Transparenz-Expertin über Sepp Blatter: „Er hat keine Macht mehr“

Sepp Blatter ist erledigt, erklärt Sylvia Schenk, Sportbeauftragte bei Transparency Deutschland. Sie fordert einen Bewusstseinswandel.

Alter Mann in schummrigem Licht hinter Glasscheiben

Es wird eng für den Patron: Sepp Blatter in seinem Zürcher Büro. Foto: dpa

taz: Frau Schenk, wie lange kann Sepp Blatter sich noch halten?

Sylvia Schenk: Er hätte spätestens mit Eröffnung der Ermittlungen zurücktreten müssen. Im Grunde ist die Fifa schon seit Mai führungslos. Ginge es um die Außenwirkung und darum, die Fifa zu stabilisieren, müsste er sofort gehen.

Er hängt an der Macht.

Macht hat er nicht mehr. Niemand führt die Fifa. Es geht für Blatter nur noch darum, ob er mit Schimpf und Schande vom Hof gejagt wird oder ob er einen Abschied mit Applaus hinkriegt.

Blatter dürfte vor sich selbst sicherlich so argumentieren: 1999, als ich als Präsident angetreten bin, war der Laden praktisch pleite, heute ist es ein gesundes, liquides Unternehmen.

Die 63-Jährige leitet die Arbeitsgruppe Sport bei Transparency Deutschland. Die Juristin kennt sich im Funktionärswesen gut aus. Von 2001 bis 2004 war sie Präsidentin des Bundes Deutscher Radfahrer. Schenk ist Mitglied der SPD, von Verdi und des Fußball-Bundesligisten Eintracht Frankfurt.

Deswegen haben ihn auch alle bis zuletzt gestützt. Er hat den Laden zusammengehalten. Wer auch immer im Februar 2016 sein Nachfolger wird, wird merken, dass das nicht so einfach ist. Blatter hat aus der Fifa ein prosperierendes Unternehmen gemacht. Das kann man ihm auch nicht absprechen, allerdings stellt sich die Frage, mit welchen Mitteln er das erreicht hat. In den 90er Jahren waren solche Fifa-Methoden ja auch noch in Deutschland gang und gäbe, aber die Welt hat sich seit Ende der 90er Jahre dramatisch verändert. Auslandsbestechung war bis 1996 in Deutschland noch von der Steuer absetzbar. Seitdem hat sich viel getan.

Michel Platini will Nachfolger von Blatter werden. Jetzt gerät er unter Druck, weil er von Blatter ein Beraterhonorar über 2 Millionen Schweizer Franken angenommen hat. Ist Platini damit aus dem Rennen um die Fifa-Präsidentschaft?

Das ist schwer einzuschätzen. Er hat von 1999 bis 2002 für die Fifa gearbeitet. Wenn er dort beraten hat, dann war die Bezahlung möglicherweise gerechtfertigt. Was ich nicht verstehe, ist, dass die Bezahlung erst so viel später erfolgte, 2011. Dass es seiner Glaubwürdigkeit nicht nutzt, ist offensichtlich. Man kann nur hoffen, dass die Schweizer Staatsanwälte so schnell arbeiten, dass alles vor der Fifa-Präsidentschaftswahl im Februar 2016 auf dem Tisch liegt. Derzeit geht es schon sehr chaotisch in der Fifa zu.

Wenn Blatter zurücktritt, wer sollte dann übernehmen. Rein formal müsste das Issa Hayatou aus Kamerun, der aber ein Funktionär alten Schlags ist?

Hayatou ist meines Wissens schwer krank. An seiner Stelle könnte der Dienstälteste in der Fifa-Exekutive zum Zug kommen. Das wäre wohl der Spanier Ángel María Villar. Das wäre aber auch nicht viel besser. Mein Appell wäre jetzt, dass diejenigen im Exekutivkomitee, also dem Führungsgremium der Fifa, die neu und unbelastet sind – und auch nicht fürs Präsidentenamt kandidieren, jetzt handeln. Das sind Wolfgang Niersbach vom DFB, der US-Amerikaner Sunil Gulati und meinetwegen auch wegen seiner Machtposition Scheich Ahmad al-Sabah aus Kuwait. Die müssten den Übergang managen.

Sepp Blatter: Gegen den 79 Jahre alten Schweizer wird seit Freitag wegen „Verdachts der ungetreuen Geschäftsbesorgung“ und Veruntreuung ermittelt. Die erste Reaktion seiner Anwälte deutete nicht auf einen kampflosen Verzicht auf das Amt als Fifa-Präsident hin. Der von der Schweizer Bundesanwaltschaft beanstandete Vertrag für Übertragungsrechte für die WM in Südafrika sei „von den Mitarbeitern korrekt vorbereitet und verhandelt worden“, ließ Blatters Rechtsvertreter verlauten.

Michel Platini: Der Franzose, Chef des europäischen Verbandes Uefa, will im Februar 2016 Nachfolger von Blatter werden. Der 60-Jährige muss nun aber erklären, warum er für Dienste zwischen 1999 und 2002 erst neun Jahre später, 2011, von seinem früheren Intimus Blatter bezahlt wurde. In jenem Jahr unterstützten die Uefa-Verbände Blatter im Wahlkampf gegen den Katarer Mohamed bin Hammam. Platini ist nur Zeuge im Ermittlungsverfahren.

Der Reformbedarf der Fifa ist evident, aber wie soll das möglich sein, wenn ein Gutteil der Fifa-Mitglieder kein westliches Verständnis von Unternehmensführung haben?

Reformen sind das eine, belastete Personen das andere. Die Fifa hat nicht gründlich aufgeräumt, das rächt sich jetzt mit den Ermittlungen zu Vorfällen aus der Zeit vor Beginn der Reformen. Wichtiger als einzelne Änderungen für die Zukunft ist es jetzt, dass endgültig die Vergangenheit bereinigt wird.

Wie kann das gehen?

Es ist ein Reformpaket geschnürt worden. Es fehlen aber noch wichtige Dinge wie die Amtszeitbegrenzung. Es geht auch um die Offenlegung von Aufwandsentschädigungen oder des Präsidentengehalts. Das ist ein Versagen der Fifa-Reformkommission um Mark Pieth (Schweizer Antikorruptionsexperte; d. Red.). Was wirklich notwendig ist, ist ein Bewusstseinswandel bei den Kontinental- und Landesverbänden. Es gibt ja bereits Compliance-Schulungen für hauptamtliche Fifa-Mitarbeiter. Das Gleiche hätte die Fifa längst für Ehrenamtliche einführen müssen. Nur so verändert man die Kultur im Verband.

Was müsste sich noch tun?

Wer ein Regierungsamt innehat, darf keine Funktion in der Fifa wahrnehmen. Das beträfe zum Beispiel den russischen Sportminister Witali Mutko, der auch in der Fifa-Exekutive sitzt. Das wäre auch gut für die Autonomie des Sports.

Sie haben Niersbach als Hoffnungsträger benannt. Was erwarten Sie sich von ihm und vom DFB?

Nicht Hoffnungsträger, aber Verantwortung muss er übernehmen. Kluge Verbandspolitik machen. Man darf nicht wie das Kaninchen auf die Schlange starren. Wenn ich Mitglied der Fifa-Exekutive wäre und es wird bekannt, dass gegen Blatter ermittelt wird, dann hätte ich dieses Gremium zusammengetrommelt und wir hätten weiter beraten über ein cleveres Krisenmanagement und darüber, wie es weitergeht. Das haben sie nicht getan.

Mark Pieth hat jetzt den Vorschlag gemacht, Theo Zwanziger solle Fifa-Chef werden, dann würde es zumindest keine WM 2022 in Katar geben.

Zwanziger ist der Letzte, der das übernehmen könnte. Man muss ja auch sagen, dass es bisher keinen Nachweis der Bestechung im Rahmen der Stimmvergabe an Katar gibt. Auch da muss man sich an Recht und Gesetz halten. Es gibt einen Vertrag mit Katar, der seit 2011 exekutiert wird. Man muss erst einmal gerichtlich feststellen lassen, dass es Bestechung gegeben hat. Das kann Jahre dauern.

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