Moral beim Reisen: Teure Armut und verkümmertes Glück

West­eu­ro­päe­r:in­nen machen es sich bei moralischen Fragen ums Reisen oft leicht. Kontakt zu fremden Milieus meiden sie dabei hier wie dort.

Geführte Kameltour in den Sanddünen

Vielleicht ist das Miteinander in der Ausbeutungsgesellschaft auswärts leichter Foto: Dan Baciu/imago

Kürzlich erzählte mir eine Urlaubsrückkehrerin, dass sie in Nordafrika nicht auf dem Markt einkaufe: „Die Leute da verdienen im Monat soviel wie wir an einem Tag. Da kauft man nicht.“ Je länger ich darüber nachdachte, desto schräger wurde das Argument. Gerade deshalb wäre es doch sinnvoll, dort Geld zu lassen und ins Gespräch zu kommen. Die meisten Tou­ris­t:in­nen aber meiden lokale Bekanntschaften – jenseits vom netten Tourguide – wie der Teufel das Weihwasser. Sie lieben Kulissen. Die Lebenden sind nur das Servicepersonal in ihrem Open-Air-Museum.

Dabei lässt das Reisen Distanzen schmelzen. Wer will, kommt in der Fremde mit Menschen aus verschiedenen Milieus ins Gespräch, mit denen das daheim schwerer ist. Kleinkriminelle oder illegal Migrierte, Analphabeten oder Menschen ohne Einkommen. Vielleicht ist das Miteinander in der Ausbeutungsgesellschaft auswärts leichter, weil wir uns als Reisende und Einheimische treffen, nicht als lokale Eliten und Prekäre. Weil Menschen sich Geld erhoffen, weil sie gastfreundlicher und wir angstfreier sind.

Manche solcher Freund- und Bekanntschaften halten und begleiten mein Leben. Das heißt auch Schmerz, Schuld und eine steile Lernkurve. Lange glaubte ich, ihnen helfen zu können. Indem ich eine Flucht zahlte oder einen Schulbesuch, eine Haftstrafe abwendete oder eine Bewerbung schrieb. Aber langfristige Auswege sind nicht vorgesehen. Bewerbungen prallen ab, weil die falsche Staatsangehörigkeit draufsteht. Ein Laptop hilft niemandem, der im Dorf kein Internet hat. Geld verschwindet für ersehnten Konsum statt Zukunft. Und immer geht es nur darum, die nächste Katastrophe abzuwenden. Armut ist teuer. Und unsichtbar.

Linke Jour­na­lis­t:in­nen interessieren sich gern für unschuldige und dramatische Opfer. Sie haben wenig übrig für das öde Dahinplätschern von Menschen, die sich auch mal zu wenig kümmern, lügen, irrational handeln oder stehlen. Menschen in Armut sind nur, wenn sie fehlerfrei sind, von ihrer Armut entschuldigt. Aber selbst dann – alles richtig machen hilft ihnen nicht viel. Mit viel Glück verkümmern ihre Talente auf einem Erdbeerfeld.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Mit Menschen in Armut befreundet zu sein, bedeutet einen ständigen persönlichen Schuldkonflikt: Wie viel will ich verzichten, wie viel hören? Halten beide Seiten den Unterschied aus? Reisen ist ein Besuch bei den Menschen, die unsere Insel schaffen. Ich habe lange nachgedacht, warum West­eu­ro­päe­r:in­nen sich dort so wohlfühlen. Ich weiß es nicht. Aber eines weiß ich: Ohne Segregation könnten sie Schmerz und Schuld nicht aushalten. Blieben wir massenhaft im Gespräch, wäre der Kapitalismus tot.

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Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum, Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen zum Beispiel im Fußball und übers Reisen. 2018 erschien ihr Buch "Wir sind der Verein" über fangeführte Fußballklubs in Europa. Erzählt von Reisebegegnungen auch auf www.nosunsets.de

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