Kriegsdienstverweigerer in der Ukraine: Die Freiheit, ‚Nein‘ zu sagen

Die Ukraine will ihre Freiheit verteidigen. Aber sie beschneidet diese Freiheit, wenn sie auch Pazifisten an die Front zwingt.

Soldaten mit Waffen in einem Graben

Ukrainische Soldaten an der Front in Saporischschja im Juni 2023 Foto: Efrem Lukatsky/ap

Die Ukraine hat jedes Recht, den Angriff Russlands abzuwehren. Sie hat das Recht, andere Länder um Waffen zu bitten und Soldaten an die Front zu schicken. Aber hat sie auch das Recht, jeden Einzelnen, genauer gesagt jeden Mann, zum Frontdienst zu verdammen?

Juristisch ist die Sache klar. Laut ukrainischem Gesetz dürfen Männer seit Kriegsbeginn nicht einmal mehr das Land verlassen. Der Pazifist Juri Scheljaschenko stellt genau diese Rechtslage moralisch infrage. Deswegen wird er nun drangsaliert. Sein Haus wurde durchsucht. Ihm droht Haft wegen „Störung der Mobilisierung“.

Klar. Es ist nachvollziehbar, dass der Führung der Ukraine ein Pazifist wie Scheljaschenko ein Dorn im Auge ist. Schon weil er das Bild einer durchweg geschlossenen Haltung der Ukraine infrage stellt. Weil er Waffenlieferungen an sein Land als Beitrag zur Eskalation kritisiert. Und man kann zu dem Schluss kommen, dass diese antimilitaristische Haltung angesichts der massiven Angriffe aus Russland naiv ist. Dass es nur eine schöne Utopie ist, wie Scheljaschenko darauf zu hoffen, dass die Rus­s:in­nen zu Tausenden desertieren, wenn sie nur sehen, dass es in der Ukraine eine entsprechende antimilitaristische Friedensbewegung gäbe.

Aber beim Krieg bleibt immer das Dilemma: Er setzt voraus, dass Menschen Menschen töten. Auf beiden Seiten. Und eigentlich ist es ein zivilisatorischer Fortschritt zu wissen, dass das gegen höchste Werte verstößt.

Doch selbst für das keineswegs nur christliche Gebot „Du sollst nicht töten“ kann man Ausnahmen definieren. Man kann diese Ausnahmen sogar so gut begründen, dass sie schweren Herzens auch für jene nachvollziehbar sind, für die Gewaltfreiheit sonst ein unantastbares Gut ist. Aber kein Krieg kann so gerecht sein, dass jeder Einzelne das Recht verliert, sich ihm zu verweigern.

Wer, um die Freiheit seines Landes zu verteidigen, die Freiheit seiner Bür­ge­r:in­nen beschneidet, verliert vor allem eins: die Freiheit. Klingt pathetisch? Mag sein. Aber so ist es, wenn man an moralischen Werten festhält.

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Leiter des Regie-Ressorts, das die zentrale Planung der taz-Themen für Online und Print koordiniert. Seit 1995 bei der taz als Autor, CvD und ab 2005 Leiter der Berlin-Redaktion. 2012 bis 2019 Leiter der taz.eins-Redaktion, die die ersten fünf Seiten der gedruckten taz produziert. Hat in Bochum, Berlin und Barcelona Wirtschaft, Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation und ein wenig Kunst studiert. Mehr unter gereonasmuth.de. Twitter: @gereonas Mastodon: @gereonas@social.anoxinon.de Foto: Anke Phoebe Peters

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