Leiter übers Kieler Frequenz-Festival: „Die Menschen kommen ganz zufällig“

Eine Woche lang verknüpft das Frequenz-Festival in Kiel Neue Musik, Performances und Audiovisuelles. Sharif El Razzaz über Kunst und Zugänglichkeit.

Mangroven stehen im Wasser

Inspiration für eines der Stücke des Ensemble Recherche (12. Mai): Atchafalaya Basin am Mississippi Foto: rumpelstiltskin1/Flickr/CC

taz: Herr El Razzaz, warum braucht Kiel ein Festival für Neue Musik?

Sharif El Razzaz: Wir wollten die Neue Musik in die Stadt bringen und den Menschen zugänglich machen. Es ist sehr schwer, ein breites ­Publikum für klassische Musik zu begeistern, so sind wir darauf gekommen, auch Performances und audiovisuelle Kunst zu zeigen. Wir wollen nicht nur die typischen Konzertgänger erreichen, sondern die Bürgerinnen und Bürger Kiels. Das Motto lautet schließlich: „Ein Festival für meine Stadt“.

Das Thema Zugänglichkeit beschäftigt gerade viele Veranstalter. Was unterscheidet Ihr Festival von den anderen?

Wir heben uns zum Beispiel dadurch ab, dass das Festival kein bestimmtes Thema hat. Das passiert ja im Kulturbetrieb häufig, dass auf einmal alle das Gleiche machen, weil es im Trend ist. Wir passen unser Programm ganz den Möglichkeiten der Stadt an und fragen uns: „Was ist interessant in Kiel, was passiert in Kiel?“

Was ist denn interessant in Kiel?

Besonders sind natürlich schon unsere Spielorte, die eben nicht der klassische Konzertsaal sind. Stattdessen finden die Auftritte an bekannten und beliebten Orten statt, wie der Stadtgalerie oder dem Kulturforum. Dadurch kommen die Menschen oft ganz zufällig vorbei und sind dann schnell mittendrin. Für unsere Veranstaltungen muss man keine Karten reservieren oder bestellen, sondern kauft die direkt vor Ort.

52, geboren in Ägypten, studierte Klarinette bei Wolfgang Meyer. Er lebt in Kiel und ist künstlerischer Leiter des Frequenz-Festivals.

Einer dieser besonderen Orte ist auch das Zoologische Museum, dort wird die Klanginstallation „Homeo­stasis“ gezeigt – was hat es damit auf sich?

An diesem Beispiel kann man schön sehen, wie gut die gezeigte Kunst zu ihrer jeweiligen Location passt. „Homeostasis“ wurde 2022 im Ozenanium in Stralsund uraufgeführt und nun im Auftrag des Festivals weiterentwickelt. Die Komponistin Kirsten Reese verknüpft Musik mit Lauten und Klängen von Tieren des Ozeans und Meeresgeräusche miteinander. Dazu projiziert der Künstler Robert Seidel abstrakte Filmsequenzen aus der Tier- und Pflanzenwelt des Meeres. Und das alles zwischen den beiden riesigen Wal-Skeletten des Museums: Sinnbildlicher kann es kaum sein.

Sinnbildlich auch für das angeschlagene Verhältnis von Mensch und Natur und den Klimawandel?

Ja, es geht um das Gleichgewicht zwischen dem Meer und den Menschen. Das Werk soll allerdings keine Kritik sein, sondern eine Sensibilisierung. Wir Menschen können nicht sehen, was unter der Wasseroberfläche passiert, durch die Musik können wir aber klanglich ins Meer hinabtauchen. „Homeostasis“ zeigt einen utopischen Entwurf des friedlichen Zusammenlebens aller Arten, im Meer sowie an Land. Es ist auch deshalb ein interessantes, interdisziplinäres Projekt, weil wissenschaftliche Themen mit künstlerischen Ausdrucksformen verbunden werden.

Frequenz-Festival: bis 13. 5., Kiel, Infos und Programm: https://www.frequenz-kiel.de

Nachhaltigkeit ist generell ein wichtiger Aspekt des Festivals, nicht wahr?

Absolut, wir wollen kein Festival gestalten, dass bestimmte politische Ereignisse oder Strömungen ausnutzt, um erfolgreich zu sein. Unsere Kulturarbeit soll genau hier in die Bevölkerung investiert werden, sodass die Menschen vor Ort profitieren können. Mir ist es auch wichtig, dass Auftragskompositionen nicht nur ein- oder zweimal gespielt werden, sondern so wie „Homeostasis“ immer weiterentwickelt werden. Das ist für mich Nachhaltigkeit.

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