Hamburgs Jobcenter kürzt Angebote: Arbeitslose verlieren Sprungbrett

Weil der Bund sparen will, streicht Hamburgs Jobcenter 800 Plätze zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Die Verwaltung wird von Kürzungen verschont.

Zwei Menschen auf einer Bank und eine Person im Rollstuhl gucken auf den Hamburger Hafen.

Ihre Jobs sind von den Kürzungen bedroht: Mit­ar­bei­te­r*in­nen des Trägers „Ausblick“ Foto: Markus Kohorst

HAMBURG taz | „Es war die beste Maßnahme, die ich je gehabt habe“, sagt Michael Koch. Der 31-Jährige ist einer von knapp 1.600 Menschen, denen in Hamburg über das Jobcenter eine „Arbeitsgelegenheit“ (AGH) vermittelt wurde. Das habe ihn so motiviert, dass er sich für eine neue Ausbildung entschied und ab August den Beruf des Hafenschiffers lernt.

Doch vor einer Woche teilte das Jobcenter den Beschäftigungsträgern der Stadt mit, dass diese Platzzahl für 2024 auf 800 halbiert wird. Im Vorgriff auf Kürzungen des Bundes, der deutschlandweit 500 Millionen Euro bei Verwaltung und Maßnahmen der Jobcenter kürzen will. Davon betroffen sind alle Kommunen. Doch die Landesarbeitsgemeinschaft Arbeit (LAG), in der die Träger organisiert sind, wirft dem Jobcenter Hamburg vor, hier überproportional die Axt anzulegen, um die Verwaltung zu schonen. Die 800 AGH-Plätze sparen etwa elf der insgesamt 15 Millionen Euro ein, auf die Hamburg insgesamt verzichten muss.

„Die Kürzung ist unverständlich“, sagt der LAG-Vorsitzende Dennis Stender. Denn die Arbeitsgelegenheiten seien das „praxisorientierte Sprungbrett“ zur Verhinderung der mehrjährigen Arbeitslosigkeit und dürften nicht ohne Not beschnitten werden. Und da mit den AGHs auch Projekte in Armutsregionen wie Stadtteilcafés oder Sozialkaufhäuser betrieben werden, zerstöre man hier soziale Infrastruktur.

Stender leitet den Träger „Ausblick“, der Läden und Arztpraxen auf ihre Barrierefreiheit hin checkt und die Ergebnisse auf einer Website publiziert. Michael Koch war zwei Jahre als „Scout“ unterwegs und nahm dafür zahlreiche Treppen, Aufgänge und Türen in Augenschein. Zunächst nur drei Tage die Woche à fünf Stunden, später länger. Vorher hatte er schon ein Coaching und eine Qualifizierung durchlaufen, was ihm aber nicht viel gebracht habe. „Es war immer nur Theorie“, sagt Koch. „Da saß man acht Stunden und dachte: Was mache ich hier?“

Zwei Euro pro Stunde

Das Gute an der AGH sei, dass man „ins Alltagsleben eine Struktur bekommt und wieder etwas zu tun hat“. Alle zwei Tage habe er neue Bögen mit Adressen zum Scouten bekommen, sei sogar gefragt worden, ob er andere anleitet. „Das puscht das Selbstbewusstsein, dass so viel Vertrauen in einen gesetzt wird.“

Der junge Mann hatte Altenpfleger gelernt, konnte den Beruf aber nach vier Jahren nicht mehr ausüben, weil ihn die Bedingungen zu sehr belasteten. „Am Ende war ich nahe einer Depression und hatte Anzeichen von Burn-out“, sagt er. Danach machte er Gelegenheitsjobs und hing jahrelang „in der Schwebe“. Bei Ausblick habe er wieder die Motivation gewonnen, etwas Neues anzufangen.

„Ich bin kein typischer Teilnehmer, weil ich noch recht jung bin“, schränkt er ein. Für die Älteren sei es schwieriger, noch mal neu Fuß zu fassen. „Aber die meisten gehen dort mit einem Lächeln hin und gehen mit einem Lächeln nach Hause. Denn es ist besser, dorthin zu gehen und ein paar Euro dazuzuverdienen, als gar nichts zu tun.“

Der Einsatz dieser AGHs, für die es zwei Euro die Stunde zusätzlich zum Bürgergeld gibt, ist seit Jahren in der Diskussion. Nachdem es 2010 noch über 10.000 Plätze gegeben hatte, senkte Hamburg deren Zahl immer weiter ab. Für geeigneter hält man in der Sozialbehörde sogenannte Paragraf-16i-Maßnahmen, bei denen die Menschen bis zu fünf Jahre lang sozialversichert beschäftigt sind und das Jobcenter zunächst 100 Prozent und sukzessive immer weniger des Lohns bezahlt. Erst am Mittwoch besuchte die Sozialsenatorin zwei Träger, die diese Maßnahme anbieten.

Allerdings gibt es davon sehr viel weniger und die Hürden sind höher: Ein Mensch muss sechs Jahre arbeitslos gewesen sein. Für Michael Koch wäre das nicht infrage gekommen. Auch planen Behörde und Jobcenter gar nicht erst, alle 800 wegfallenden Plätze damit zu kompensieren.

Sakrosankter Verwaltungsetat

Gefragt, warum nun überproportional bei AGHs gekürzt wird, antwortet die Sozialbehörde, dass auch bei den Bildungsmaßnahmen gekürzt werde. Leider sei es so, dass im Verwaltungsetat des Jobcenters angesichts gestiegener Kosten und der hohen Anzahl der Bürgergeldbezieher aus der Ukraine „keine Spielräume bestehen“, so ein Sprecher. Nur bei den „eingekauften“ Maßnahmen ließe sich kürzen.

Rein rechnerisch müsste das Jobcenter sechs Millionen Euro bei sich sparen, sagt Bernd Schröder, Geschäftsführer der LAG Arbeit. „Ich empfinde es als Faustschlag ins Gesicht der betroffenen Langzeitarbeitslosen, dass schlicht behauptet wird, dass es keine Spielräume im Verwaltungsetat des Jobcenters gäbe.“ Denn nun verlören Hunderte „Ein-Euro-Jobber“ ihre Beschäftigung und es würden Träger in die Insolvenz geschickt. Dabei habe Hamburg hier bisher schon viel weniger Geld investiert als Bremen oder Berlin. Im vergangenen Jahr gab die Stadt gar zwölf Millionen Euro ungenutzt zurück.

Das Thema beschäftigt auch die CDU in der Bürgerschaft. Angesichts der erst im Juni gestiegenen Zahl von Langzeitarbeitslosen fragt ihr Abgeordneter Andreas Grutzeck den Senat, welche Strategie er mit der Kürzung verfolgt. „Das geht so nicht. Die Menschen brauchen diese AGH.“

Auch Michael Koch sagt, er kann das nicht nachvollziehen. „Was welche Maßnahmen bringen, das habe ich ja gesehen.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.