Spielfilm „Civil War“ im Kino: Land unbegrenzter Wirklichkeiten

Mit „Civil War“ hat Regisseur Alex Garland einen immersiven Actionfilm über die gespaltenen USA gedreht. Dass er keine Moral hat, ist ein Vorteil.

Kirsten Dunst steht mit einer Kamera inmitten orangenen Lichts

Erster Einsatz im eigenen Land: Kriegsreporterin Lee (Kirsten Dunst) in „Civil War“ Foto: DCM

Aus dem Dunst einer Nebelgranate rennen Menschen. Die schwerbewaffnete Polizei schießt wahllos in die Masse. Eine Frau dringt bis zu einem Panzerfahrzeug vor. Eine Explosion. Kurze Stille. War das Ding um ihren Bauch ein Sprengstoffgürtel?

Die Kamera zoomt heraus: brennende Autos, eingestürzte Häuser, abgetrennte Körperteile und mittendrin: die Kriegsreporterin Lee (Kirsten Dunst). Sie wirkt zugleich abgeklärt und besorgt. Sie hat in ihrer Karriere bereits dutzende Kriege miterlebt, aber noch nie im eigenen Land.

Schon die ersten Minuten von „Civil War“ des Regisseurs Alex Garland zeigen: Dieser Film macht keine Gefangenen – so wie seine Figuren. Die USA befinden sich inmitten eines gewalttätigen Bürgerkriegs.

Die Bundesstaaten Texas, Kalifornien und Florida werden von rebellischen Sezessionisten, den „Western Forces“, regiert, die auf Washington vorrücken, um den Präsidenten (Nick Offerman) zu stürzen. Letzterer leugnet die Eskalation und erklärt in einer wahnhaft patriotischen Fernsehansprache, seinem Land gehe es gut, das Militär habe alles unter Kontrolle.

„Civil War“. Regie: Alex Garland. Mit Kirsten Dunst, Wagner Moura u.a. Vereinigtes Königreich/USA 2024, 109 Min.

Ein letztes Interview mit dem Präsidenten

Um zu zeigen, wie infam diese Lüge ist, reist Reporterin Lee mit dem New-York-Times-Reporter Sammy (Stephen McKinley Henderson) und dem Reuters-Journalisten Joel (Wagner Moura) sowie der unerfahrenen College-Absolventin Jessie (Cailee Spaeny) durch den Nordosten der USA Richtung Hauptstadt. Ihr Ziel: ein – womöglich letztes – Interview mit dem Präsidenten.

Die Reise durch Pennsylvania, West Virginia und Virginia ist ein dystopischer Road- oder besser: Horrortrip durch eine kaputte Welt. Sie begegnen traumatisierten Zi­vi­lis­t*in­nen, die provisorisch in Footballstadien leben, und entstellten Leichen, die auf der Straße verwesen. Sie begleiten Western Forces bei Schießereien, deren Kugeln sie nur um wenige Zentimeter verfehlen. Sie fahren durch seltsame, scheinbar friedliche Kleinstädte, deren Ein­woh­ne­r*in­nen so tun, als sei alles in Ordnung.

Während der Präsident Optimismus vorgaukelt, bringen sich Zi­vi­lis­t*in­nen für einen Eimer Wasser um

An keiner Stelle des Films wird erklärt, warum der Bürgerkrieg wütet, wer dafür verantwortlich ist und wer für was eigentlich auf welcher Seite kämpft. Eines ist eindeutig: Es existieren völlig unterschiedliche Wirklichkeiten nebeneinander. Während der Präsident Optimismus vorgaukelt, bringen sich Zi­vi­lis­t*in­nen gegenseitig für einen Eimer Wasser um, manche leben auf noch nicht umkämpften Landstrichen, als sei nichts gewesen.

Dass Garland, der wie für „Ex Machina“ (2014) oder „Auslöschung“ (2018) auch das Drehbuch schrieb, aus der Perspektive der vier Figuren erzählt, ist eine geniale Idee. Die Geschichte macht sich die emotionale Kälte ihrer Figuren zu eigen, die nichts mehr zu schocken scheint. Nicht die Schmerzensschreie gefolterter Zivilisten, nicht die Kugel, die sich in das Fleisch des Nebenmanns bohrt.

Soundtrack als Weichzeichner

Die hartgesottenen Kriegs­re­por­te­r*in­nen bieten eine willkommene Projektionsfläche, mit der die Gewalt und Tragik erträglicher wird. Besonders wenn Lees zynische Art, fulminant gespielt von einer bei aller Düsterheit geradezu leuchtend guten Dunst, auf die eskapistische Gleichgültigkeit des dauerberauschten Joel oder die schlagfertige Anfängerin Jessie trifft.

Auch der Soundtrack ist ein Weichzeichner der dargestellten Härte. Ähnlich wie im legendären Kriegsfilm „Apocalpyse Now“ (1979) von Francis Coppola werden blutige Szenen manchmal mit energischer Popmusik unterlegt. Nur dass hier nicht The Doors, sondern Rap von De La Soul eingeblendet wird. Manche Sequenzen haben eine morbide Schönheit, etwa wenn gegen Ende Aufnahmen brennender Landschaften – die an die ausgebrannten Palmen in Coppolas Film erinnern – von einem heiteren Countrysong unterlegt werden.

Tolle ästhetische Spielereien sind jene Kriegsszenen, in denen Schüsse aus den Waffen Kameraschüssen folgen, bei denen das Bild stets kurz einfriert. Das hat einerseits den gruseligen Effekt, das Grauen noch ein bisschen länger betrachten zu müssen.

Andererseits ließe sich aus der Parallelführung von Kamera und Waffe die trostlose, womöglich einzige Botschaft des Films schließen: Niemand ist unschuldig. Menschen erschießen Menschen, Journalisten „erschießen“ Erschossene.

Ein Film ohne Lehren?

„Civil War“ stellt keine politischen Fragen, sondern pflegt Action und Voyeurismus. Lee und ihre Kol­le­g*in­nen handeln nicht wirklich moralisch. Sie mögen irgendwie für freie Meinungsäußerung stehen, doch eigentlich geht es ihnen vor allem um den money shot, die im Fotojournalismus übliche, spektakuläre Aufnahme, die kommerziellen Erfolg verspricht.

Darf ein Film, der indirekt stets auf die Situation der gespaltenen US-Gesellschaft schielt, ohne Lehren auskommen? Ja, und zwar nicht, obwohl dieser Film mit einem Budget von 50 Millionen US-Dollar wohl mehr als 50 Arthouse-Filme kostet, die eine ausgewogene Reflexion über die Gefährdung von Demokratie durch Fake News, rechte Polemik und binäres Denken liefern könnten, sondern weil. So ließe sich Brechts Aphorismus für 2024 updaten. Stell dir vor, es läuft ein Kriegsfilm und niemand weiß, um was es geht, aber wie.

Vielleicht hat derart immersive Action in einer Zeit, in der vor allem mit Gefühlen und nicht Argumenten Politik gemacht wird, mehr Abschreckungspotenzial. Es ist wohl kein Zufall, dass Garland mit „Civil War“ erstmals keinen Sci-Fi- oder Horrorfilm dreht. Die Realität ist beängstigend genug. In diesem Sinn geht es nicht um Politik, sondern den Horror, der in einer Welt jenseits von Politik herrscht.

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