Bachmannpreis in Klagenfurt: Die Hilflosigkeit der Sprache

Der Bachmannpreis ist gut losgegangen. Die ukrainische Schriftstellerin Tanja Maljartschuk hielt eine bewegende Eröffnungsrede.

Die Autorin Tanja Maljartschuk steht an einem weißen Pult und hält eine Rede

Realität schlägt Worte: Tanja Maljartschuk bei der Eröffnungsrede Foto: ORF/Johannes Puch

Oft ist es mit den Eröffnungsreden ja so, dass sie nicht wirklich der Rede wert sind. Doch dann betritt die in der Ukraine geborene und in Wien lebende Bachmann-Preisträgerin von 2018 Tanja Maljartschuk am Mittwochabend ans Mikro und hebt zu ihrer Klagenfurter Rede zur Literatur an.

Die erste Aussage lautet: „Ich betrachte mich als gebrochene, ehemalige Autorin, die ihr Vertrauen in die Literatur und in die Sprache verloren hat.“ Die diesjährigen 47. Tage der deutschen Literatur werden anders ausfallen.

Trotz der bekannten digitalen Reibungsverluste überträgt sich die körperliche Anspannung im Raum, die Maljartschuk produziert: Der Wettbewerb wird fünf Tage lang live und in der Mediathek im öffentlich-rechtlichen Fernsehen (3sat) übertragen, und nicht wenige werden die Lesungen zu Hause auf dem Sofa oder per Public Viewing verfolgen. Und doch sind alle auf einen Schlag im Eiswasser. Der Krieg in der Ukraine hat vor 16 Monaten begonnen. Und nachdem er im letzten Jahr in Klagenfurt eher weniger Thema war, ist er jetzt da.

Es ist die alte, doch noch immer ungelöste Frage nach der Sprache, die Maljartschuk stellt. Einerseits wird sie zum mächtigen Werkzeug von Propaganda, andererseits ist sie erbärmlich hilflos, wo Menschen aufeinander losgehen, pflückt sie erbarmungslos auseinander.

„Die Realität gewinnt jedes Mal“, sagt Maljartschuk, „denn sie bietet Rettung für einzelne, aber nie für alle zusammen. Sie ist schön, aber hilflos wie ein Wald der blühenden Bäume.“ Eine Anschuldigung, die schwer wiegt. Sie wird den Wettbewerb und die Diskussion der Texte in diesem Jahr in Klagenfurt prägen.

Unter Putzzwang

Schon am ersten Tag, bei dem zwei Texte dran sind, die Favoriten werden könnten, wird dies deutlich. Diese beiden stammen von Autorinnen, die unterschiedlicher nicht auftreten könnten. Die eine, Valeria Gordeev, wurde von Insa Wilke nach Klagenfurt eingeladen, seit 2021 Jury-Vorsitzende hier.

Gordeev hat Mathematik und Illustration in Berlin und Literarisches Schrei­ben in Leipzig studiert. Während sie mitleidlos in die Trickkiste der Bildungssprache langt, streicht sie sich das engelsgleiche Haar aus dem Gesicht. Sie liest konzentriert lange, komplexe Sätze, die mit mathematischer Genauigkeit einen Mann bei der Arbeit beschreiben, der aus nicht vollends geklärten Gründen unter einer Art Putzzwang leidet.

Jedenfalls schrubbt er nicht einfach die Spüle, sondern reinigt vom Abflusssieb bis zum Schleimbatzen und den Haarknäulen im Siphon buchstäblich die hintersten Winkel, und zwar mithilfe mannigfaltiger Werkzeuge, Reiniger, Polituren und Versiegler, die alle mit bewundernswert lautmalerischer Präzision, wie unterm Brennglas und darum auch höchst unterhaltsam, beschrieben werden.

Die Jury zeigt sich begeistert – denn hier, so sind sich alle einig, wird auf originellste Weise ein Mensch beschrieben, der nicht nur mit erschreckend militärischer Planmäßigkeit dem Schmutz den Garaus machen möchte, sondern auch ganz offensichtlich sich selbst, und das trifft nach Corona nun wirklich einen „hochpolitischen“ Nerv, wie Mithu Sanyal, eine der beiden Neuen in der Jury, ganz richtig bemerkt.

Singen wie Edith Piaf

Sanyal, die in ihren Büchern mit viel Verve Themen wie Feminismus, Rassismus und Kolonialismus beackert und auch in dieser Zeitung eine tolle Kolumne hatte, verpasst dem Wettbewerb einen aufregenden Twist. Das wird bei der ersten Lesung des ersten Autors am Donnerstag klar, der auf Einladung von Sanyal gekommen ist.

Der in Frankreich geborene Autor, Übersetzer und Spoken-Word-Künstler Jayrome Robinet lebt seit 23 Jahren in Deutschland und seit 13 Jahren als Mann. Er liest seinen Text nicht etwa einfach vor. Er bietet ihn so genuss- wie kunstvoll dar, singt und verdreht zwischendurch sogar ein bisschen Edith Piaf, zerhackt einzelne Absätze seines gedruckten Textes, um sie dann ohne noch auf das Manuskript zu sehen peu à peu wieder zusammenzusetzen.

Am Ende lässt er sich auf der Zunge vergehen: „Papa, vielleicht ging es niemals darum, etwas zu werden. Vielleicht geht es im Leben um das Unwerden. Das Verwerden. Der Mensch zu entwerden, der nicht ich bin.“

Mit der Kraft der Verzweiflung

Die Jury ist glücklich über diese Worte und diese Performance, aber gespalten über seine literarische Qualität als Ganzes. Einige sind der Ansicht, dass die experimentelle Sprache des Autors nicht seinen Inhalten entspricht. Sind hier etwa Dünkel im Spiel, die auch hier viel zu lange das Sprechen der meist älteren, männlichen Literaturwissenschaftler und Kritiker bestimmten?

Was soll konventionell daran sein, einerseits über Gewalt zu schreiben, die besonders aus Sicht eines Transmanns aus migrantischem Arbeiterhaushalt überall und nicht nur in der Ukraine ist – und andererseits buchstäblich im selben Atemzug, mit großer physischer Präsenz und unterschwellig auch aus der Kraft der Verzweiflung heraus die heilende Kraft der Literatur zu beschwören? Zumindest ist es ein beachtlicher Redebeitrag. Das findet auch Mithu Sanyal. Der Bachmannpreis geht noch bis Sonntag.

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