EU-Kommission ist für das Ackergift: Wie weiter mit Glyphosat?

Die EU-Kommission schlägt vor, die Zulassung von Glyphosat zu erneuern. Das Pestizid wird verdächtigt, Krebs zu verursachen und der Natur zu schaden.

Aufnahme eines Ackers. Links wächst sattes grünes Gras, rechts wurde es totgespritzt.

So wirken Unkrautvernichter: Das Gras rechts ist von einem Pestizid getötet worden Foto: Mario Hösel/imago

Warum soll mich die Glyphosat-Debatte überhaupt interessieren?

Der Unkrautvernichter ist weltweit das meistverkaufte Ackergift. Doch Glyphosat steht unter dem Verdacht, Krebs zu erregen und die Natur zu schädigen. Rückstände sind – wenn auch meist in sehr geringen Mengen – zum Beispiel in Weintrauben, Weizen oder Bier nachgewiesen worden. Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, die am 15. Dezember auslaufende Zulassung des Wirkstoffs für zehn Jahre zu erneuern. Darüber sollen nun die Regierungen der EU-Staaten entscheiden.

Sollte Glyphosat verboten werden, hätte das massive Auswirkungen auf die Landwirtschaft. Denn es wird laut Umweltbundesamt auf rund 40 Prozent der Felder hierzulande gespritzt, etwa um Beikräuter zu bekämpfen. Ohne Glyphosat müssten viele konventionelle Bauern sich den Produktionsmethoden der Bio-Landwirtschaft zumindest annähern.

Ist Glyphosat wirklich krebserregend?

Die Internationale Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bewertete Glyphosat 2015 als „wahrscheinlich krebserregend“. Mit Glyphosat gefütterte Ratten und Mäuse hatten in mehreren Versuchen Tumore entwickelt. In den USA verurteilten daraufhin mehrere Gerichte einen der Hersteller, die deutsche Bayer AG, zu hohen Schadenersatzzahlungen an KlägerInnen, die ihre Krebserkrankung auf das Mittel zurückführen.

Die EU-Behörden für Chemikalien (Echa) und die für Lebensmittelsicherheit (Efsa) dagegen sehen keine Krebsgefahr. Sie begründen das unter anderem damit, dass die Mäuse mit Nierentumoren in zwei zentralen Studien unrealistisch hohe Glyphosat-Dosen erhalten hätten. Kritiker wie der Toxikologe und Umweltaktivist Peter Clausing antworten darauf, dass solche Mengen bei Krebsexperimenten üblich und nach den Leitlinien der Industrieländerorganisation OECD zulässig seien. Er verweist zudem darauf, dass die EU auch schon früher Pestizide wie das Insektizid Chlorpyrifos zugelassen habe, die sich Jahre später als gesundheitsschädlich herausgestellt hätten und deshalb verboten wurden.

Wie schadet Glyphosat der Natur?

„Glyphosat schädigt die Biodiversität“, schreibt das Bundesagrarministerium. Denn dieses „Totalherbizid“ tötet so gut wie alle Pflanzen, die nicht dank einer gentechnischen Veränderung resistent sind. Auf und neben den Ackerflächen hätten Insekten und Vögel deshalb keine Nahrungsgrundlage mehr.

Die Efsa hat zwar keine nach EU-Recht „kritischen“ Umweltprobleme festgestellt. Aber das lag vor allem daran, dass ihr genügend Daten und eine innerhalb der EU abgestimmte Methodik fehlten. Die Efsa kritisierte, dass die Pestizidhersteller keine systematische Literaturzusammenstellung zum Thema geliefert hätten. Aus diesen Gründen seien „keine eindeutigen Schlussfolgerungen“ dazu möglich, wie der Unkrautvernichter sich auf die Artenvielfalt auswirkt.

Lassen sich die Umweltrisiken mit den Bedingungen in den Griff bekommen, die die EU-Kommission nun vorgeschlagen hat?

Die Kommission schlägt zum Beispiel vor, dass mindestens fünf bis zehn Meter breite Ränder der Felder nicht gespritzt werden. Allerdings sollen die Mitgliedsländer auf diese Regel verzichten können, wenn es keine „inakzeptablen Risiken“ gibt. Eine Sprecherin des Agrarministeriums sagte der taz, „dass auf Deutschland voraussichtlich keine Neuerungen zukommen würden“. Sprich: Die Lage würde sich durch die vorgeschlagenen Bedingungen nicht bessern. Die Brüsseler Behörde will es den Mitgliedsländern überlassen, andere Vorsichtsmaßnahmen auf ihrem Territorium festzulegen, wenn sie sie wissenschaftlich begründen können.

„Angesichts des beklagenswerten Zustandes der Biodiversität in den Mitgliedsstaaten und der Bedeutung, die sie dem Naturschutz beimessen, bedeutet das nichts Gutes“, sagt Johann Zaller, Ökologe an der Universität für Bodenkultur Wien.

Würde Glyphosat sonst nicht durch schädlichere Pestizide ersetzt?

Das ist unwahrscheinlich. Denn laut Einschätzung des bundeseigenen Julius-Kühn-Forschungsinstituts für Kulturpflanzen gibt es „keine chemische Alternative“, die für die wichtigsten Anwendungen zugelassen und ähnlich effizient ist. Stattdessen rät Maximilian Wulfheide, Agrarwissenschaftler beim Naturschutzbund (Nabu), zum Beispiel dazu, durch vorbeugende Maßnahmen wie eine breitere Fruchtfolge die angebauten Pflanzen auf dem Acker öfter zu wechseln und die Vielfalt zu erhöhen. „Das kann helfen, Unkräuter zu reduzieren“, sagt Wulfheide. Falls nötig, könnten die Bauern Schadkräuter auch mechanisch bekämpfen, etwa mit Geräten wie dem Grubber oder der Hacke.

Sind die Alternativen zu Glyphosat wirklich umweltfreundlicher?

Auch Pflügen oder Hacken senkt die Artenvielfalt auf einem Acker. Aber allein die ohne Glyphosat nötigen vielfältigeren Fruchtfolgen wären positiv für die Natur, sagt Wulfheide. Allerdings müssen viele Bauern ohne Glyphosat wohl häufiger mit dem Traktor die Felder bearbeiten und verursachen so mehr Treibhausgase. Doch der Anteil der Emissionen von Fahrzeugen und mobilen Maschinen an allen Treibhausgasen der Landwirtschaft (inklusive des Ausstoßes aus Agrarböden und landwirtschaftlichem Verkehr) liegt laut bundeseigenem Thünen-Forschungsinstitut bei nur rund vier Prozent.

Würden Lebensmittel teurer ohne Glyphosat?

„Ein Glyphosatverzicht würde wohl keine Auswirkungen auf die Lebensmittelpreise haben“, sagt Ralf Uptmoor, Professor für Pflanzenbau an der Universität Rostock. Zwar hätten viele Landwirte etwas höhere Kosten und würden dadurch weniger Gewinn einfahren, weil sie häufiger den Boden bearbeiten müssten. Aber sie könnten diese höheren Kosten im Normalfall nicht an den Handel und die Verbraucher weitergeben.

Würden mehr Menschen hungern ohne Glyphosat?

Die Ernten schrumpften kaum, wenn auf Glyphosat verzichtet würde. „Ich würde in der Regel nicht mit geringeren Erträgen rechnen“, sagt Pflanzenbauprofessor Uptmoor. Denn Glyphosat lasse sich oft durch mechanische Bodenbearbeitung und andere Herbizide ähnlich effizient ersetzen.

Ist sich die Ampelkoalition darüber einig, wie sie sich zu Glyphosat verhalten wird?

Im Koalitionsvertrag steht: „Wir nehmen Glyphosat bis 2023 vom Markt.“ Landwirtschaftsminister Cem Özdemir sagte am Mittwoch: „Solange nicht ausgeschlossen werden kann, dass Glyphosat der Biodiversität schadet, sollte die Genehmigung in der EU auslaufen.“ Der agrarpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Gero Hocker, aber teilte der taz mit: „Die Empfehlung der EU-Kommission, Glyphosat für weitere zehn Jahre zuzulassen, begrüße ich ausdrücklich.“ Wenn sich die Ampelkoalition nicht einigt, muss Deutschland sich bei der Abstimmung in Brüssel enthalten.

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