Vorwürfe gegen Popstar: Nicht Lizzo!

Die Sängerin hat Feminismus zu ihrem Markenzeichen gemacht. Nun werfen ihr ehemalige Tänzerinnen Belästigung und Diskriminierung vor.

Lizzo steht auf der Bühne vor einem schwarzen Hintergrund und singt

Konzert-Atem­pausen nutzte Lizzo, um Selbstliebe und Body-Positivity zu predigen Foto: Valeria Magri/ZUMA Wire/imago

Waren Sie schon einmal bei einem Konzert, bei dem sich einfach alles perfekt angefühlt hat? Die Musik, das Publikum und die Stimmung? Ich schon. Es war im Sommer 2019, die Karriere der Sängerin Lizzo ging gerade so richtig los, als sie vor rund 1.000 Fans im Festsaal Kreuzberg in Berlin aufgetreten ist. Ihre Energie und die ihrer vier Tänzerinnen auf der Bühne war ansteckend, das Konzert verging wie im Flug. Lizzo wechselte im Minutentakt zwischen getragener Ballade, Rap- und Twerk-Parts.

Die Atempausen nutzte sie für persönliche Anekdoten oder um Selbstliebe und Body-Positivity zu predigen. Dieser Abend fühlte sich so an, als hätte Lizzo für einen ganz persönlich performt, und das Publikum wurde innerhalb von 90 Minuten von Fremden zu Freund_innen.

Das klingt kitschig, übertrieben, das ist mir bewusst, aber so hat es sich angefühlt. Und seit diesem Abend war ich das erste Mal seit langer Zeit wieder Fan von jemandem. Lizzo spielt mittlerweile in der Liga der ganze Großen – mit Beyoncé, Billie Eilish oder Taylor Swift. Doch im Gegensatz zu ihren Kolleginnen versucht sie nicht nur, mit vereinzeilten feministischen Botschaften mit der Zeit zu gehen. Ihre ganze Persona beruht auf aktivistischem Einsatz für Schwarze, queere oder auch dicke Menschen.

Denn während viele Diversity predigen und dann doch nur normschöne Tänzerinnen auf die Bühne holen, stehen bei Lizzo immer Schwarze dicke Frauen im Vordergrund. Und dass das in einer Welt voller Diskriminierung und Hass gar nicht immer so einfach ist und ganz schön anstrengend sein kann, teilt sie dann mit ihren Fans auf Instagram. Ihren Hatern begegnet sie radikal, aber mit Witz, regelmäßig landet sie auf Internetlisten der „unproblematischsten und nettesten Promis“.

Auch Schwarze Frauen können rassistisch sein

Doch damit ist nun erst einmal Schluss, denn aktuell stehen harte Vorwürfe gegen Melissa Jefferson, wie Lizzo mit bürgerlichem Namen heißt, im Raum. Am Dienstag haben drei ehemalige Tänzerinnen Lizzo wegen Verstößen gegen das kalifornische Arbeitsrecht verklagt. Es geht dabei um sexuelle, religiöse und rassistische Belästigung, Diskriminierung aufgrund einer Behinderung, Körperverletzung und Freiheitsberaubung.

Eine Sängerin soll bei einer Sex-Show im Amsterdamer Rotlichtviertel von Lizzo gedrängt worden seine, die Brüste einer nackten Frau im Club zu berühren. Eine andere soll entlassen worden sein, weil sie zugenommen und eine Essstörung eingestanden hatte. Nicht alle Vorwürfe richten sich direkt gegen Lizzo, andere an ihre Produk­tionsfirma „Big Grrrl Big Touring“ und die Chefin ihres Tanzteams.

Obwohl ich mich seit dem Aufkommen der #MeToo-Bewegung mit ihr beschäftige und weiß, dass, wo Macht ist, auch Machtmissbrauch stattfindet, haben mich die Vorwürfe vollkommen überrascht. „Nicht Lizzo!“, schrieb ich einer Freundin, „Ich bin schockiert“, einer anderen. Eine Erinnerung daran, dass es immer nach hinten losgeht, wenn man Menschen auf ein zu hohes Podest stellt.

Denn natürlich können auch dicke Menschen andere aufgrund ihres Körpergewichts diskriminieren. Natürlich können auch Schwarze Frauen rassistisch sein. Natürlich können Menschen, die Selbstliebe predigen, wenig liebevoll mit anderen umgehen. Momentan sind es nur Vorwürfe, es gilt die Unschuldsvermutung. Doch wenn mehrere Frauen einer mächtigen Person Machtmissbrauch vorwerfen, dann glaube ich den Frauen.

Hoffnung enttäuscht

Meine Hoffnung war, dass Lizzo mit den Vorwürfen gut umgehen würde. Dass sie aufklären und Fehler eingestehen würde, statt abzubügeln und weiterzumachen, als wäre nichts gewesen. Lizzo hat schon einmal gezeigt, dass sie souverän mit Vorwürfen umgehen kann – zugegeben mit deutlich weniger schwerwiegenderen. Nachdem sie ihr Album „Special“ veröffentlicht hatte, wurde sie von Behindertenaktivist_innen kritisiert, weil sie in ihrem Song „Grrrls“ den ableistischen Begriff „spaz“ verwendete. Daraufhin änderte Lizzo ihre Lyrics und nahm den Song noch einmal neu auf.

Doch dieses Mal wurde meine Hoffnung enttäuscht. Am Donnerstag äußerte sich Lizzo in sozialen Medien zu den Vorwürfen. Sie schrieb: „Eigentlich reagiere ich nicht auf falsche Beschuldigungen, aber diese sind genauso unglaublich, wie sie klingen, und zu abscheulich, um sie nicht anzusprechen.“ Weiter streitet sie die Vorwürfe ab, sie würde niemals jemand wegen seines Gewichts kritisieren oder entlassen. Sie müsse als Musikerin aber manchmal harte Entscheidungen treffen. Statt Einsicht oder Verständnis folgt knallharter Management-Sprech: „Mit Leidenschaft ­gehen harte Arbeit und hohe Standards einher.“

Juristisch hat Lizzo nicht viel zu befürchten. Die Rechts­wissenschaftlerin Diana Reddy sagte der New York Times, dass sie eine außergerichtliche Einigung erwarte, da Verfahren über Diskriminierung am Arbeitsplatz vor Gericht nur selten Erfolg hätten. Doch Lizzo erwartet ein zweites Gericht: ihre Fans. Denn die werden die Vorwürfe nicht einfach wegwischen. Schon jetzt sind die Kommentarspalten voller Enttäuschung und Anklagen.

Nun könnte man meinen, es ist nicht fair, dass an Lizzo höhere Maßstäbe als an andere Promis angelegt werden. Anderen Promis hat man schon viel härtere Vorwürfe durchgehen lassen. Doch Lizzo hat Feminismus, Gemeinschaft und Solidarität zu ihrem Markenzeichen gemacht. Wenn sie ihre Karriere nicht komplett an den Nagel hängen will, sollte sie diese Werte jetzt auch im Umgang mit den Vorwürfen beweisen.

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