Kommentar Defizitstreit in der EU: Die Regeln taugen nichts

Die Bestimmungen der Währungsunion sind dumm, mehrdeutig und unverständlich. Die EU sollte sie nach der Europawahl ändern.

Ein Ausschnitt des Gesichts von Italiens Vizepremier Matteo Salvini

Italiens Vize-Premier Matteo Salvini ist sauer über die Ungleichbehandlung Italiens Foto: ap

Urteilt die EU-Kommission mit zweierlei Maß? Im Defizitstreit mit Italien sieht es so aus. Die Regierung in Rom soll wegen einer Neuverschuldung von rund zwei Prozent der Wirtschaftsleistung abgestraft werden. Demgegenüber dürfte Frankreich ungeschoren davon kommen – trotz eines nach oben korrigierten Defizits von 3,2 Prozent.

Wie kann das sein? Wird Frankreich bevorzugt, „weil es Frankreich ist“, wie Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker einmal sagte? Genießt Präsident Emmanuel Macron einen Bonus, weil er proeuropäisch redet – und wird die Regierung in Rom härter rangenommen, da sie von Populisten geführt wird? Ja, dies ist ein Teil der Wahrheit. Es geht um Politik.

Aber es geht auch um die Regeln der Währungsunion. Sie sind nicht nur „dumm“, wie Junckers Amtsvorgänger Romano Prodi einmal sagte. Sie sind auch mehrdeutig und unverständlich.

Das Defizitverfahren gegen Italien wurde nämlich gar nicht mit der Neuverschuldung begründet – sondern mit den alten Schulden, die sich auf 130 Prozent der Wirtschaftsleistung türmen. Nach den EU-Regeln muss dieser Schuldenberg abgebaut werden und zwar dauerhaft. Deshalb könnte es sein, dass das Defizitverfahren gegen Italien weiterläuft, selbst wenn sich Rom und Brüssel doch noch auf ein niedrigeres Defizit einigen sollten. Die Regeln sind so tricky, dass sie fast beliebig interpretiert werden können.

An Italien und Frankreich ließe sich lernen, wie es nicht geht – und dass soziale Aspekte viel stärker berücksichtigt werden müssen als es bisher geschieht

Das gilt auch für Frankreich. Emmanuel Macron kommt zugute, dass er ein regelkonformes Budget vorgelegt hat. Das höhere Defizit kam erst später – als Reaktion auf die jüngsten Proteste der „Gelbwesten“. Und dieses Defizit soll auch eine Ausnahme bleiben. Deshalb kann die EU-Kommission nun ein Auge zudrücken und erst im Frühjahr prüfen, wie es weitergeht.

Das ganze Vorgehen hinterlässt einen schalen Nachgeschmack. Wenn die Regeln so widersprüchlich und dehnbar sind, dann taugen sie nichts. Doch zu einer Reform war die Europäische Union bisher nicht fähig. Ob sich das nach der Europawahl ändert? An Italien und Frankreich ließe sich immerhin lernen, wie es nicht geht – und dass soziale Aspekte viel stärker berücksichtigt werden müssen als es bisher geschieht.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Europäer aus dem Rheinland, EU-Experte wider Willen (es ist kompliziert...). Hat in Hamburg Politikwissenschaft studiert, ging danach als freier Journalist nach Paris und Brüssel. Eric Bonse betreibt den Blog „Lost in EUrope“ (lostineu.eu). Die besten Beiträge erscheinen auch auf seinem taz-Blog

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.