Unterricht für geflüchtete Kinder: Direkt in die Schule ist besser

Hamburg sollte Kinder nicht in separate Vorbereitungsklassen schicken, sagt die Linke. Sie beruft sich auf eine Studie, die Fünftklässler vergleicht.

Schülerinnen melden sich in einer Vorbereitungsklasse

Vorbereitungsklasse für geflüchtete Schüler: ein gescheitertes Projekt? Foto: Wolfram Kastl/dpa

HAMBURG taz | So viele „Internationale Vorbereitungsklassen“ wie noch nie hat Hamburgs Schulbehörde seit Beginn des Ukraine-Krieges eingerichtet. Doch an diesen 357 Klassen, in denen Schüler zwölf Monate lang auf die deutsche Schule vorbereitet werden, gibt es fachliche Kritik, die die Hamburger Linksfraktion heute in die Bürgerschaft trägt.

Die getrennte Beschulung dieser Kinder „verringert deren Bildungschancen“, heißt es in einem Antrag dazu, der erst der 38. Punkt der Tagesordnung ist und wohl gar nicht erst debattiert wird.

Und Anfang der Woche sah es so aus, als würde er von der rot-grünen Mehrheit nicht mal zur näheren Befassung in den Schulausschuss überwiesen. Das passiert nun aber doch, wie die taz am Dienstag erfuhr.

Die Linke bezieht sich auf die Studie “Starting off an the right foot“, die durch einen Zufall möglich wurde. In den Schuljahren 2015/16 bis 2017/18 kamen so viele geflüchtete Kinder neu nach Hamburg, dass nicht alle in Vorbereitungsklassen Platz fanden. Gut ein Drittel wurde gleich in eine Grundschulklasse integriert und erhielt teils noch zusätzlich Deutschunterricht. Da Hamburg mit einer Testreihe namens „Kermit“ (Kompetenzen ermitteln) alle zwei Jahre erhebt, was die Schüler in ihrer Schullaufbahn jeweils gelernt haben, ließ sich ein Vergleich anstellen.

Besonders starke Effekte bei Mathe und Deutsch

Das übernahm das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen. Die dortige Bildungsforscherin Lisa Sofie Höcker wertete die „Kermit“-Daten für den Jahrgang fünf aus den Jahren 2013 bis 2019 für zugewanderte Kinder aus.

Ihr Fazit: Die Kinder, die während ihrer Grundschulzeit eine Vorbereitungsklasse besuchten, hatten „deutlich schlechtere Ergebnisse“. Und sie schafften seltener den Sprung auf ein Gymnasium. Besonders stark sei dieser Effekt in Mathe und Deutsch. „Um den Kindern möglichst große Bildungschancen zu eröffnen, sollten sie möglichst schnell in Regelklassen“, sagt Lisa Sofie Höckel.

Nils Hansen, schulpolitischer Sprecher der Hamburger SPD-Fraktion

„Die Linke schießt mit ihrem Antrag über das Ziel hinaus“

Eben dies empfahl auch die „Ständige wissenschaftliche Kommission“ der Kultusministerkonferenz im März vorherigen Jahres. Es sollte eine „möglichst rasche Integration“ geben und „möglichst keine Vorbereitungsklassen in der Grundschule und den unteren Jahrgängen des Sekundarbereichs“, heißt es in einem Papier der 16 Forscher.

Zudem bemängelt eine qualitative Studie der Universität Hamburg, dass nach den Vorbereitungsklassen der „Quereinstieg ins Schulsystem“ schwierig sei. Denn häufig wären die Regelklassen voll, und Kinder müssten an eine andere Schule, in ein „völlig neues Umfeld“, das wiederum meist kaum über ihre Bedürfnisse informiert sei, wie Erziehungswissenschaftlerin Simone Plöger sagt.

Gymnasien sind besser dran

Die Linken-Schulpolitikerin Sabine Boeddinghaus kritisiert zudem, dass die meisten Vorbereitungsklassen an Hamburgs Stadtteilschulen sind, und nicht an den Gymnasien. Sie lud jüngst den Bergedorfer Schulleiter Thimo Witting zur Diskussion, dessen Stadtteilschule schon seit 2015 auf separate Flüchtlingsklassen verzichtet, da ihr die negativen Auswirkungen auf die Bildungswege schon damals bekannt waren. Dort gibt es die Stelle einer Kulturmittlerin und die neuen Schüler erhalten 90 Minuten täglich zusätzlich Deutschunterricht und Hilfe von Mentoren.

Die Linke stellt in ihrem Antrag Forderungen für das nächste Schuljahr. So soll keine Schule mehr Vorbereitungsschüler aufnehmen müssen, als sie später in ihren Regelklassen integrieren kann. Damit das passt, sollen auch Gymnasien mehr solcher Klassen einrichten und mehr Schüler behalten. „Mittelfristig“ sollte die „segregierte Beschulung“ von geflüchteten Kindern ganz beendet werden. Für diesen Prozess, so die Linke, sollte es ein Expertengremium geben.

Schulbehördensprecher Peter Albrecht verweist darauf, dass Hamburg viele Jahre Erfahrung mit der Beschulung geflüchteter Kinder hat. Und selbst die Autorinnen jener Studie würden anerkennen, dass die Vorbereitungsklassen in Zeiten hoher Zuwanderung ein „wichtiges Werkzeug zur Vermeidung der Überlastung des Schulsystems“ seien. Zudem bezöge die Studie sich nur auf die Grundschule, nicht auf die „gesamte Schulkarriere“.

Das sieht auch der SPD-Schulpolitiker Nils Hansen so. Die Studie des Leibniz-Instituts sei noch keine Grundlage, die Abschaffung des ganzen Vorbereitungs-Modells zu fordern. „Insbesondere, weil das Schulsystem aktuell unter Volllast fährt, sollten Änderungen mit Bedacht erwägt werden“, sagt er zur taz. Da schieße die Linke „über das Ziel hinaus“.

Gleichwohl sei eine Beschäftigung mit der Studie „wünschenswert“, da sie Hinweise enthalte, wie die Schulen geflüchtete Kinder besser unterstützen könnten. Deshalb werde die SPD den Antrag nicht ablehnen, sondern in den Ausschuss überweisen.

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