Nazis und Nachbarn in Österreich: Die Wegwischer

Unsere Autorin wuchs in einem österreichischen Dorf auf. Zu Besuch in Altenfelden vor der Präsidentenwahl – Österreich im Kleinen.

Ein Holzhaus, die wiederaufgebaute Flüchtlingsunterkunft in Altenfelden, steht auf einem Hügel vor dem Ausblick in die Landschaft

Sehr schnell und entschlossen wurde das abgebrannte Gebäude wiederaufgebaut – eine Überraschung Foto: reuters

ALTENFELDEN, OBERÖSTERREICH taz | Der Tag, an dem die Menschen in Altenfelden aufgewacht sind und das Gefühl hatten, dass es so nicht weitergehen könne, lässt sich genau benennen. Es war der 1. Juni 2016, als mitten in der Nacht ein – zum Glück noch nicht bezogenes – Asylbewerberheim in Brand gesteckt wurde und am Tag darauf völlig zerstört war.

Die Sozialistische Jugend Altenfelden, die ich vor Jahren, als ich noch in dem oberösterreichischen Dorf lebte, mitbegründet hatte, organisierte eine Solidaritätskundgebung – gemeinsam mit Bürgermeister Klaus Gattringer von der konservativen ÖVP. Eintausend Menschen kamen. Sehr schnell und entschlossen wurde das Heim wiederaufgebaut, im September zogen die ersten Bewohner ein, 70 ehrenamtliche HelferInnen bieten Freizeitaktivitäten an, zwölf DeutschlehrerInnen geben Sprachunterricht.

Dass sich an einem Tag in einem 2.000-Einwohner-Dorf so viele Menschen einem ausländerfeindlichen Akt entgegenstellen, hätte ich in Altenfelden nicht erwartet.

Altenfelden ist ein Ort, der kurz vor der Wahl unseres Bundespräsidenten gespalten ist wie das gesamte Land. Bei der Stichwahl im Mai, die später für ungültig erklärt wurde, erreichte der Kandidat der rechtsextremen FPÖ, Norbert Hofer, im Dorf 54,6 Prozent, der Kandidat der Grünen, Alexander Van der Bellen, lag bei 45,4 Prozent.

Das beste Dorf der Welt

Es ist vorstellbar, dass wir am kommenden Sonntag einen Rechtsextremen zum Bundespräsidenten wählen. Mich überrascht das nicht. Es war abzusehen, dass die FPÖ stärker werden wird.

Ich nenne Altenfelden an manchen Tagen Nazidorf, obwohl es für mich an den meisten Tagen das beste Dorf der Welt ist. Es ist schön dort, so schön, dass ich immer wieder Freunde aus Wien, wo ich studiere, einlade, mich bei meinen Eltern zu besuchen.

Ich mag die Hügel, den Wald und die Menschen, die Gespräche während Spaziergängen durch die umliegenden Bauerndörfer oder beim Einkaufen, mit Leuten die ich kenne, seit ich denken kann. Der Marktplatz ist das Zentrum; zwischen dem Gasthaus Zeller, dem Veldnerhof – Treffpunkt vieler Vereine – und der gotischen Kirche bin ich aufgewachsen.

Ein Nazidorf? Ja, auch. Weil sich Neonazis langsam ausbreiten konnten und der größte Teil des Ortes still zusah. Es begann, als ich etwa zwölf Jahre alt war. Sie traten plötzlich auf, man sah Bomberjacken, Springerstiefel, Glatzen, in die Wände am Spielplatz geritzte Hakenkreuze, Sticker des neonazistischen „Bundes freier Jugend“.

Niemand sagte etwas

Wer das nicht sehen wollte, schaute weg. Was geschah, wurde als Legende erzählt, man hatte von etwas gehört. Die drei Brüder, die an Hitlers Geburtstagen Partys in der Garage ihres Vaters schmissen. Die Katze der türkischen Familie, die aufgeschlitzt wurde und mit deren Blut das Haus beschmiert wurde. Am besten sich nicht damit beschäftigen. Geht schon wieder weg.

Als ich einmal im Bus saß, stieg ein behindertes Mädchen ein. Alle stellten ihre Rucksäcke auf die freien Plätze neben sich, ich nicht. Als wir aussteigen wollten, versperrte uns ein Neonazi aus der Parallelklasse den Weg, er drehte die Arme des Mädchens nach hinten, als ich helfen wollte, auch meine. Wir schrien, ich trat um mich – niemand sagte etwas.

Dass es nicht richtig war, was die Jungs machen, war eine Sache. Sich deswegen aufzuregen eine andere. Wenn ich es machte, erntete ich häufig eine wegwischende Handbewegung – „übertreib nicht“. Dazu wurde mir erklärt, ich würde verharmlosen, was richtige Neonazis machen, wenn ich die rechten Jungs in Altenfelden so bezeichnete.

Dieselbe Handbewegung sah ich, wenn ich die FPÖ als faschistisch bezeichnete. Nicht nur in Altenfelden, in ganz Österreich. Dass ich faschistische Ideologien verharmlosen würde, wenn ich die FPÖ damit vergleiche, wurde mir erklärt.

Jetzt nicken alle

Seit die FPÖ eine realistische Chance auf die Mehrheit bei der Bundespräsidentenwahl hat, ist das anders. Vor Kurzem hat ein Gericht in der ersten Instanz einen Politiker freigesprochen, der Norbert Hofer als Nazi bezeichnet hatte. Hofer hat im Parlament früher eine blaue Kornblume getragen, das Erkennungszeichen österreichischer Nationalsozialisten in der Zwischenkriegszeit, er ist Mitglied einer deutschnationalen Burschenschaft.

Wenn ich auch davor zurückschrecke, die Bezeichnung zu verwenden, wäre ich an dem Tag, als das Urteil bekannt wurde, gern singend durch die Wiener Uni gelaufen: „Der Hofer ist ein Nazi“, um den Wegwischern zu erzählen, dass ein staatliches Organ meine Vermutung bekräftigt hat. Doch das ist nicht mehr nötig. Wenn ich jetzt sage, „die FPÖ ist faschistisch“, dann nicken alle. Im Wiener Beisl ebenso wie im Wirtshaus in Altenfelden.

Klaus Gattringer, der Bürgermeister, dem ich kürzlich von meinen Erlebnissen als Jugendliche erzählte, sagte, er habe von solchen Übergriffen, von der Szene, nichts gewusst. Die Themen Asyl und Fremdenfeindlichkeit beschäftigten ihn erst, seit das AsylbewerberInnenheim geplant wurde. Bevor es brannte, bekam er Drohbriefe. Auch er hilft dort freiwillig mit und sagt: „Mit der Wahrheit müssen wir leben.“

Um meine Erinnerungen zu prüfen, besuche ich eine Schulfreundin, deren Familie eine der vier bis fünf türkischen Familien in Altenfelden ist. Ihr Haus liegt im Zentrum, in der Nähe des Marktplatzes. Während wir mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern Çay trinken, erzählt die Freundin, wie es mit der toten – aufgeschlitzten, wie es die Legende sagt – Katze wirklich war.

Beschimpfungen gab es viele

Sie und ihre Familie hätten geschlafen, als es laut knallte. Jemand hatte vor ihrer Haustür Böller explodieren lassen. An die Fenster hatte jemand „Ausländer raus“ und andere Parolen geschmiert, nicht mit Blut. Die Katze wurde irgendwann von einem Auto überfahren.

Die Familie meiner Freundin wurde häufig von Rechtsextremen beschimpft. Wenn sie vor dem Haus am Bordstein spielten, fuhren Autos auf sie zu, als würden sie die Kinder überfahren wollen, bevor sie abdrehten.

Von der restlichen Gemeinschaft im Dorf fühlte sich die Familie nicht wirklich unterstützt, erzählen sie mir. Meine Eltern boten den Kindern Nachhilfe an. Wenn sie Probleme hatten, rief die Familie meiner Freundin die Frau an, die für den katholischen Jugendraum verantwortlich war, in dem sich vor zehn Jahren auch die Rechten trafen. Bei ihr lade ich mich zum Tee ein. Was weiß sie von damals?

Von der Clique im Jugendraum erzählt sie, manche von ihnen hätten zu Hause Probleme gehabt, andere hätten sich abgrenzen wollen, einige die rassistischen Ansichten der Eltern übernommen. Sie habe überlegt, die rechten Jungs auszuschließen. Aber „diejenigen auszugrenzen, die selbst ausgrenzen“, das sei ihr falsch erschienen. Dass Altenfelden als rechte Gemeinde gilt, liege auch an uns, die nicht dagegen laut geworden seien.

Erstmals wieder Aufbruchstimmung

2007 gründeten eine Freundin und ich die Sozialistische Jugend Altenfelden; als das bei einer Landesversammlung der Organisation erwähnt wurde, erhielten wir Sonderapplaus, weil es in der gesamten Region noch keine Ortsgruppe gegeben hatte. Wir waren nie mehr als sechs Mitglieder, unsere Workshops zu Themen wie „Alltagsrassismus“ oder „Frauen und Armut“ waren schlecht besucht. Bald gaben wir auf. Meine Cousine führte das Projekt weiter.

Politischer Aktivismus war nicht angesagt, Mattheit hatte sich übers Land gelegt. Österreich wird seit 1987 von der Großen Koalition aus Sozialdemokraten – SPÖ – und Volkspartei – ÖVP – regiert, mit Ausnahme einer Koalition aus FPÖ und ÖVP von 2000 bis 2006. Insgesamt 44 Jahre stellte die Große Koalition seit 1945 die Bundesregierung. Die Bundespräsidentschaftswahl 2016 ist die erste Wahl seit Langem, bei der WählerInnen das Gefühl haben, das ihre Stimme etwas bewirkt.

Vor ein paar Jahren wurde es still um die Rechtsextremen in Altenfelden. Wenn ich heimfuhr und im Wirtshaus saß, kamen ehemalige Neonazis zu mir und meinten, sie hätten sich geändert. Erzählten von Horizonterweiterung und Reisen nach Mexiko und Japan. Die meisten habe ich dann bei der Infoveranstaltung gesehen, die vor dem Bau des Asylheims abgehalten wurde. Sie jubelten, als eine Besucherin eine Ausgangssperre für Flüchtlinge vorschlug. Wenige Monate danach brannte das Gebäude.

Wer links ist, hat keine Partei

Die Rechten identifizieren sich mit der FPÖ. Wer links ist – vor zehn Jahren nannte man so jemanden „moderat“ –, hat keine Partei. Die Politik ist nach rechts gerückt. ÖVP-Politiker fordern, was die FPÖ vor zehn Jahren gefordert hat. Die SPÖ geht in dieselbe Richtung. Die Grünen halten sich zurück. Tabus von gestern sind heute salonfähig. Die Neonazis in meinem Dorf geben sich normal, aber ihre Gesinnung ist nicht besser geworden. Nur das Umfeld ist verrutscht.

Diejenigen, die die FPÖ früher vom Sofa aus verurteilt haben, werden aktiv. Mangels einer Partei, die nicht nach rechts rückt, engagieren sie sich. Demonstrationen, Spendenaktionen, ehrenamtliche Arbeit in einem Ausmaß, dass es davor nicht gab, ist ihre Antwort auf den Erfolg der FPÖ.

Nie war in Österreich die FPÖ so stark. Selten hatte sie so viele GegnerInnen. Täglich ein rassistischer Übergriff. Täglich eine Aktion gegen Fremdenfeindlichkeit. Niemand ist mehr unbeteiligt. In Altenfelden wie im restlichen Österreich. Es hat etwas angefangen.

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