Ausgestellte Waffen-Messen-Fotos: Im Backoffice der Schlachtfelder

Acht Jahre lang hat Nikita Teryoshin auf Waffen-Messen fotografiert. Zu sehen ist seine Serie „Nothing Personal – The Back Office of War“ in Hamburg.

Neben dem Modell eines Panzers werden Hände geschüttelt: am Stand des ukrainischen Rüstungs-Staatskonzerns UkrOboronProm, Lima 2019

Unter Geschäftspartnern: Am Stand des ukrainischen Staatskonzerns UkrOboronProm auf der Messe SITDEF, Lima, Peru, 2019 Foto: Nikita Teryoshin

Als neulich am Ende einer Veranstaltung des Hamburger Körber-Forums die ukrainische Schriftstellerin Tanja Maljartschuk vom Publikum etwas hilflos gefragt wurde, wie man nach zwei Jahren Krieg ihrem Land noch helfen könne, musste sie nicht lange nachdenken: „Unterstützen Sie das ukrainische Militär.“

Nun geht man durch die Hamburger Galerie des Fotografinnen- und Fotografen-Verbandes Freelens. Zu sehen ist die Ausstellung „Nothing Personal – The Back Office of War“ von Nikita Teryoshin. Es geht auf Waffen-Messen in aller Welt, etwa nach Abu Dhabi, nach Minsk, nach Lima oder nach Zhuhai; von 2016 bis 2023 war er unterwegs.

Teryoshin zeigt in präzisen Bildern, wie man dort unter sich bleiben will, wenn man Geschäfte mit dem Krieg macht und dafür dennoch eine Art Fachöffentlichkeit braucht. Auch sind Waffen aller Arten zu sehen. Waffen, wie sie die Ukraine gut gebrauchen könnte – wie man denkt, wenn man zu den Befürwortern einer militärischen Unterstützung des bedrohten Landes gehört, ob nun von Beginn an entschlossen oder notgedrungen oder schweren Herzens und vielleicht auch tief beschämt darüber, dass sich die Ideen der puren Friedfertigkeit in der Realität als blanke Illusionen erwiesen haben. Mithin: Ist die Ukraine der weiße Elefant im Raum?

Ja, was denkt man denn, an welchen Orten Waffen verkauft werden, wie es da ausschaut, was das für ein Geschäft und also auch Geschäftsgebaren ist? Und was das für Leute sind, die das tun und die davon, wie zu sehen ist, sehr gut leben und die ihre Macht mit unbekümmerter Deutlichkeit zur Schau stellen? Und flux ist man mittendrin in einem Wirrwarr aus widersprüchlichen Gefühlen und Überlegungen, wenn man von Bild zu Bild geht und wieder zurücktritt und die Welt draußen dazuholt.

Fragen nach Moral

Man könnte es sich einfach machen und die fotografische Eleganz und noch mehr die unbedingte Stringenz der Fotografien loben, ihre Beharrlichkeit und auch den bissigen Humor. Und ja: „Nothing Personal“ ist keine soziologische Arbeit, es ist keine wissenschaftliche Studie, sondern eine gelungene fotoästhetische Dokumentation. Doch gleichzeitig sind sie immer da, die Fragen nach Moral und Verantwortung. Man fühlt sich zum Positionieren aufgerufen, wenn man beispielsweise auf das Bild schaut, auf dem zwischen wohl präsentierten Maschinenpistolen die gefüllten Schnapsgläser bereitstehen, na dann Prost!

Was hilft: Sich die Zeit nehmen, die diese Ausstellung braucht, auch um Fragen zuzulassen. Etwa: Warum sollen Leute, die Panzer kaufen und verkaufen und dazu auch Panzerabwehrkanonen, nicht zwischendurch etwas essen? Und sieht ein Büffet, wenn es nur grell geblitzt fotografiert wird, nicht immer schräge und unappetitlich aus?

Immer wieder zeigt Nikita Teryoshin, der Freelens-Mitglied ist, in welche Abgründe es geht, wenn man erst mal die Sphäre des Militärischen betritt, welcher Preis abverlangt wird. Immer wieder stehen wir etwas dumm da, mit unseren Waffenwünschen an die Ukraine, also wenn wir zu den Befürwortern einer militärischen Unterstützung gehören. Wenn nicht, ist alles klar. Also hier im Galerieraum; draußen in der Welt könnte das sofort anders sein.

Teryoshin verzichtet strikt darauf, die Gesichter der Anwesenden zu zeigen, wenn sie Verträge unterzeichnen, wenn sie gelangweilt Flugschauen verfolgen oder sich Visitenkarten reichen. Mal sieht man eine Kinnpartie, mal einen Halsansatz, den Hinterkopf, so etwas. Was den Personen, die ja trotzdem vor Ort gewesen sind, etwas abstrakt Puppenhaftes gibt. „Ich wollte verhindern, dass der Betrachter die Menschen auf den Messen als Personifizierung des ‚Bösen‘ sieht – und es sich so zu leicht macht“, so Teryo­shins durchaus einleuchtende Begründung neulich in einem Interview.

Südkoreanischer Offizier verfolgt eine Düsenjäger-Flugschau, Seoul, 2017

Golden-Eagle-Jets am Himmel: Ein Südkoreanischer Offizier verfolgt eine Düsenjäger-Flugshow Foto: Nikita Teryoshin

Spannend ist daher dieser eine Moment, wo er dieses Prinzip überprüft: Es gibt in der Ausstellung ein interessantes Video, gut vier Minuten lang, das einige der Besucher vom Scheitel bis zur Sohle zeigt, also auch deren Gesichter: Leute stehen an einem Stand herum und reden, schieben sich die Brille ins Haar. Ein Mann geht kurz durchs Bild, greift sich eine Art Rakete, als wäre er in einem Baumarkt, stellt sie wieder hin. ‚Ach, brauche ich doch nicht‘, scheint seine Gestik zu sagen. Und die Idee und auch der Wunsch nach der Monstrosität des Bösewichts, der nicht erkannt werden darf, ist mit einem Mal dahin.

Errechnete Feuerbälle

Der Clou in dem Video ist aber ein Film, der seinerseits an diesem Stand gezeigt wird, ein Werbevideo: Die Flugbahnen werden am Computer eingegeben, die Raketen abgeschossen, suchen sich ihr Ziel und schlagen punktgenau ein. Immer wieder geht es von vorne los, der Film vom Stand mit dem Mann, der durchs Bild läuft, der Werbefilm vom Abschuss der Geschosse, ein Loop im Loop.

Nikita Teryoshin: „Nothing Personal – The Back Office of War“: bis 5. 4., Hamburg, Freelens Galerie

Fotobuch erschienen bei Pupupublishing (182 Seiten, 100 Abb., 55 Euro)

Und schaut man genauer, also mehrmals hin, dann sieht man: Viele der zu betrachtenden Einschläge und Explosionen, für die geworben wird, sind ihrerseits am Computer generiert worden, sie sind errechnete Feuerbälle. Um ein altmodisches Wort zu nutzen: Sie sind nicht echt. Ach, herrje, wo ist man hier hineingeraten!

Also eine Empfehlung? Oder nicht? Aber ja! Unbedingt hingehen, sich verwirren lassen, ratlos werden, vielleicht auch bleiben und vor allem das Schauen trainieren. Das schnelle Eindeutige ist ja nie ein guter Ratgeber, ist es auch nie gewesen.

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