Steinmeiers Äußerungen zu Migration: Der falsche Präsident

Der Bundespräsident sollte einigend wirken. Steinmeier aber lobt den „Asylkompromiss“ der 90er und gibt denen Recht, die Migranten als Problem sehen.

Präsident Steinmeier unter einem Regenschirm.

Goss rhetorisch Öl ins Feuer der aufgeheizten Migrationsdebatte: Präsident Steinmeier am 3. Oktober Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Die Macht des Bundespräsidenten ist das Wort. Was Frank-Walter Steinmeier zum Tag der Deutschen Einheit sagte, grenzt an Machtmissbrauch. Steinmeier, der sich sonst hinter wohlmeinender Bräsigkeit verschanzt, goss rhetorisch Öl ins Feuer der aufgeheizten Migrationsdebatte. Er tat das Gegenteil von dem, was notwendig wäre.

Wenn es überhaupt ei­ne*n Bun­des­präsi­den­t*in braucht, dann in Zeiten wie diesen, in denen eine rassistische und offen faschistisch auftretende Partei an Zuspruch gewinnt und Populismus normales Stilmittel, Antisemitismus kein Rücktrittsgrund mehr ist. Gerade jetzt wäre eine überparteilich respektierte Person gefragt, die an gemeinsame Werte appelliert, an Solidarität, Toleranz und Menschlichkeit. Werte, die oft umso sichtbarer werden, je ernster die Lage ist – ob während der Coronakrise, der Flut im Ahrtal oder zu Beginn des russischen Kriegs gegen die Ukraine, als Hunderttausende gen Westen flohen. Steinmeier sagte nichts dergleichen.

Stattdessen sprach er im Interview mit den „Tagesthemen“ davon, dass man Mi­gra­tion begrenzen müsse, die Menschen erwarteten Antworten. Er gab damit all jenen recht, die für die Mängel im Land – ob hohe Preise, marode Infrastruktur, fehlende Arbeitskräfte oder stockende Digitalisierung – ausgerechnet die Schwächsten und Rechtlosesten verantwortlich machen, also die, die dazukamen. Als Lösung erinnerte er an die 1990er Jahre.

Damals schränkten Union und SPD das Grundrecht auf Asyl für Menschen ein, die aus sogenannten sicheren Herkunfts- und aus Drittstaaten kamen, also den Nachbarländern Deutschlands. Auch damals lautete die Erzählung: Nicht der rassistische Mob, der Häuser und deren Be­woh­ne­r:in­nen in Rostock oder Mölln abfackelt, ist das Problem, sondern die, denen diese Anschläge galten, und deren angeblicher „Asylmissbrauch“.

Drei Tage nachdem der Bundestag den sogenannten Asylkompromiss beschlossen hatte, verbrannten in Solingen fünf Menschen türkischer Herkunft. Sie waren keine Asylbewerber. „Und ob Sie es glauben oder nicht – ich war an jenem Asylkompromiss beteiligt“, so Steinmeier.

Doch, das glaubt man gern. Steinmeier steht als Langzeitpolitiker und Parteisoldat für vieles, was in Deutschland schieflief und verschleppt wurde. So setzte er als Außenminister alles daran, Deutschland abhängig von russischer Energie zu machen. Es fehlt ihm deshalb heute an Glaubwürdigkeit und moralischer Autorität, wenn er auf Pro­ble­me hinweist, die er selbst mit verantwortet. Das zeigte sich bereits in den Monaten nach Beginn des russischen ­Angriffskriegs. Und das zeigt sich auch heute wieder, wenn es darauf ankommt, die Gesellschaft zusammenzuführen. Er ist der falsche Präsident.

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Schwerpunkte SPD und Kanzleramt sowie Innenpolitik und Bildung. Leitete bis Februar 2022 gemeinschaftlich das Inlandsressort der taz und kümmerte sich um die Linkspartei. "Zur Elite bitte hier entlang: Kaderschmieden und Eliteschulen von heute" erschien 2016.

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