Vor Abstimmung über Cannabis: Der Staat sagt Ja zum Joint

Am Freitag stimmt der Bundestag übers Cannabisgesetz ab. Polizei und Justiz üben Kritik daran. Wie legal wird das Kiffen in Deutschland? Ein Überblick.

Drei Hanf-Topfpflanzen vor gelbem Hintergrund.

Drei Topfpflanzen pro Nase sind erlaubt: Am 1. April soll das Cannabisgesetz in Kraft treten Foto: zoonar/imago, Montage: taz

BERLIN taz | An diesem Freitag stimmt der Bundestag über die teilweise Legalisierung von Cannabis ab. Mitnichten ein Nischenthema: Rund 4,5 Millionen Kon­su­men­t*in­nen gibt es allein unter den Erwachsenen. Seit Jahrzehnten wird teils hochemotional über eine Legalisierung gestritten – bis zuletzt. Ein Überblick mit den wichtigsten Fragen und Antworten.

Wie viel Legalisierung kommt jetzt?

Von „Gebt das Hanf frei“ ist das Gesetz relativ weit entfernt. Sprechen wir also besser von einer Teillegalisierung, und die umfasst zum einen den nichtkommerziellen Anbau von Cannabis – im Eigenanbau oder in vereinsmäßig organisierten Cannabis-Clubs. Zum anderen wird der Besitz von bis zu 25 Gramm unterwegs und bis zu 50 Gramm zu Hause legalisiert. Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP war zudem eine „kontrollierte Abgabe von Cannabis zu Genusszwecken an Erwachsene in lizenzierten Geschäften“ vorgesehen – diese Pläne wurden aber auf unbestimmte Zeit vertagt.

Warum brauchen wir überhaupt eine Cannabislegalisierung?

Mit den Worten von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) gesprochen: „Die jetzige Drogen­politik ist gescheitert.“ In diesem Punkt herrscht relativer Konsens. Die Kon­su­men­t*in­nen­zah­len bei jungen Erwachsenen steigen seit Jahren und sind so hoch wie noch nie seit Beginn der Erfassung in den 1970er Jahren. Dabei gilt bei regelmäßigem Konsum die psychische Gesundheit von Heranwachsenden als besonders gefährdet. Die Illegalität hat allerdings breite Debatten und Forschung zu konkreten Risiken und verantwortungsvollem Konsum massiv erschwert. Auf dem Schwarzmarkt sind Produkte mit immer höherem Wirkstoffgehalt und ­gefährlichen Beimischungen unterwegs.

Wer profitiert von der Legali­sierung?

Das Gesetz eröffnet vor allem Menschen, die schon jetzt regelmäßig konsumieren, einen legalen und kontrollierten Zugang zu Cannabis. Bis zu drei Pflanzen dürfen Erwachsene zu Hause anbauen. In den Clubs können bis zu 500 Mitglieder mit Wohnsitz im Inland Cannabis gemeinschaftlich anbauen und untereinander zum Eigenkonsum abgeben – pro Tag höchstens 25 Gramm je Mitglied und im Monat höchstens 50 Gramm. Außerdem soll es nach Inkrafttreten des Gesetzes eine Amnestie von Verurteilungen für Fälle geben, die künftig erlaubt sind.

Das Gesetz sei für „einen sozial akzeptierten Normalkonsumenten“ geschrieben, sagte jüngst die Aktivistin für mehr Gerechtigkeit im Justizsystem, Mitali Nagrecha, im taz-Interview. Diese seien schon jetzt weniger von Kriminalisierung betroffen. Gerade für Menschen mit wenig Ressourcen bleibe der Zugang erschwert. Auch Tou­ris­t*in­nen und Ge­le­gen­heits­kon­su­men­t*in­nen werden weiter auf den Schwarzmarkt oder einen durch Weitergabe des legal angebauten Cannabis entstehenden Graumarkt angewiesen sein.

Wer ist für die Legalisierung?

Der Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Burkhard Blienert, spricht sich klar für eine Legalisierung aus. In einem offenen Brief erklärten in dieser Woche auch rund 30 Ex­per­t*in­nen aus Forschung, Medizin, Suchthilfe und Justiz ihre Unterstützung für das Gesetz. Ver­tre­te­r*in­nen der Konsumierenden befürworten freilich die Legalisierung, die konkrete Umsetzung ist ihnen aber zu bürokratisch und restriktiv. In Umfragen hat die Zustimmung zur Legalisierung in Deutschland zwar in den vergangenen zehn Jahren zugenommen, das Meinungsbild bleibt aber gespalten.

Wer ist gegen die Legalisierung?

Neben CDU/CSU laufen vor allem zwei Gruppen Sturm. Da sind zunächst einmal Me­di­zi­ne­r*in­nen und Psycholog*innen. In Stellungnahmen betont etwa die Bundesärztekammer die Gefahr eines steigenden Konsums und die Zunahme behandlungsbedürftiger cannabisbezogener Störungen bei jungen Menschen. Lauterbachs Ministerium plant eine millionenschwere Kampagne mit Informations-, Aufklärungs- und Präventionsangeboten, die sich vor allem an Menschen bis 25 richten soll.

Wie stehen Polizei und Justiz den Plänen gegenüber?

Ver­tre­te­r*in­nen von Polizei und Justiz sind zwar nicht grundsätzlich gegen eine Legalisierung, üben aber heftige Kritik an der nun geplanten Umsetzung. So warnte der Richterbund in dieser Woche vor einer massiven Überlastung der Justiz, sollte der geplante rückwirkende Straferlass zum 1. April in Kraft treten. Allein am Amtsgericht Köln würde die Bearbeitung der Fälle ein Jahr dauern. Der Bund Deutscher Kriminalbeamter fordert einen Stopp der Legalisierungspläne, weil diese in der Praxis nicht umsetzbar seien und die geplanten Ziele nicht erreiche. So könnte die Polizei nicht unterscheiden, ob jemand als Dea­le­r*in illegal Cannabis mit sich führe oder als Kon­su­men­t*in legal. Diverse Landes- und Innenpolitiker schlossen sich der Perspektive von Polizei und Justiz an.

Kann die Abstimmung im Bundestag noch schiefgehen?

Mit einigen Gegenstimmen aus der SPD kann gerechnet werden, dafür dürften aus den Reihen der Linken und dem Bündnis Sahra Wagenknecht Zustimmung kommen. Der Gesundheitsminister zeigte sich am Tag vor der finalen Abstimmung sehr zuversichtlich, dass sein Gesetz so angenommen wird. Die Bundesländer können deren Inkrafttreten allerdings noch im Bundesrat verzögern – was den 1. April als Starttermin gefährden könnte.

Was bedeutet das Gesetz für Can­na­bispatient*innen?

Medizinisches Cannabis, zum Beispiel zur Behandlung starker Schmerzen, kann seit 2017 verschrieben werden. Can­na­bis­patient*innen beklagen allerdings regelmäßig die schwierige Versorgungslage und leidvolle Erfahrungen mit der Polizei. Im Zuge der Teillegalisierung fällt auch Medizinalcannabis aus dem Betäubungsmittelgesetz. Ex­per­t*in­nen erwarten daher gewisse Erleichterungen in der Versorgung. Einige Can­na­bis­patient*innen befürchten dagegen noch mehr Restriktionen, weil etwa die Abstandsgebote beim Konsum, die mit der Legalisierung eingeführt werden (in einer Entfernung von 100 Metern zu Kinder- und Jugendeinrichtungen wie Schulen darf nicht konsumiert werden) auch bei medizinischem Gebrauch gelten sollen.

Welche Fragen müssen noch ­geklärt werden?

Da sind allen voran die Grenzwerte im Straßenverkehr. Eine besondere Herausforderung ist, dass Cannabis noch Wochen nach dem Konsum im Blut nachgewiesen werden kann, ohne die Fahrtüchtigkeit einzuschränken.

Und wenn die Kri­ti­ke­r*in­nen recht behalten und durch das Gesetz alles noch schlimmer wird?

Ursprünglich sollte nach zwei Jahren, inzwischen spätestens nach 18 Monaten evaluiert werden, welche Effekte die Teillegalisierung auf den Schwarzmarkt, auf die Kon­su­men­t*innenzahlen, auf Notfälle gerade bei Kindern und Jugendlichen und Verkehrsunfälle haben. Es gibt zwar Erfahrungen aus anderen Ländern, die sich schon vor Jahren auf den Weg zur Legalisierung machten – allerdings sind die Unterschiede in der konkreten Umsetzung erheblich.

Wann kann denn nun der erste legale Joint zu Genusszwecken geraucht werden?

Sollte das Gesetz am Freitag den Bundestag und dann auch zügig den Bundesrat passieren, dann tritt es zum 1. April in Kraft. Ab da kann der Eigenanbau starten, ab 1. Juli könnten die Cannabis-Clubs den gemeinschaftlichen Anbau aufnehmen. Wie schnell dann geerntet werden kann, dürfte von Anbaugeschick, -equipment und Sorte abhängen.

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