SPD Berlin vor der Wahl: Die Fast-egal-Wahl

Für die Hauptstadt-SPD steht bei der Teilwiederholung der Bundestagswahl nicht viel auf dem Spiel. Spannend werden die Machtkämpfe nach dem Wahltag.

Das Bild zeigt Entwicklungsministerin Svenja Schulze, Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey und SPD-Landeschef Raed Saleh

Händchen halten und Mut machen: Franziska Giffey und Raed Saleh mit Entwicklungsministerin Svenja Schulze (v.l.n.r.) Foto: Christoph Soeder/dpa

BERLIN taz | Die Noch-Chefin der Berliner SPD wirkt mal wieder aufgekratzt. „Irgendwann hat man trotzdem kalte Füße, es ist einfach so“, ruft Franziska Giffey am Freitagabend gut gelaunt ihren Ge­nos­s:in­nen im Willy-Brandt-Haus die typischen Winterwahlkampf-Nebenerscheinungen in Erinnerung.

Bei der „SPD-Schlussspurt-Veranstaltung“ geht es ihr nicht nur darum, nach „einem sehr, sehr kurzen, sehr intensiven Wahlkampf“ den Parteimitgliedern ausführlich zu danken. Sie versucht sich auch darin, 2 Tage vor der Teilwiederholung der Bundestagswahl in Berlin am Sonntag noch mal Stimmung in die SPD-Bude zu bringen. Das gelingt ihr nur leidlich.

Das offizielle Wahlkampffinale-Einläuten der So­zi­al­de­mo­kra­t:in­nen ist ausgesprochen schlecht besucht. Vielleicht 50 Ge­nos­s:in­nen verlieren sich im Foyer der Zentrale der Bundespartei. Mutmach-Reden: Das haben sich sowohl Franziska Giffey und Co-Landeschef Raed Saleh als auch SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert und Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze zur Aufgabe gemacht.

Kühnert verteidigt in Tempelhof-Schöneberg sein 2021 gewonnenes Direktmandat. Folgt man seinen Ausführungen, dann lief der Wahlkampf für seine Partei wie geschnitten Brot: „Wenn der Wahlkampf der SPD erstmal läuft, dann läuft er.“

Eine eigenartige Wahl

Es ist eine eigenartige Wahl, ein eigenartiger Wahlkampf – selbst für die SPD. So wirbt die Partei vor allem mit einem auffallend textlastigen Plakatmotiv um Stimmen. Die längliche Hauptbotschaft: „Demokratie verteidigen. Armut bekämpfen. Wohlstand sichern. SPD wählen.“ Franziska Giffey gefällt das: „Ich glaube, das sind die Themen der Zeit.“ Wie viel Geld die Partei in den Wahlkampf investiert hat, will ihr Landessprecher auf taz-Nachfrage nicht sagen.

Für die SPD insgesamt scheint die Wahl in Berlin zunächst auch fast egal. Läuft es am Sonntag schlecht für die Partei, kann im Anschluss zwar wieder viel die Rede sein von „Wir haben das Signal der Wäh­le­r:in­nen verstanden“ und „Wir nehmen das Ergebnis mit Demut an“. Im zusätzlichen Bekümmertdreinschauen nach Wahlen sind die Partei-Granden auch längst geübt.

Tatsächlich taugt die Teilwiederholung der im September 2021 vergeigten Bundestagswahl aber nicht einmal für einen besonders aussagekräftigen Stimmungstest. Schließlich ist nur je­de:r fünfte Ber­li­ne­r:in wiederholungswahlberechtigt.

Das heißt auch: Vier Fünftel der Stimmen von 2021, als die SPD in Berlin auf 23,4 Prozent kam, wandern unangetastet in den Gesamtwahltopf von 2024. Dass die So­zi­al­de­mo­kra­t:in­nen nicht eben rosig dastehen – in einer jüngsten Berlin-Umfrage werden sie auf 16 Prozent taxiert –, dürfte sich also nicht komplett desaströs auf das nach Sonntag neu festgestellte Endergebnis auswirken.

Den Letzten beißen die Hunde

Faktisch wird die SPD zudem ihre aktuell 206 Sitze im Bundestag halten. Sollten die So­zi­al­de­mo­kra­t:in­nen ein Debakel bei den Zweitstimmen erleben, wäre die einzige Konsequenz, dass die Berliner Abgeordnete Ana-Maria Trăsnea ihr Mandat an eine SPD-Genossin aus Niedersachsen verliert. Im allerbesten, aber extrem unwahrscheinlichen Fall sitzen künftig beide für die SPD im Bundestag, die damit auf 207 Sitze käme. Doch daran glauben vermutlich nur unverwüstliche Parteioptimist:innen.

Zu den Kuriositäten dieses Sonntags gehört dabei, dass Trăsneas Direktwahlkreis Treptow-Köpenick kaum von der Wiederholungswahl betroffen ist. Weniger als 4 Prozent der Wahlberechtigten können im Südostbezirk erneut abstimmen. Aber Trăsnea ist erst 2023 über den SPD-Landeslistenplatz 6 in den Bundestag nachgerückt.

Bei zu wenigen Zweitstimmen für die Partei am Sonntag gilt für Trăsnea daher das Prinzip: Den Letzten beißen die Hunde. Schon deshalb hat sich die ehemalige Staatssekretärin in der seinerzeit noch Franziska Giffey unterstehenden Senatskanzlei in den Wahlkampf eingeklinkt. Ihr Wahlkampfslogan: „Jede Stimme zählt“.

Ex-Senatschef Müller darf Außenpolitiker bleiben

Nur bedingt behaupten lässt sich das für Ex-Senatschef Michael Müller, den Direktkandidaten im weitaus stärker betroffenen Wahlkreis Charlottenburg-Wilmersdorf. Über 40 Prozent werden hier ein zweites Mal zur Urne gebeten. Auf dem Wahlzettel lautet Müllers Berufsbezeichnung unverändert „Regierender Bürgermeister von Berlin“. Es ist nun mal eine Wiederholungswahl.

2021 hatte Müller das Direktmandat noch mit über 3 Prozentpunkten Vorsprung zur Grünen-Kandidatin Lisa Paus geholt. Am Sonntag könnte er es verlieren. Zur taz sagt er, er sei optimistisch. Folgen hätte der Verlust des Mandats keine. Müller ist über den SPD-Landeslistenplatz 1 abgesichert. Er bleibt dem Parlament so oder so bis zur nächsten „großen“ Bundestagswahl in voraussichtlich anderthalb Jahren erhalten.

Für die SPD im Bundestag – und darüber hinaus – ist es dann auch unerheblich, ob Müller weiterhin als direkt gewählter Abgeordneter oder als über die Landesliste gewählter Abgeordneter für wenig Aufsehen sorgt. Zur Erinnerung: Der Ex-Regierende und Ex-SPD-Landeschef ist jetzt Außenpolitiker.

Wie weiter mit der SPD Berlin?

In der SPD Berlin schielt man unterdessen vor allem auf die Tage und Wochen nach der Wiederholungswahl, wenn auch aus ganz anderen Gründen. Nach der Ankündigung von Franziska Giffey, beim Parteitag im Mai nicht mehr für den Landesvorsitz zu kandidieren, hatte sich die SPD zumindest öffentlich eine Diskussionspause über die Zukunft der Doppelspitze auferlegt.

„Wir haben gerade die Aufgabe, uns auf die Teilwiederholung der Bundestagswahl zu konzentrieren, und darauf konzentriere ich mich voll und ganz“, erklärte etwa Co-Landeschef Raed Saleh immer wieder, auch gegenüber der taz. Die Wahl ist am Sonntag gelaufen. Für den mächtigen Mann der Hauptstadt-SPD könnte es dann eng werden.

Er will, wie es heißt, mit der Marzahn-Hellersdorfer Bezirksverordneten Luise Lehmann als Duo kandidieren. Saleh rechnet sich dem linken Parteiflügel zu. Das beansprucht auch das zweite potenzielle Kan­di­da­t:in­nen­duo für sich: Charlottenburg-Wilmersdorfs Kreischef Kian Niroomand und die Co-Vorsitzende der Berliner SPD-Frauen, Jana Bertels.

Damit nicht genug, gibt es mit Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel und Ex-Sportstaatssekretärin Nicola Böcker-Giannini eine dritte Kandidatur, diesmal vom rechten Parteiflügel. Hikel und Böcker-Giannini ignorierten als Vorgeschmack auf die kommenden Wochen dann auch die Wünsche der aktuellen Parteispitze, die Füße bis zum 11. Februar stillzuhalten. Im Tagesspiegel plauderten sie vor wenigen Tagen flott darüber, wie sie die Berliner SPD zu führen gedenken. Das Rennen um die künftige Doppelspitze ist eröffnet.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.