Verfassungsschutz hielt NS-Akten zurück: Quellenschutz für NS-Schergen

Jahrzehntelang hielt der Verfassungsschutz eine Akte zum flüchtigen NS-Verbrecher Alois Brunner unter Verschluss. Der taz liegt sie nun vor.

Alois Brunner mit Hut vor einer Häuserzeile

Alois Brunner im Kurort Semmering bei Wien, undatiert Foto: DOEW_Foto_01642-2

BERLIN taz | Hans-Georg Maaßen sperrte sich vehement. Sollte sein Bundesamt für Verfassungsschutz von Gerichten verpflichtet werden, seine Akten zu Alois Brunner herauszugeben, werde man dafür sorgen, dass das Bundesarchivgesetz geändert werde, soll der damalige Präsident des Verfassungsschutzes im Jahr 2018 intern erklärt haben. Damals befand sich Maaßens Amt in einem Rechtsstreit mit der Bild-Zeitung über die Brunner-Akte. Und tatsächlich wehrte sich das Bundesamt acht Jahre lang, um die Akte nicht rauszurücken.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Dabei geht es bei Alois Brunner um einen der schlimmsten NS-Verbrecher. Der Österreicher und einstige SS-Hauptsturmführer war die rechte Hand des Holocaust-Organisators Adolf Eichmann, er soll an der Ermordung von Zehntausenden Jü­d*in­nen beteiligt gewesen sein – und konnte sich bis zu seinem Tod verstecken. Als die Bild-Zeitung 2019 schließlich gegen­ den Verfassungsschutz vor Gericht siegte, bekam sie nur einen Teil der Brunner-Akte – 129 Seiten, teils geschwärzt und nur ab dem Jahr 1984. Später reichte das Amt weitere Teile nach.

Nun aber liegt die komplette Akte der taz und fragdenstaat vor, 396 Seiten, beschafft über das Bundesarchivgesetz. Und sie zeigt: Der Verfassungsschutz war nach dem Krieg frühzeitig über den Verbleib des NS-Schergen im Bilde – behielt aber einige Informa­tionen für sich.

In der NS-Diktatur hatte Brunner die Verschleppung von Juden in Vernichtungslager maßgeblich mitorganisiert. Spätere Ermittler warfen ihm eine „regelrechte Jagd auf Juden“ vor, Eichmann soll ihn seinen „besten Mann“ genannt haben. Nach dem Krieg lebte Brunner zunächst unter falschem Namen in Deutschland, floh um 1954 über Kairo ins syrische Damaskus. Ab 1961 suchte ihn das Frankfurter Amtsgericht mit einem Haftbefehl, in Frankreich wurde er in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Obwohl irgendwann klar war, dass Brunner in Syrien ist, stellte Deutschland erst 1984 ein Auslieferungsersuchen. Es blieb erfolglos – Syrien leugnete, dass der Altnazi dort lebte. Dies tat Brunner dort indes unbehelligt bis zu seinem Tod vor einigen Jahren.

Sogar Adresse bekannt

Die Akte des Verfassungsschutzes zeigt nun: Der Geheimdienst wusste schon ab 1960 über den Verbleib von Brunner Bescheid. Dieser lebe in Damaskus und werde dort in Kürze die syrische Staatsbürgerschaft erhalten, heißt es etwa in einem Vermerk vom Februar 1960. Festgehalten ist auch Brunners Tarnname: Georg Fischer. Zudem habe Brunner noch im Dezember 1959 Eichmann in Kuwait getroffen und Waffengeschäfte besprochen. Im selben Jahr wird auch die Straße vermerkt, in der Brunner lebt: die Rue George Haddad.

Auch zu deutschen Waffenhändlern halte Brunner Kontakt, vermerkt der Verfassungsschutz. Darunter zum berüchtigten Wehrmachtoffizier Otto Ernst Remer, der den Putsch gegen Hitler am 20. Juli 1944 mit niederschlug. Doch eine Anfrage der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt/Main im Jahr 1960 beantwortete der Verfassungsschutz nur knapp: Brunner solle in Damaskus an der Firma „Orient Trading Company“ beteiligt sein und den Alias „Dr. Fischer“ tragen. Benannt werden auch der Kontakt zu Remer und dem deutschen Waffenhändler Wilhelm S.

Dann aber heißt es: „Weitere Erkenntnisse“ über eine Tätigkeit Brunners in Damaskus „stehen unter Quellenschutz und können leider nicht mitgeteilt werden“. Auch 1984 noch werden in einem Vermerk zu Brunner dessen Aufenthaltsort in Damaskus und seine genutzten Tarnnamen festgehalten: Man müsse „eine breitere Streuung der Meldung verhindern“.

In einem Vermerk von 1961 ist dagegen die Rede von eigenen „Nachforschungen“ des Geheimdienstes. Festgehalten wird etwa, dass Brunner laut eines Zeugen „sehr eng“ mit dem damaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Rudolf Vogel zusammengearbeitet habe. Dieser soll ihm auch 100 Mark für seine Flucht nach Syrien gegeben haben. Vogel, der 1991 verstarb, bestritt dies laut den Unterlagen: Er habe nur Brunners Ehefrau helfen wollen, die in „sehr traurigen Umständen“ gelebt habe.

Auch als 1961 eine Briefbombe bei Brunner in Damaskus explodierte und seine Hände und ein Auge verletzte, wusste der Verfassungsschutz schnell Bescheid. Ein Hinweisgeber erklärte, der israelische Geheimdienst stecke dahinter: Da auch dieser es nicht geschafft habe, Brunner in Syrien festzunehmen, sei er „dazu übergegangen, dieses Attentat auf ihn zu verüben“. Und als nach der Entführung Eichmanns im Mai 1960 das Gerücht aufkam, Brunner plane mit anderen, den damaligen Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses zu entführen, um Eichmann freizupressen, vermerkte der Verfassungsschutz: „Derartige Pläne sind nicht bekannt geworden.“ Eichmann wurde schließlich 1962 in Israel zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Der Verfassungsschutz blieb auch in den Folgejahren an Brunner dran, notierte weitere Tarnnamen von ihm. 1984 heißt es in einem Vermerk, Brunner habe eine Schule für den syrischen Sicherheitsdienst geleitet und „genießt das Wohlwollen auch der jetzigen syrischen Regierung“. Er stehe unter syrischem „Polizeischutz“.

Im gleichen Jahr soll Brunner zudem immer noch Kontakt zu dem Altnazi Remer gehalten haben. Das tat auch der Verfassungsschutz, der Remer als „zuverlässige Quelle“ bezeichnet. In einer Befragung habe dieser Brunner „einen seiner wichtigsten Kontaktleute“ genannt. Dem Amt gegenüber räumte Remer auch ein, Brunner einst bei der Flucht geholfen zu haben: Er habe ihm „vor Jahren in Kairo Asyl verschafft“, unter „schwierigen Umständen“. Dieser sei weiter „gläubiger Nationalsozialist“ und arbeite in Damaskus für den syrischen Geheimdienst – was ihm auch Kontakte zum BND und Verfassungsschutz verschaffe, zu „vorwiegend jüngeren Leuten“. Nachrichtendienstlich sei Brunner „stets up to date“, so Remer. Der Verfassungsschutz lässt das in den Akten unkommentiert. Der BND wies 1988 eine Zusammenarbeit mit Brunner in einem Schreiben an das Amt zurück: Man habe „zu keiner Zeit Verbindungen zu Brunner unterhalten“. Überprüfen lässt sich das nicht: Der BND löschte alle seine Akten zu Brunner in den neunziger Jahren.

Remer blieb aber nicht Brunners einziger langjähriger Szenekontakt. 1977 soll er einen rechtsextremen „Informationsbrief“ aus Deutschland empfangen oder sich noch Ende 1988 mit dem österreichischen Altnazi Gerd Honsik in Damaskus getroffen haben, um mit ihm dessen Buch „Freispruch für Adolf Hitler“ zu besprechen. Danach indes will der Verfassungsschutz laut Akten nichts mehr über Brunner herausgefunden haben. Der NS-Scherge blieb aber bis mindestens Sommer 1993 noch im Personenregister des Geheimdienstes abgespeichert, als „zeitgeschichtlich bedeutsame Person“.

Am Ende soll Brunner kärglich in einem Keller im Diplomatenviertel in Damaskus gelebt haben und dort verstorben sein. Wann genau, ist bis heute unklar. Hieß es zunächst, er sei 2001 mit 89 Jahren gestorben, datiert der Verfassungsschutz das Todesjahr auf 2010. Das deutsche Ermittlungsverfahren wurde gar erst im Sommer 2022 eingestellt, seitdem gilt er auch juristisch als tot. Für seine Verbrechen musste sich Brunner damit nie verantworten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Ein Kopfhörer - das Symbol der Podcasts der taz

Entdecke die Podcasts der taz. Unabhängige Stimmen, Themen und Meinungen – nicht nur fürs linke Ohr.

Feedback willkommen! Wir freuen uns auf deine Gedanken, Eindrücke und Anregungen.

Schreib uns: podcast@taz.de

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.