Expertin über Tod in sozialen Medien: „Trauer braucht keine smarte Lösung“

Ein Mensch stirbt, doch sein Instagramprofil bleibt. Elaine Kasket gibt Tipps, wie sich der digitale Nachlass regeln lässt.

Ein Laptop in einem dunklen Zimmer

Viel Zeit unseres Lebens spielt sich am Bildschirm ab und viele unserer digitalen Spuren bleiben über den Tod hinaus im Netz Foto: Arne Eichhof/plainpicture

wochentaz: Was passiert mit meinen Social-Media-Profilen nach meinem Tod?

Elaine Kasket: Alle Plattformen haben gemeinsam, dass persönliche Daten gespeichert bleiben, solange Sie als Nutzer nicht aktiv werden. Wenige Leute wissen, dass sie ihr digitales Erbe aktiv organisieren müssen. Was genau mit den Profilen passiert, hängt vom konkreten sozialen Medium ab.

ist eine britische Cyberpsychologin und Psychotherapeutin. Sie schreibt und lehrt als Expertin zur Rolle von Technologie in der Arbeitswelt, der individuellen Psychologie und in Beziehungen. Außerdem hält sie Vorträge zu diesen Themen. 2023 erschien ihr Buch „Reboot: Reclaiming Your Life in a Tech-Obsessed World“, übersetzt etwa: Neustart: Wie Sie in einer technikbesessenen Welt Ihr Leben zurückgewinnen.

Nehmen wir Facebook als Beispiel.

Bei Facebook werden Konten standardmäßig in den Gedenkzustand versetzt, wenn das Unternehmen über den Tod einer Nutzerin informiert wird. Es sei denn, man hat zu Lebzeiten in den Einstellungen einen Nachlassverwalter benannt und die Option angekreuzt: „Ich möchte, dass meine Daten gelöscht werden, sobald ihr einen verifizierten Bericht über meinen Tod erhaltet.“ Solche Gedenkeinstellungen gibt es aber nicht bei allen Plattformen.

Wer hat die meiste Macht über mein digitales Erbe?An der Spitze der Machthierachie stehen die Tech-Unternehmen. Sie kontrollieren, wo Ihre Daten gespeichert werden. Die Firmen sind oft mächtiger als Aufsichtsbehörden und Angehörige. Viele Gesetze, die solche Fälle betreffen, sind nicht explizit auf Digitalthemen zugeschnitten, sondern regeln Verträge oder geistiges Eigentum. Die Datenschutz-Grundverordnung in Europa, kurz DSGVO, schließt noch nicht die Daten von Verstorbenen ein. Wie viel Macht Angehörige haben, hängt davon ab, ob eine Kontaktperson für den Nachlass benannt wurde. Manchmal kommen als zusätzliche Faktoren auch böswillige Akteure ins Spiel, die sich als der Verstorbene ausgeben.

Wenn ich den Account einer Verstorbenen hacke und lösche, weil es mich zum Beispiel schmerzt, die Geburtstagserinnerungen zu sehen, handle ich dann illegal?

Es ist immer illegal, die Identität einer anderen Person zu benutzen, um sich in ein Konto einzuloggen. Einige von uns machen das ganz beiläufig, aber es ist, als würde man die Post eines anderen öffnen. Oft geben sich Angehörige als die verstorbene Person aus, um den digitalen Nachlass zu regeln.

In Deutschland hat der Bundesgerichtshof 2018 ein wegweisendes Urteil gefällt, nachdem Eltern Zugang zu den Face­book-Nachrichten ihrer verstorbenen Tochter verlangt hatten. Was ist da passiert?

Das Mädchen ist auf Bahngleisen verunglückt, es ist unklar, ob es sich um einen Unfall oder Suizid handelte. Ihre Eltern wollten wissen, ob sie gemobbt wurde oder andere Probleme hatte. Deshalb forderten sie Zugang zu ihrem Facebook-Messenger. Sie bekamen recht. Der Richter sagte in seinem Urteil, dass das wie mit einer private Kiste mit Briefen sei. Die wäre auch an die Eltern gegangen.

Ein Erfolg?

Viele Da­ten­schüt­zende waren im Gegenteil sehr besorgt. Es handelt sich ja auch um einen Eingriff in die Privatsphäre aller Personen, mit denen das Mädchen geschrieben hat. Wenn jedes Mal, wenn jemand stirbt, die nächsten Angehörigen automatisch Zugang zu allen Daten haben, dann haben sie Zugang zu potenziell sensiblen Informationen anderer. Die Datenethikkommission urteilte im Jahr 2020, dass die Analogie mit der Kiste voller Briefe eine falsche Anwendung aus dem analogen Zeitalter sei.

Wurde in anderen Ländern anders entschieden?

In einem kanadischen Fall hinterließ ein Ehemann seiner Frau den Wunsch, einen Roman zu beenden, den er bereits zu 95 Prozent geschrieben hatte. Seine Frau hatte das Passwort für die Cloud verloren, in der er den Roman gespeichert hatte. Sie verklagte Apple und erhielt vier Jahre später die Zugangsdaten. Der Wunsch nach Zugriff kann aber auch schreckliche Gründe haben. In einem Fall wollte eine Familie auf die Facebook-Fotos ihrer Tochter zugreifen und die 72 Bilder mit dem Ex-Freund löschen, weil er ihr Mörder war. Bei Frauen, die ermordet werden, ist der Täter meistens ein Mann, mit dem sie eine Beziehung hatten oder haben. Wenn Sie also eine Frau sind und ermordet werden, haben Sie höchstwahrscheinlich Fotos des Mörders auf Ihren Social-Media-Konten. Die Familie wendete sich am Ende an einen Experten im Bereinigen von digitalen Profilen.

In Ihrem Buch schreiben Sie: „Die Toten kaufen keine Produkte und klicken nicht auf Werbung.“ Warum behalten Tech-Unternehmen dann die Daten von Verstorbenen und nehmen sogar die Mühe auf sich, vor Gericht um sie zu kämpfen?

Unternehmen, die ihre Kunden besser verstehen wollen, können aus den Daten der Toten Erkenntnisse über die Lebenden gewinnen. Denn die Profile von Verstorbenen enthalten Informationen über andere, noch lebende Personen. Darüber hinaus läuft das ganze Big-Data-Modell darauf hinaus, Daten zu horten, um mehr Verknüpfungen herzustellen.

Wie viel Speicherplatz verbrauchen Daten Verstorbener?

Das ist schwer zu quantifizieren. Carl Öhman und David Watson haben vor einigen Jahren Schlagzeilen gemacht, weil sie den wahrscheinlichen Wendepunkt identifiziert haben, an dem die Zahl der Toten die Zahl der Lebenden auf Facebook übersteigen wird – wenn es Face­book bis dahin gibt. Es soll irgendwann im dritten Quartal dieses Jahrhunderts geschehen. Aber im Grunde wissen wir es nicht genau. In jedem Fall ist es teuer, diese Daten zu speichern. Server brauchen Kühlung und Energie.

Sollten wir aus Klimaschutzgründen möglichst viel löschen?

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Diese Daten einfach ohne eine gesellschaftliche Debatte zu löschen, ist nicht erstrebenswert. Online-Daten sind ein wichtiges kulturhistorisches Archiv unserer Zeit. Ganze Bewegungen wie MeToo haben online stattgefunden. Wir müssen also diskutieren: Was behalten wir und wie? Dennoch glaube ich, dass wir der Umwelt zuliebe auch darüber nachdenken müssen, welche Daten wir loswerden wollen.

KI-Anwendungen lernen immer besser, Sprache, Stimme und Mimik von Personen zu imitieren. Mit genug Dateninput lassen sich daraus immer bessere Avatare von verstorbenen Personen erstellen. Meine Mutter kann mir in ihrer Videoversion vielleicht noch zehn Jahre nach ihrem Tod Ratschläge zu meinem Liebeskummer geben.

Ich habe das Gefühl, wir reden diese Entwicklung im Moment herbei. Also den Einsatz von KI, um geliebte Personen neu zu erschaffen und zu verewigen. Das Thema wird gerade riesig, aber ich glaube nicht, dass es eine gute Antwort ist. Nicht nur, weil der CO₂-Fußabdruck auch für die Entwicklung und das Training von KI unglaublich groß ist. Mir geht es eher darum: Warum brauchen wir plötzlich solche künstlichen Fortsetzungen geliebter Menschen?

Weil wir sie vermissen?

Wir können Verlust nicht vermeiden, wenn jemand stirbt. Warum denke ich, dass ich so wichtig bin, dass es mich für immer geben muss? Warum halte ich meine Liebsten für so unfähig, damit fertig zu werden, dass es mich nicht mehr gibt? Trauer ist kein Problem, für das wir eine smarte Lösung finden müssen.

Mittlerweile gibt es einen Markt dafür, digitale Hinterlassenschaften zu regeln. Unternehmen bieten an, die Kommunikation mit Facebook, Instagram und so weiter zu organisieren.

Der Staat stellt die Geburtsurkunde aus, und der Staat stellt auch die Sterbeurkunde aus. Dazu braucht es eine digitale Sterbeurkunde, die wasserdicht ist, also eine Art Code enthält, der bestätigt, dass die Person mit dieser Identität tot ist. So können wir Missbrauch und Fälschung besser vermeiden. Diesen Service sollte auch der Staat übernehmen, weil er allen zur Verfügung stehen sollte und nicht nur den Leuten, die ein Unternehmen dafür bezahlen können.

Was kann ich heute schon tun, um meinen digitalen Nachlass zu regeln?

Fragen Sie sich: Welcher von Ihren digitalen Accounts ist wirklich wichtig? Und wozu haben Angehörige keinen Zugang? Gibt es zum Beispiel emotional wertvolle Dinge wie Fotos, oder ein unfertiges Buch?

Und was mache ich dann mit meinen Erkenntnissen?

Gehen Sie davon aus, dass Ihre Angehörigen nicht darauf zugreifen können, wenn es sich auf einem kennwortgeschützten Konto befindet. Benennen Sie Nachlassverwalter. Ich würde davon abraten, eine Liste mit Passwörtern zu hinterlassen, da diese in die falschen Hände geraten könnte. Sie können aber eine Liste der Konten irgendwo aufbewahren. Wenn es etwas gibt, das Ihre Angehörigen wirklich haben sollten, dann ist es am sichersten, es herunterzuladen und lokal zu speichern. Im Prinzip ist es dasselbe wie bei der Frage: Was würden Sie mitnehmen, wenn Ihr Haus abbrennen würde?

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