Baba Stiltz' Album „Paid Testimony“: Autofiktionales Trinken

Erst Star-DJ, jetzt Singer-Songwriter. Der schwedische Elektronikproduzent Baba Stiltz kehrt mit dem Album „Paid Testimony“ zu seinen Anfängen zurück.

Baba Stiltz hält ein Glas mit einem minzgrünem Getränk

Einflüsse aus Kalifornien und New York: Baba Stiltz. Bitte Aufkleber im Hintergrund beachten Foto: Isak Berglund Mattson-Mårn

Zum ersten Mal kann ich zeigen, wer ich wirklich bin“, sagt der Stockholmer DJ Baba Stiltz über sein neues Album: „Paid Testimony“ erschien vor Kurzem beim Münchener Label Public Possession. Wer ist Baba Stiltz? Zuletzt veröffentlichte der Schwede die EP „Journals“, vergangenes Jahr brachte er die Kassette „In L.A.“ raus. Auf „Paid Testimony“ verfeinert er den groovy Folkrock der EP zu einem von Blues und Americana beeinflussten Singer-Songwriter-Sound. Statt mit Beats zu experimentieren, beschäftigt sich der 30-Jährige nun mit dem Klangspektrum seiner Akustikgitarre.

Und doch klingt die Musik von „Paid Testimony“ überraschend. Denn Stiltz, der sich seit Mitte der Zehner mit seinen funkigen und oftmals gesangslastigen Dancefloor-Tracks in der House-Szene einen Namen gemacht hat, lässt diesen eher groben Background mit feinsinnigen Folkideen kollidieren.

Seine Elektronik-Karriere startete er schon als Teenager beim Stockholmer Label Studio Barnhus, später veröffentlichte er auch beim britischen Label The Trilogy Tapes. Baba Stiltz kollaborierte mit dem US-chinesischen Techno-Produzenten Tzusing und produzierte Tracks für den schwedischen Rapper Yung Lean. Auch der nigerianische Afrobeats-Star Burna Boy führt ihn in seinen Songwriter-Credits an.

Uferlose DJ-Jetset-Kultur

Baba Stiltz: „Paid Testimony“ (Public Possession)

Beim Zoom-Interview sitzt er in seinem Studio in Stockholm, gerade zurückgekehrt von einer Asientour. Im Gespräch übt er Kritik an der uferlosen DJ-Jetset-Kultur, zu der er aber selbst beiträgt, zum Beispiel mit Mixen für Boiler Room. „Für mich bedeutet Musik alles. Nun bin ich aber nicht mehr 22. Ich will mit Musik nachhaltig wachsen.“ Über seine Zukunftspläne verrät Stiltz wenig. Lieber bleibt er in der Gegenwart und macht deutlich, dass er sich in seiner neuen Rolle als Singer-Songwriter wohlfühlt. Schließlich sei dies eine Rückkehr zu den Anfängen.

In Schweden, dem weißesten Land der Welt, aufzuwachsen, ist äußerst seltsam

„Ich habe als Jugendlicher bereits zwei Folktronica-Alben veröffentlicht und zuvor in diversen Bands gespielt. Selbst meine House-Tracks habe ich auf der Gitarre komponiert“, erzählt er. Seine Eltern brachten ihm Blues von Lightnin’ Hopkins, Glamrock von den New York Dolls und Folk von Nick Drake nahe. Aufgewachsen ist er in Stockholm, sein Vater ist US-Filippino und seine Mutter hat neben der schwedischen auch die britische Staatsangehörigkeit.

„Ich bin Filipino-Amerikaner. In Schweden, dem weißesten Land der Welt, aufzuwachsen ist äußerst seltsam, wenn man gemischter Herkunft ist. Mit Anfang 20 habe ich oft damit gehadert. Inzwischen gelingt es mir besser, einfach nur ich selbst zu sein“, sagt Stiltz über seinen Background. Jedes Jahr besucht er Familie und Freunde in Kalifornien.

Unendliche Weiten des US-Westens

Bei einem Aufenthalt dort Anfang des Jahres entstand dann auch die Musik für „Paid Testimony“. Mehr als Los Angeles interessiert ihn die kalifornische Provinz. In den neun Songs beschwört Stiltz beinahe stereotyp die unendlichen Weiten des US-Westens herauf. Im Auftaktsong „Finite Jest“ setzt er wabernde Reverb-Effekte ein, in „Wild Ride“ treibende Kuhglocken und Körperperkussion, in „Chasing It Again“ knisternde E-Gitarren-Riffs. Dazu singt er in Slackermanier.

Seine Stimme klingt oft monoton, gleichzeitig wirkt sie weich und warm. „Damn, I’m stuck in the past“, singt er in „Sacramento“. Tatsächlich klingt er als Songwriter eher nostalgisch als avantgardistisch, anders als in seinen elektronischen Tracks.

Die New Yorker Punkszene der 70er Jahre dient ihm ebenfalls zur Inspiration für die Musik. Dabei gibt es wiederum eine Verbindung zu seiner schwedischen Heimat. Am deutlichsten wird das bei seiner Coverversion von Johnny Thunders’ altem Hit „You Can’t Put Your Arms Around A Memory“, zu dem Baba Stiltz eine persönliche Verbindung hat. „Mein Vater hing oft mit Johnny Thunders in Stockholm ab“, erzählt er im Interview.

„They’re all drunk“

Sein Coverversion ist akustisch, die Akkorde greift er mittels Fingerpicking. Hin und wieder flackert wie im Original ein E-Gitarrenriff im Hintergrund auf. Bei Stiltz klingt es nicht punkig, sondern dezent bluesig.

An die eindringliche, von einsamer Verzweiflung gezeichnete Stimmung des Originals kommt er nicht heran. Dem Cover wohnt dafür ein eigenwilliger melancholischer Grundton bei, der ebenso schwer zu fassen ist wie beim Original. Auch Lou Reed widmet Stiltz eine Hommage. „Für mich ist Reed der wichtigste Künstler des 20. Jahrhunderts“, sagt er über sein Idol.

Am Anfang des Songs „Stockholm“ sampelt er ein Zitat von Lou Reed aus der US-Komödie „Blue In The Face“ (1995). Darin spricht Reed über Schweden: „I get scared in Sweden. Its kind of empty, they’re all drunk, everything works.“ Reeds Bemerkung passt sich nahtlos in Stiltz’ Song ein, in dem er sich selbst wie ein Außenseiter durch seine Heimatstadt bewegt.

Eindrücke im Bewusstseinsstrom

In seinem Songwriting lässt er sich autobiografisch beeinflussen, gibt Anekdoten wieder, die für Außenstehende nicht immer sofort verständlich sind. Oftmals geht es darin um Trinkgelage und die schrägen Gestalten, die einem in angeheiterten Nächten begegnen. „Autofiktionales Schreiben ist gerade ein großer Trend. Auch in meinen Songs wird deutlich, dass alles von mir handelt“, sagt er lakonisch.

Immer wieder verhandelt Stiltz seine Herkunft. „Northern California, that’s where my dad was raised/Northern California it’s a very real place“, singt er in „Sacramento“. Im Song „Stockholm“ widmet er sich wiederum seiner Heimatstadt. „Stockholm ist komisch geworden“, sagt er im Gespräch. „Ich bin genervt von Södermalm, dem Viertel, in dem ich aufgewachsen bin. Alles ist teuer geworden, es gibt nur noch Weinbars und Smashburger.“

Im Song zählt er seine Eindrücke im Bewusstseinsstrom auf, der in folgende Überlegung mündet: „Young professionals carelessly living/I can’t say that I’m not jealous/ Even though I live my life just like they do.“ Diese Aussage kann man Stiltz nicht ganz abkaufen. Mit beachtlichen Produktionscredits, weltweiten DJ-Gigs und der Parallelkarriere als Singer-Songwriter ist er eine Ausnahmeerscheinung. Und das fernab der Stockholmer Musikszene.

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