Gebrauchskunst im Museum: Als Werbung Kunst war

Hannover war mal Hochburg der künstlerisch ambitionierten Werbegestaltung. Eine Ausstellung zeigt Beispiele aus der goldenen Ära zwischen 1900 und 1970

Einst stilbildend: Werbung aus Hannover. Foto: Julian Stratenschulte (dpa)

HANNOVER taz | Vor zwei Jahren gab die niedersächsische Landeshauptstadt Hannover bekannt, dass sie durch die Zusammenlegung mehrerer Museen Personal einsparen und gleichzeitig die Profile der Häuser schärfen wolle. Der Verbund „Museen für Kulturgeschichte Hannover“ soll ein Angebot aus alternierend fachspezifischen und interdisziplinären Ausstellungen mit starkem Lokalbezug an drei Orten machen: dem Historischen Museum am Hohen Ufer, seinem Ableger im rekonstruierten Schloss Herrenhausen und dem Museum August Kestner, das eine Sammlung aus Archäologie, Numismatik, Kunsthandwerk und internationalem Design der Moderne hat.

Das Museum verdankt seine neue Kuratorin für angewandte Kunst einer ganz ähnlichen Fusion in Düsseldorf, bei dem das Keramikmuseum seine Eigenständigkeit verlor – und Sally Schöne den Direktorinnen-Posten. Nun zeigt sie im August-Kestner-Museum ihre erste eigene Ausstellung über die lange Tradition der Reklamekunst aus Hannover. Schöne präzisiert gleich die von ihr bevorzugte Zeitspanne: Nur seit ihrer Entstehung um 1900 bis etwa 1970 attestiert sie der Reklame auch einen künstlerischen Anspruch, eine „Spritzigkeit“. Danach habe das Foto seinen Siegeszug in der Werbung angetreten, sie sei kommerzieller geworden, ein Baustein im komplexen modernen Marketing.

Damit spricht Schöne die Kardinalfrage der Werbung an: Wie viel autonome Kunst, wenn überhaupt, ist in ihr möglich? Als Antwort hat sie Höhepunkte, wegweisende Auftrittsformen und bemerkenswerte Persönlichkeiten der Hannoverschen Reklamekultur herausgeschält.

Künstler machen Reklame

Unabdingbar für die Entstehung der Wirtschaftswerbung waren kunstaffine Unternehmer, die Grafiker, Maler oder Schriftgestalter beauftragten. In Hannover gingen Keksfabrikant Hermann Bahlsen, Fritz Beindorff, der die Schreibwarenfirma Pelikan zur weltweiten Marke ausbaute, Schokoladenmagnat Bernhard Sprengel oder auch der Feinkosthersteller Heinz Appel voran. Ein großes Potpourri aus Zeitungsanzeigen dokumentiert ihre frühen Bemühungen: Jugendstilhafte Bildmotive mögen ins Auge springen, werden häufig jedoch von viel Text bedrängt. Erst in den 1920er-Jahren differenzierte und professionalisierte sich die Werbegestaltung, der noch recht rare „Reklamefachmann“ wurde fortan per Annonce gesucht oder bot so seine Dienste an.

Sally Schöne stellt für Hannover aber auch wichtige Gestalterinnen vor, so Änne Koken (1885–1915). Sie entwickelte um 1910 das bis heute in reduzierter Grafik verwendete Hummer-Logo für Appel Feinkost, auch wenn die Firma schon lange nicht mehr als eigenständiges Unternehmen existiert. Koken war zudem für Bahlsen und Sprengel tätig.

Oder Martel Schwichtenberg (1886–1945), die 30 Jahre in Bahlsens Diensten stand. Auch sie entwarf das Markenlogo, den charakteristischen Schriftzug, gestaltete Keksschachteln aus Blech und konzipierte mit dem expressionistischen Architekten Bernhard Hoetger ab 1916 die nie realisierte TET-Stadt, die paternalistische Vision Hermann Bahlsens für einen Fabrikkomplex mit Werkswohnungen und Kultureinrichtungen in ägyptisierender Bauform. TET ist übrigens die Transkription einer altägyptischen Hieroglyphe, bedeutet „ewig dauernd“ und diente bereits ab 1904 als sinnfälliges Qualitätsversprechen auf der Packung des haltbaren Leibniz-Kekses.

Architektur spielt generell eine wichtige Rolle beim Auftritt einer Firma. Sei es um 1900 als Silhouette rauchender Schlote im Briefkopf oder später als massig repräsentative Unternehmenszentrale, wie sie die Continental-Werke ab 1912 an der Vahrenwalder Straße vom Berliner Architekten Peter Behrens errichten ließen. Die Reklame selbst konnte zur Kleinarchitektur werden, etwa als freistehende Uhr mit hinterleuchteten Werbeflächen oder als unübersehbare Bahlsen-Lichtreklame am Potsdamer Platz im Berlin der 1930er-Jahre.

Schwitters’ „gute“ Werbung

Internationale Klasse erreichte die Hannoversche Werbung in den 1920er-Jahren mit El Lissitzky (1890–1941) und Kurt Schwitters (1887–1941). Beide folgten einer streng geometrischen, stark typografisch orientierten Linie, verarbeiteten Einflüsse des russischen Konstruktivismus oder der niederländischen De-Stijl-Bewegung. Das Multitalent El Lissitzky, auch als Architekt, Theaterreformer, Maler oder Fotograf tätig, verpasste den Pelikan-Werken einen grafischen Gesamtauftritt aus Briefbogen, Plakaten und Produktverpackung. Schwitters, erst recht universell tätig, rief 1924, aus Begeisterung zum Druckwerk, die Agentur „Merz-Werbe Hannover“ ins Leben und arbeitete neben Bahlsen auch für die städtischen Bühnen.

Im selben Jahr erschienen in seiner Schriftenreihe der Merz-Mappen seine Thesen über die Typografie. „Mach es niemals so, wie es jemand vor Dir gemacht hat'“, gab Schwitters den Rat, und auch, besser keine Reklame zu machen als eine schlechte. Kunst statt Künstler! – so sein Plädoyer.

Diesen ultimativen Anspruch auf intellektuelle wie ästhetische Autonomie konnte wohl nur erheben, wer bereit war, sein eigenes Leben als Kunstwerk, als ureigene Ein-Mann-Kunstrichtung zu verstehen und sich der Verantwortung zu stellen. Das lässt für den Moment stocken, macht aber umso deutlicher, wie stark wir heute weite Bereiche auch kultureller und sozialer Manifestation wirtschaftlichen Verdikten unterordnen – etwa die Eigenständigkeit anerkannter Museen.

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