf der Welt am meisten betroffen sein: arme Menschen, Menschen der Unterschicht, der untersten Kaste, gemeinsam mit ihren Kindern.

Was wir brauchen ist eine Politik, die die globale Perspektive der Betroffenheit nicht scheut, und eine Gesellschaft, die trotz Uneinigkeiten mehr Gerechtigkeit einfordert.