Strukturwandel im Kohlegebiet: Hoffnung in Hoyerswerda

Der Ostbeauftragte der Bundesregierung reist durch den strukturschwachen Osten. Ziele sind Hoyerswerda, das Kohlerevier in der Lausitz und Dresden.

Grit Lemke und Carsten Schneider

Mit der Autorin Grit Lemke besucht der Ostbeauftragte Carsten Schneider Hoyerswerda Foto: Bundeskanzleramt/Bundesfoto/Christina Czybik

BERLIN taz | Der Himmel über Hoyerswerda ist leer, genau wie die Straßen. Zwischen den Betonplatten sprießt Löwenzahn. „Früher um diese Zeit wäre hier alles voller Kinder gewesen“, erzählt Grit Lemke. Die Regisseurin und Autorin ist in Hoyerswerda aufgewachsen. Ihre Kindheit und Jugend in der einstigen sozialistischen Musterstadt beschreibt sie in dem Buch „Die Kinder von Hoy“. Längst lebt Lemke in Berlin. Sie ist nicht die Einzige. Seit der Wende hat Hoyerswerda die Hälfte seiner Einwohner verloren, 30.000 Leute zogen weg.

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An diesem Mittwoch steht Lemke zwischen den verbliebenen Plattenbauten, um dem Ostbeauftragten der Bundesregierung, Carsten Schneider, ihre Stadt zu zeigen. Eine Stadt, die rund um das Gaskombinat Schwarze Pumpe in den 60er und 70er Jahren aus der Heide gestampft wurde, das die Hälfte der DDR mit Gas und Strom versorgte, deren Herz im Takt der Schichtbusse schlug und nach 1990, als das Werk an die Treuhand übergeben und Zehntausende entlassen wurden, fast aufhörte zu schlagen. Aus der kinderreichsten Stadt der DDR wurde eine der ältesten der Bundesrepublik.

Inzwischen keimt wieder vorsichtige Hoffnung in „Hoywoy“, der Heimatstadt des Liedermachers Gundermann, auf. SPD-Bürgermeister Torsten Ruban-Zeh berichtet, man denke sogar wieder über neue Kitaplätze nach. „Was völlig neu ist für uns, wir haben ja jahrelang nur bergab geplant.“

Dass es wieder etwas aufwärts geht, hängt ausgerechnet mit dem Ende der Kohle zusammen. In die Kohleregionen und damit auch in die Städte und Gemeinden der Lausitz, die jahrzehntelang an der Braunkohle hingen, fließen mit dem von Bund und Ländern beschlossenen Kohleausstieg rund 40 Milliarden Euro an Fördergeldern. Die sollen dazu dienen, die verbliebenen Kohlekumpel umzuschulen sowie neue Unternehmen, Bundesbehörden und Forschungsinstitute anzusiedeln. Strukturwandel nennt sich das Großprojekt.

Leag will sich neu erfinden

Schneider will sich ein Bild von den Umwälzungen machen, reist mit einem Tross zwei Tage durch Sachsen und Brandenburg. Wie es so laufe, will er in der Lausitz wissen. „So schlecht isses nich“, meint Christine Herntier, Sprecherin der Lausitzrunde, einem Bündnis von über 50 Kommunen, und parteilose Bürgermeisterin von Spremberg. „Jahrelang hat sich niemand für uns interessiert, aber mit dem Kohleausstieg sind wir dermaßen in den Fokus gerückt.“ Die resolute Mittsechzigerin setzt auf den Industriepark Schwarze Pumpe, der rund um das jetzige Braunkohlekraftwerk entsteht.

Der Betreiber Leag will sich als Produzent von Wind- und Solarenergie neu erfinden, ein Speicherkraftwerk auf Wasserstoff-Basis soll in zwei Jahren in Betrieb gehen. Die vier sächsischen Universitäten wollen im Industriepark vier Institute zum Thema Kreislaufwirtschaft ausgründen. „Wir sind stolz wie sonst was, dass die da hinkommen. Und ohne den Strukturwandel wäre das nicht gelungen“, meint Herntier. Sie sei optimistisch. „Ist verdammt viel Arbeit, aber ich denke, das klappt.“

Auch ihr Cottbusser Kollege Tobias Schick, ein Parteifreund von Schneider, findet: „Es bewegt sich was, und das macht auch was mit den Leuten hier.“ Im Lausitz Science Park, der in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität Cottbus entsteht, sollen irgendwann mal bis zu 10.000 Menschen arbeiten, er soll für Wachstum und Wohlstand sorgen. Die Fördermilliarden vom Staat seien als Schmiermittel der Transformation sehr willkommen, bedankt sich Schick bei Schneider.

Doch das größte Problem, das die Region zurzeit hat, ist nicht fehlendes Geld, sondern es sind die fehlenden Menschen. Nicht nur Hoyerswerda, der gesamte Osten hat seit 1990 einen Exodus erlebt. „Uns fehlen anderthalb Generationen, wir brauchen dringend Zuzug“, sagt Herntier. „Wir müssen mehr und wir müssen jünger werden. Und ohne Menschen aus dem Ausland wird es nicht gehen.“

Das gilt für alle ostdeutschen Bundesländer. An der Eingangstür der Elbe Flugzeugwerke in Dresden hängt ein Flugblatt: „Wanted. 2500 Euro. Sie werben Mitarbeiter – wir zahlen.“ Die Flugzeugwerke beschäftigen 2.000 Mitarbeiter, die hauptsächlich ausgediente Passagierflugzeuge zu Frachtflugzeugen umbauen. Das Geschäft wächst, das Unternehmen auch, rund 150 Stellen sind derzeit unbesetzt. Die Flugzeugwerke suchen auf der ganzen Welt nach Fachkräften.

Jordi Boto, einer von drei Geschäftsführern und gebürtiger Spanier, führt Schneider am Donnerstag durch eine der riesigen Hallen, in der vier Flugzeuge gerade in unterschiedlichen Stadien des Ausweidens stehen. Sachsen ist der Hauptsitz des Unternehmens, weitere Standorte gibt es in China, Singapur und den USA.

Standortnachteil AfD

Aktuell wird in Deutschland über einen verbilligten Industriestrompreis für energieintensive Unternehmen diskutiert. Die Bundesregierung ist da gespalten, selbst in der SPD ist man uneinig. Sachsens SPD-Wirtschaftsminister Martin Dulig findet ihn wie seine Kol­le­g:in­nen in den anderen Ländern unerlässlich, damit internationale Unternehmen weiter in Deutschland investieren. Schneider widerspricht umgehend. „Schön, dass die 16 Landesminister das beschließen, aber bezahlen muss es der Bund.“ Eine teure Subvention wie der Industriestrompreis stehe in Konkurrenz zu anderen Ausgaben und höherer Neuverschuldung.

Auch Boto wäre einem Industriestrompreis nicht abgeneigt, aber was er sich von der Politik vor allem wünsche, seien keine Subventionen. Sondern weniger Bürokratie. „Es kann doch nicht sein, dass es neun Monate dauert, um Mitarbeiter aus Malaysia und den Philippinen zu holen. In den USA geht das in sechs Wochen.“

Die Bundesregierung hat zwar ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz beschlossen und will ausländische Abschlüsse leichter anerkennen, doch in die Praxis übersetzt es sich noch nicht.

Und dann gibt es da noch ein weiteres Problem. Die ostdeutschen Bundesländer gelten als Hochburg von Rechtsextremen und ihrer parlamentarischen Ableger. Macht sich der Geschäftsführer eines internationalen Unternehmens Sorgen wegen Umfragen, nach denen einen nationalistische und rassistische Partei wie die AfD in Sachsen bei 30 Prozent liegt? Sehr, sagt der. „Wenn Dresden mit diesen Rechten assoziiert wird, ist das ein Problem.“ Seine Mitarbeiter:innen, von denen immerhin 40 Prozent aus dem Ausland stammen, hätten bislang keine ausländerfeindlichen Vorkommnisse berichtet. Aber Kun­d:in­nen hätten schon angekündigt, das sie nicht nach Dresden kommen würden, wenn sich das so entwickle.

Dresden ist wirtschaftliches Zentrum Ostdeutschlands, eine blühende und wachsende Stadt. Doch wie lockt man Menschen in Regionen, aus denen Aus­län­de­r:in­nen nach der Wende regelrecht vertrieben wurden und wo die AfD auch heute noch locker auf Umfragewerte weit über 30 Prozent kommt? Sowohl Schick in Cottbus als auch Herntier in Spremberg mussten sich in Stichwahlen 2022 und 2021 jeweils gegen einen AfD-Kandidaten behaupten.

Beängstigende Atmosphäre

In Hoyerswerda zeigt Lemke dem Ostbeauftragen die „Polenmauer“. Die Einheimischen nannten den riesigen Plattenbau so, weil dort einst die polnischen Vertragsarbeiter untergebracht waren, später wohnten vor allem Vietnamesen und Mosambikaner hier. Im September 1991 versammelte sich ein Mob von Rechtsradikalen und Zu­schaue­r:in­nen tagelang vor dem Haus, sie schmissen Scheiben ein und später Molotowcocktails.

„Es gab diese Jugendlichen, die jeden verdammten Tag vor der Kaufhalle standen und tranken. Die wären ein Jahr vorher in der Berufsschule oder in der Pumpe gewesen. Die sind losgezogen, haben Vietnamesen belästigt und am Ende entwickelte sich das zu diesem Pogrom“, erzählt Lemke.

„Es war ’ne Atmosphäre, wo man Todesangst hatte und dachte, wenn du was sagst, wirst du totgemacht. Und es war trotzdem ein Fehler, nichts zu sagen“, zitiert sie „Röhli“, einen ihrer Kindheitsfreunde und Protagonisten in ihrem Buch. Röhli, der eigentlich Uwe Röhl heißt, ist in Hoyerswerda geblieben. „Dann war man 20 Jahre im Reaktionsmodus, das begann sich erst in den letzten Jahren zu ändern“, berichtet er.

Die Vertragsarbeiter wurden weggebracht – „zu ihrer eigenen Sicherheit“ –, die Rechten blieben. Heute sind viele der damaligen Täter schon tot, in dem Haus wohnen neue Familien, viele von ihnen sind geflüchtet. Sam und Mohammed, zwei halbwüchsige Jungen, hören mit großen Augen zu, als Lemke Schneider die Ereignisse von damals erzählt. Haben sie gewusst, dass hier mal Ausländer gejagt wurden? Ja, sagt Sam, der hier mit seiner Mutter und drei Geschwistern wohnt. Die Familie stammt ursprünglich aus Äthiopien.

An der Kaufhalle, heute ein Supermarkt, stünden manchmal immer noch Betrunkene und würden ihn und seine Freunde beleidigen. „Ihr Hurensöhne, eure Eltern sollen arbeiten gehen.“ Aber ihm sei das egal, seine Mutter habe einen Job, und in der Schule habe er viele Freunde. Er fühle sich wohl in Hoyerswerda, bloß die Fußballplätze könnten besser sein.

Mehr Kinder kommen, Schneider geht auf sie zu. „Und, wie isses hier?“, fragt er. „Gut“, sagen die Kinder. „Und was könnte besser sein?“ – „Die Sportplätze.“ – „Spielt ihr Fußball“- „Klar“, sagen sie. Schneider sieht aus, als würde er am liebsten eine Runde kicken, aber er muss weiter, der Bus wartet. „Ich kann mich auch nicht jeden Tag mit der AfD beschäftigen“, sagt Schneider. Das heiße nicht, dass er alles schönreden wolle. Aber er wolle gezielt jene stärken, die im Osten die Zivilgesellschaft am Laufen hielten. „Die werden meist nicht gesehen, sondern die anderen, die die Schilder tragen.“

Und wie schätzt er die Gefahr ein, dass die AfD in Sachsen, Brandenburg und Thüringen, wo im nächsten Jahr Landtagswahlen sind, stärkste Kraft wird? Schneider runzelt die Stirn. Die Umfragen seien nicht in Stein gemeißelt, da gebe es noch viel Bewegung. Man müsse den Leuten die Verantwortung für ihr Land zurückgeben, „man muss raus aus dieser Trotzphase: Jetzt zeigen wir es denen mal.“ Was helfen könnte, seien mehr Ostdeutsche in Führungspositionen. „Die können anders und authentisch mit ihren Landsleuten reden. Das ist für mich eine ganz zentrale Frage der Akzeptanz und des Funktionierens von Demokratie.“ Die Wahlen 2024 seien auch eine Selbstvergewisserung der Gesellschaft.

Christine Herntier, die Bürgermeisterin von Spremberg, ist fast genervt von der Frage. „Das geht mir manchmal auf den Senkel. Klar kämpfen wir gegen die AfD. Aber wenn Sie mich das fragen, dann besetzen die automatisch dieses Thema, obwohl sie nichts dafür tun. Und wir brauchen unsere Kraft für anderes.“ Ihre Strategie gegen die Rechten: „Die AfD lebt vom Trotzpotenzial. Wir müssen weitermachen und nicht verzweifeln.“

In Hoyerswerda glaubt Lemke, dass das gelingen kann. „Wir stehen ­mitten im Strukturwandel. Und wenn wir hier eins haben, ist es Arbeit.“ Und gute Spielplätze. Und Einkaufszentren. Und Wohnungen. Es sei eigentlich alles da. Fehlen nur noch die Menschen. Damit die Straßen wieder voller Kinder sind.

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