Verfassungsentwurf in Ägypten beschlossen: Die Prinzipien der Scharia
Trotz Protesten und Boykott verabschiedeten die Islamisten einen Entwurf für eine neue Verfassung: Der Islam wird Staatsreligion, Frauenrechte werden eingeschränkt.
KAIRO dpa/afp | Nach einer nächtlichen Marathonsitzung hat das mehrheitlich von Islamisten besetzte ägyptische Verfassungskomitee seinen umstrittenen Entwurf für eine neue Verfassung am frühen Freitagmorgen verabschiedet. Das Gremium war am Donnerstagnachmittag zusammengekommen, um den Entwurf im Eilverfahren durchzupeitschen.
Über alle 234 Artikel sei in einer nächtlichen Marathonsitzung abgestimmt worden, teilte am Freitagmorgen Kommissionspräsident Hossam al-Ghiriani in Kairo mit. Das Votum sei letztlich einstimmig gefallen. Allerdings hatten wichtige Oppositionsparteien und gesellschaftliche Gruppen die Arbeit der Versammlung zuletzt boykottiert.
Der Entwurf wurde umgehend Präsident Mohammed Mursi zugeleitet. Binnen einiger Wochen soll dann in einer Volksabstimmung endgültig über die Verfassung entschieden werden.
In dem Entwurf werden unter anderem die „Prinzipien der Scharia“ als die „wichtigste Quelle der Gesetzgebung“ genannt. Zudem werden der Islam zur Staatsreligion und das Arabische zur offiziellen Sprache gemacht.
Ausdrücklich wird die Dauer einer Amtszeit des Präsidenten auf vier Jahre festgelegt, wobei eine einmalige Wiederwahl möglich ist. Damit soll künftig jeder Staatschef höchstens acht Jahre im Amt sein. Der Anfang 2011 gestürzte Präsident Husni Mubarak hatte 30 Jahre lang in Ägypten geherrscht.
Die Islamisten hatten die ursprünglich für Mitte Dezember geplante Abstimmung kurzfristig vorgezogen. Damit sollte Oppositionellen, die in den vergangenen Tagen heftig gegen die von Präsident Mursi verkündete Verfassungserklärung protestiert hatten, der Wind aus den Segeln genommen werden. Mursi hatte seine Machtbefugnisse auf Kosten der Justiz ausgeweitet, will diese erst nach Annahme der neuen Verfassung wieder abgeben.
Mursi verteidigt den Entwurf
Der Verfassungsentwurf schränkt nach Ansicht der Opposition die Rechte der Frauen ein, beschneidet die Kompetenzen der Justiz und gibt den Religionsgelehrten Einfluss auf den Gesetzgebungsprozess. Außerdem werden alle früheren Mitglieder der einstigen Regierungspartei mit einem politischen Betätigungsverbot für zehn Jahre belegt.
Mursi verteidigte unterdessen seine umstrittene Verfassungserklärung. Genau eine Woche nachdem deren Verkündigung sagte er am Donnerstagabend in einer TV-Ansprache, er habe keine andere Wahl gehabt, da es seine Pflicht sei, „Gefahren“ von Ägypten abzuwenden. Er wollte diese nicht näher definieren, meinte lediglich, dass diese "von außerhalb Ägyptens" drohten.
Die Verfassungserklärung hatte eine Protestwelle der säkularen Parteien ausgelöst. Diese werfen Mursi vor, er habe seine Machtbefugnisse auf Kosten der Justiz ausgeweitet, um wie ein „Pharao“ regieren zu können. Die Verfassungserklärung soll so lange gültig sein, bis die neue Verfassung in Kraft tritt.
Gegner der Islamisten haben für Freitag Demonstrationen auf dem Tahrir-Platz in Kairo angekündigt.
Leser*innenkommentare
manina
Gast
"Eine revolutionäre Verfassung für Männer" titelte heute eine große deutsche Zeitung, und damit wäre alles gesagt... ich hoffe, die National Salvation Front von ElBaradei und Sabachi et al. wird dieses Mal nicht zersplittern wie vor den Präsidentschaftswahlen und durchhalten. Außerdem finde ich es ein bißchen wie in einer Bananenrepublik: wenn die Richter, die sonst immer die Wahlen kontrollieren, das Referendum nicht beaufsichtigen ( hoffentlich bleiben sie im Streik), dann kann es gar nicht stattfinden... aber vielleicht rekrutieren MB dann eigene Kontrolleure...
manfred (60)
Gast
Daß der Islam zur Staatsreligion wird, war absehbar. Das sich eine Staatsreligion mit Demokratie nicht verträgt, ist bekannt. Niemand sollte also über das, was sich jetzt in Ägypten tut, überrascht sein.
"Der Verfassungsentwurf ... gibt den Religionsgelehrten Einfluss auf den Gesetzgebungsprozess." - Das ist schlimm, genau so schlimm, als wenn in unseren Breiten, in Rußland oder in Amerika die jeweiligen christlichen Kirchen mit allen Mitteln und viel Personal Einfluß auf die Gesetzgebung nehmen. Deren Ziel ist letztlich das gleiche: Eine Staatsreligion, die Herrschaft des Klerus nach mittelalterlichem Vorbild. Deshalb ist die Idee, Kirche und Staat zu trennen, richtig.
Wohin die Verquickung von Religion und Politik führt, können wir derzeit nicht nur im arabischen Raum wunderbar beobachten. Die Entwicklung in Rußland ist dem sehr ähnlich. Bekämen bei uns die Religiösen wieder Oberwasser, bei uns sähe es nicht anders aus. Deshalb stimmt es mich schon sehr bedenklich, wenn immer mehr Kirchenleute in politische Ämter drängen, eine Entwicklung, die nicht zuletzt in den "neuen" Bundesländern ihren Ausgang hat und quer durch (fast) alle Parteien geht.
Harald
Gast
Mursis Initiative dient dem Gesetz, zur Behebung der Not von Volk und Recht.
andreas
Gast
Religionen sind Privatsache, Glaubenssache - und diese müssen freiwillig und ohne Doktrin von Obrigkeiten praktiziert werden können. Eine islamische Scharia hat mit einem modernen Staatwesen nichts am Hut und muss aus den Geschichtsbüchern der Zeit verschwinden. Es würden in der Geschichte schon viel zu viele Menschen religiös-relevant gemeuchelt. Es reicht. Ich bleibe dabei: Der Islam ist grundsätzlich eine rückwärtsgewandte Religion.
heym
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Gibt es denn keinen ägyptischen Moshe Zuckermann, der aus der Kategorie "Subjekte des Muslimbrüderschaft" zur objektiven Ableitung der Unterkategorie "Subjekte der Hamas" herstellt?
mir-kommen-die-Tränen
Gast
@ Miss Ägypten
Was für ein absurder Kommentar! Egal was, Schuld ist immer der Westen?
Ahmadineschad vielleicht auch ein Agent der CIA?
Fortschritt, Menschen- und Frauenrechte im Islam, das ist nicht zu verwirklichen
Christina
Gast
Frauenrechte! In einem Land, in dem 85 % der Frauen beschnitten und sich nicht gegen die Beschneidung ihrer eigenen Töchter wehren, in der die Frau des Präsidenten als Mutter von ... genannt zu werden als Ehre empfindet, kann die Beschneidung von vorhandenen Frauenrechten ja nun nicht wirklich verwundern, zumal die Muslimbruderschaft sich ja auch mit einen hohen Anteil an weiblichen Wählern brüstet und die Ganzkörperverhüllung immer mehr in Mode zu kommen scheint. Wenn ich die auf dem Bild abgebildete Abgeordnete betrachte, fällt mir irgendwie folgende Zeile ein: nur die dümmsten Kälber wählen ihre Schlächter selber. Angst um Bange wird mir allerdings, wenn der Islam zur Staatsreligion ausgerufen und die Scharia in Kraft tritt, dass die eh schon dezimierten Rechte der Kopten weiterhin beschnitten werden und falls nicht Manna vom Himmel fällt, um die immer schwieriger werdende Speisung der ägyptischen Bevölkerung ruhig zu halten, als Sündenböcke zur Meuchelung freigegeben wird.
Wahnsinn
Gast
Der Wahnsinn geht los...arme Frauen... Christen...Demokraten... Liberale....usw. ....!
miss ägypten
Gast
jeder in der arabischen Welt weiß, dass Mursi eine korrupte Figur des Westens ist und keine Islamische Persönlichkeit. >Er nutzt dieses Ruf um Wähler zu gewinnen und die westlichen Mächte haben wieder ein gefundenes Fressen, um den Islam als frauenfeindlich, gefährlich und agressiv einzuschätzen. Dies entspricht keinesfals der Wahrheit und ist eine Inszenierung. Ein großartiges Theaterstück, in der Hauptrolle: Mursi!
Wir wollen den richtigen Islam und nicht das instrumentalisierte Machtwerkzeug von schwafelnden Politikern, die jederzeit ihre Meinung nach der Windrichtung ändern! Wir wollen Fortschritt, Menschenrechte, Frauenrechte, wir wollen den ISLAM!!!