Münchner Sicherheitskonferenz: Zwei Demos, ein Gegner

Mehrere Tausend Menschen protestierten am Samstag getrennt gegen die Münchner Sicherheitskonferenz. Aber alle wollen „Frieden mit Russland“.

Polizei und Demonstranten

Am Odeonsplatz trafen am Samstag Pro-Ukraine- und Anti-Nato-Demonstranten zusammen. Zu sagen hatten sie sich nichts Foto: Pascal Beucker

MÜNCHEN taz | Am Stachus sammeln sich am Samstagmittag die altlinken Kämpen verschiedenster Schattierung. Wie jedes Jahr bei der Münchner Sicherheitskonferenz (Siko). Manche Demoteilnehmer sind schon seit eh und je dabei. Das Motto diesmal: „Kriegstreiber unerwünscht!“ Erstaunlich, dass das nicht schon früher mal verwendet wurde. Die „Machtinteressen der Nato“ werden kritisiert, ein Redner meint: „Hier trifft sich die Lobby des Krieges.“ Mit ziemlich harter E-Leadgitarre spielt eine Band den Antikriegsklassiker „Hiroshima“ von Wishful Thinking.

Plakate mit „Schwerter zu Pflugscharen“ – einst das Motto der unabhängigen Friedensbewegung in der DDR – ragen in die Höhe. Der maoistische „Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD“ verteilt Flugblätter für die Errichtung einer „Arbeiterregierung“. Alte verbünden sich mit etlichen jungen Menschen, die irgendwo zwischen Punks und Autonomen einzuordnen sind. Die SDAJ, Jugendorganisation der DKP, schwenkt viele rote Fahnen. Die Polizei zählt insgesamt etwa 3.000 Teilnehmer. Das könnte hinkommen.

Ist das die Linke? Oder: Welche Linke ist das? Die Grünen, die früher mal dabei waren, haben sich bei diesem Protest schon lange ausgeklinkt und sitzen heute lieber auf den Podien der Siko. Ein Häuflein Linksparteiler ist zwar mit einem Banner zu sehen. „Die Waffen nieder“, steht darauf. Auch ein paar Gewerkschafter sind da, ebenso wie klassische Friedensorganisationen wie die DfG/VK oder Pax Christi.

Aber ansonsten haben sich hier vor allem jene Linksaußenkleingruppen versammelt, die mehr Parolen als Mitglieder haben. Und davon gibt es immer noch erstaunlich viele. Ihr Weltbild scheint nicht einmal durch einen imperalistischen Angriffskrieg Russlands erschütterbar zu sein: Schuld sind am Ende immer die USA und die Nato.

„Schluss mit der NATO-Expansion“, prangt auf einer Papptafel, die ein älterer Herr mit rotem Che-Guevara-T-Shirt hochhält. „KEIN Geld, KEINE Waffen für die US-Marionetten in Kiew!“ steht auf der Tafel eines anderen in die Jahre gekommenen Demonstranten. „Frieden mit Russland“ ist auf einem Plakat zu lesen. Wer führt hier bloß Krieg gegen wen?

Anders als im vergangenen Jahr scheint der Ukraine-Krieg allerdings für den Großteil der Demonstranten ohnehin nur noch eine Nebensache zu sein. Ein militärischer Konflikt in einer anderen Weltregion ist nunmehr zum Objekt der Begierde geworden: Im Gaza-Krieg stellt sich das Aktionsbündnis ganz klar auf die Seite der Palästinenser und gegen Israel.

Eindrucksvoll ist ein 20 Meter langes Papierband, das auf dem Stachus entrollt wird. Darauf stehen laut den Erstellern 5.000 Namen von im Gazakrieg getöteten Palästinensern mit Todesdatum. „Es sind insgesamt 30.000 Tote“, sagt der Mann, der das Ende des Bandes hält, „aber hier haben nur 5.000 drauf gepasst.“ Viele Palästina-Fahnen wehen. Immer wieder ertönen laute Sprechchöre: „Free, free Palestine.“ Auf einem großen Transparent ist zu lesen: „Nato und Israel Hand in Hand beim Genozid in Gaza.“

Die Münchner Palästina-Aktivistin Rihm Hamdan sagt in ihrer Rede: „Alle Nachbarn haben sich mit diesem Staat gezwungenermaßen abgefunden.“ Ob das auch für die Demonstranten hier gilt? Vorsorglich hat das Münchner Kreisverwaltungsrat die Parole „From the river to the sea“, gemäß der Israel von der Landkarte ausgelöscht werden soll, untersagt. Sie ist auch nicht zu hören oder zu lesen. Immerhin.

Auch Querdenker veranstalten Demo gegen die Siko

Einen knappen Kilometer entfernt und eine Stunde später versammelt sich auf dem Königsplatz eine zweite Demonstration gegen die Siko. Unter dem Motto „Macht Frieden!“ hat dazu ein aus der Querdenker-Szene stammendes Bündnis aufgerufen. Auch im vergangenen Jahr war es schon da. Damals kamen noch rund 10.000 Menschen, diesmal sind es laut Polizei nur noch 2.000. Blaue Friedenstaubenfahnen wehen neben Deutschland- und Palästinafahnen über den Platz.

Es ist eine krude Mischung aus Unzufriedenen, die sich in ihrer Wut, ja in ihrem Hass auf die Politik irgendwie verbandeln. Die eine fühlt sich noch irgendwie links, der andere war schon immer rechts und die Coronaleugner verstehen sich blendend mit den Verschwörungsfantasten, weil sie selbst welche sind. Gemeinsam ist ihnen allen, dass sie eine sehr eigentümliche Vorstellung von Demokratie haben und ganz eindeutig pro russisch sowie pro palästinensisch sind.

Verkörpert wird die Art von „Querfront“ von kaum einen besser als von Diether Dehm, der als einer der Hauptredner auftritt. Der 73-jährige Ex-Linken-Bundestagsabgeordnete, Musikmillionär und glühender Symphatisant von Sahra Wagenknecht sticht durch immer absurdere Ansichten hervor. Würden Rechte (womit er Rechtsaußen meint) unter „Medienverfolgung“ leiden, meint Dehm in seiner Rede, so sei es Pflicht von Linken, sich vor sie zu stellen. Und umgekehrt auch. In einem großen und wortklingelnden Bogen sagt er, dass Rechte die guten Ansinnen des Kommunismus anerkennen sollten und Linke die Heimatliebe und „Verteidigung des Nationalen“ der Rechten.

In einem unglaublich geschmacklosen und nebenbei auch schlechten Gedicht „Sophie Scholl 2.0“ äfft er mit hoher Stimme eine erfundene junge Teilnehmerin der großen Demonstrationen gegen rechts nach: „An meiner Meinung, meinem Wesen, da soll die ganze Welt genesen“, heißt es darin. „Wer macht mit, wenn wir“, lässt er die fiktive Person fragen, „unwertes Leben rechts beenden“? Und er schließt mit der Zeile: „Seit wir neu gegen Moskau zogen, erstrahlt das Heer im Regenbogen.“

Dem steht Jürgen Todenhöfer, Ex-CDU-Bundestagsabgeordneter und Aktivist vor allem in eigener Sache, kaum nach. Der 83-Jährige meint zu wissen: „Die Ukraine hat diesen Krieg längst verloren“, sie werde „nur noch sinnlos verheizt von den Amerikanern“. Denn das sei „ein Krieg Amerikas“, wettert er. „Um Russland zu besiegen, muss man früher aufstehen als diese debile Vogelscheuche Joe Biden“, spottet Todenhöfer. Das läge auch ohnehin nicht im Interesse Deutschlands, sondern die „Partnerschaft mit Russland“. Dessen Rohstoffe kombiniert mit europäischer Technologie würden „so viel Tolles bringen“.

Auffällig ist, dass ein Mensch und sein Schicksal weder von Todenhöfer noch überhaupt auf einer der Demos erwähnt wird: der russische Regimekritiker Alexei Nawalny, Erzfeind Putins, dessen Tod in russischer Haft am Freitag bekanntgegeben worden war. Dass der russische Präsident ihn auf dem Gewissen hat, ist offenkundig. Aber das interessiert hier keinen.

Für die Palästinenser wirft sich Todenhöfer hingegen mächtig in die Bresche und meint am Ende über die Ampelkoalition: „Der Teufel soll diese Bundesregierung holen, und Herrn Netanjahu kann er dabei gleich mitnehmen.“ Für die Berliner Bundestagsnachwahl vor einer Woche hatte seine Partei, das „Team Todenhöfer“, kräftig plakatiert: „Die einzige Partei, die GAZA nicht verraten hat!“

Schaut man sich ein bisschen um, ist sowohl die rechtsextreme als auch die verschwörungsgläubige Beteiligung bei dieser Demo nur schwer übersehbar. An den Infoständen findet sich Material zu den Klassikern wie die Verteufelung der WHO, Falschinfos über Corona-Impfungen oder die Ablehnung des Rundfunkbeitrags. Das Verschwörungshetzblatt Demokratischer Widerstand ist ausgelegt. Und die Leute des extrem rechten österreichischen Senders „Auf1“ sind vor Ort. Sie verteilen Material, ihr blauer Transporter ist mitten auf dem Königsplatz geparkt – in Sichtweite des Münchner NS-Dokumentationszentrums.

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