NSU-Dokumentationszentrum in Chemnitz: Rechte Netzwerke erkennen

In Chemnitz entsteht ein NSU-Dokumentationszentrum über rechtsextremen Terror. Das Neonazi-Umfeld der Mörder lebt weiterhin in der Stadt.

Eine Person am Computer in einer Ausstellung.

Hörstation im zukünftigen Dokumentationszentrum zum NSU-Komplex in Sachsen Foto: Hendrik Schmidt/dpa

Es spricht einiges für ein Dokumentationszentrum des NSU-Terrors in Chemnitz. Die Stadt gilt als Hotspot der extremen Rechten; ein Haus, das sich diesem unrühmlichen Konnex widmet, würde sich hier gut machen. Gegen den Standort Chemnitz sprechen allerdings genau diese Rechtsextremen: So haben einige Angehörige der Ermordeten Sicherheitsbedenken.

Dass Chemnitz Verantwortung übernehme, fordert indes Gamze Kubaşık, deren Vater vom Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) erschossen wurde. Immerhin war es die lokale Neonaziszene, die die Mörder unterstützte, sagt sie in einer Audiobotschaft, die bei einer Pressekonferenz am Dienstag in den Räumen des künftigen Chemnitzer NSU-Dokumentationszentrums abgespielt wurde.

An die Opfer der NSU-Mordserie soll allerdings nicht bloß an einem Ort erinnert werden. Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, betont, dass eine „Mehrortigkeit“ immer geplant war. Ein zentraler Standort soll im Verbund mit regionalen Netzwerken entstehen.

Ein Ort für Leute, die etwas tun wollen

Dass in Chemnitz nun bereits 2025 – pünktlich zum Kulturhauptstadtjahr – ein vorläufiges NSU-Dokumentationszentrum seine Türen öffnet, ist vor allem drei Initiativen zu verdanken: der Initiative Offene Gesellschaft, ASA-FF sowie RAA Sachsen. Projektleiter Jörg Buschmann, der für Letztere bei der Pressekonferenz spricht, gibt einen Ausblick. Betroffene von rechter Gewalt sollen sich hier im Haus mit Leuten, die „was tun wollen“, vernetzen, sagt er. Künstlerisch solle der NSU-Komplex beleuchtet werden, ein Symposium zudem europäische Perspektiven einbringen. Monitoring und Recherche komme eine wichtige Rolle zu, so Buschmann, ferner solle ein Archiv aufgebaut werden.

Getragen wird das Center zunächst vom Bund und dem Land Sachsen, die beide 2 Millionen Euro beisteuern.

Noch ist das Gebäude an der Augustusburger Straße 1 leer. Eingebettet zwischen Plattenbauten, besitzt es noch seinen etwas miefigen Behördencharme, der tief in den Teppichen und grauen Deckenelementen sitzt. Zuletzt residierten hier die Chemnitzer Stadtwerke. Im Obergeschoss stehen noch die Kunststoffwände, die die Büros voneinander separierten, samt Türschildern. Eigentlich könnten die Reste einer schon fast stereotypen Büroinfrastruktur stellvertretend für den Behördensumpf stehen, in dem die Ermittlungen zum NSU über die Jahre versickerten.

Über Straßenpflaster und ein Pfütze hinweg geht der Blick zu einem mehrstöckigen schmucklosen Gebäude

Blick auf das zukünftige Dokumentationszentrums zum NSU-Komplex in Sachsen in Chemnitz Foto: Hendrik Schmidt/dpa

Die Ausstellung ist bereits fertig konzipiert

Doch schon in der nächsten Woche sollen hier die Bauarbeiten beginnen. Die Ausstellung ist bereits fertig konzipiert, vier kleine Elemente geben im Eingangsbereich einen Vorgeschmack. Zu sehen ist etwa ein Video der Demonstration in Kassel nach dem neunten NSU-Mord 2006. Auf einem anderen Bildschirm lernt die Besucherin, die Namen der Mordopfer des NSU korrekt auszusprechen.

In Chemnitz ist man mit der Umnutzung großer Gebäudekomplexe vertraut. Schräg gegenüber vom neuen NSU-Dokumentationszentrum steht das Staatliche Museum für Archäologie, kurz „smac“. Erbaut und eröffnet 1930 als Kaufhaus Schocken, wechselte das Kaufhaus nach der Enteignung der jüdischen Eigentümer durch die Nationalsozialisten 1938 mehrfach seine Betreiber, bis es 2014 zum Museum umfunktioniert wurde. Die Stadt hat mit Leerstand zu kämpfen, rund 10 Prozent der Wohnungen und Häuser stehen hier leer.

Ein weitaus größeres Problem als der Leerstand sind für Chemnitz allerdings die Rechtsextremen. Es ist noch keine sechs Jahre her, als 2018 nach einem tödlichen Messerangriff eines Geflüchteten auf einen Deutsch-Kubaner militante Neonazis Seite an Seite mit AfD- und Pegida-Anhänger:innen zu Tausenden durch die Stadt zogen und migrantisch gelesene Passanten angriffen. Es waren wohl diese Ausschreitungen, die die Stadt dazu brachten, mit ihrem Problem offensiver umzugehen. In ihrer Bewerbung zur Kulturhauptstadt deutete sie explizit auf das rechte Netzwerk in der Stadt hin.

Kontinuität rechtsextremer Angriffe

Dass sich das neue NSU-Dokumentationszentrum nicht nur als Museum versteht, ist angesichts weiter bestehender rechter Kontinuitäten nur folgerichtig. „Wir wollen nicht nur in die Vergangenheit blicken“, sagt die Staatssekretärin im Bundesinnenministerium Juliane Seifert. Die SPD-Politikerin spricht von „massiven staatlichen Versäumnissen“, die thematisiert werden müssten. Wohl aufgrund von rassistischen Vorurteilen hatten die Ermittler zunächst im Umfeld der Opfer nach den Mördern gesucht. Auch der rechtsextremistische Hintergrund der Taten war lange Zeit nicht erkannt worden.

Dass der Nationalsozialistische Untergrund Rechtsextreme inspiriert und motiviert hat – Stichwort NSU 2.0 –, gehört zu seiner Geschichte. Ebenso die Ausschreitungen von 2018, an denen sich mit großer Sicherheit auch Neonazis aus dem Umfeld der NSU-Terroristen Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Bönhardt beteiligten und die zu keiner einzigen Verurteilung führten. Trotz Gegenwinds aus der Zivilbevölkerung scheint die Stadt für Rechtsradikale attraktiv zu bleiben. Seit Dezember betreibt auch die Identitäre Bewegung ein Zentrum in Chemnitz.

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