Aufrüstungsdebatten in Europa: Nicht zu Ende gedacht

Auch wenn sich die Europäer nicht auf Trump verlassen wollen: Sie können ihre Militärausgaben nicht erhöhen, ohne den inneren Frieden zu gefährden.

Kampfjets bei einem Flugmannöver.

Wo soll das Geld für Waffen bloß herkommen? Kampfjets beim Nato-Manöver Air Defender 2023 Foto: Kevin Hackert/imago

Es ist ein Satz, der sich derzeit offenbar sehr einfach sagen lässt: Europa darf sich nicht mehr auf den militärischen Schutz der USA verlassen und muss seine Sicherheit in die eigenen Hände nehmen. Wer will da widersprechen nach den jüngsten Äußerungen von Donald Trump? Er würde europäische Staaten, die zu wenig für die Nato zahlen, nicht vor einem russischen Angriff schützen, sagte Trump.

Vor 15 Jahren – als der damalige US-Präsident Barack Obama begann, von den europäischen Nato-Verbündeten eine Erhöhung ihrer Verteidigungsanstrengungen zu fordern, weil die USA sich schon damals vom strategisch unbedeutender gewordenen Europa Richtung Asien umorientieren wollten – gab es noch eine Diskrepanz:

Zwar stimmten die europäischen Regierungen 2014 auf dem Nato-Gipfel in Wales widerwillig zu, ihre Verteidigungsausgaben künftig an eine Zielmarke von 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts heranzuführen, aber eigentlich hatte niemand wirklich vor, das in absehbarer Zeit auch zu tun. Zumal in den europäischen Gesellschaften trotz der ein halbes Jahr zuvor erfolgten Annexion der Krim durch Russland nicht das Gefühl vorherrschte, tatsächlich einer realen Bedrohung durch Russland ausgesetzt zu sein, die eine Priorisierung des Militärischen rechtfertigen oder erforderlich machen würde.

Das hat sich durch den ­russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine geändert. Aber so leicht sich das politische Personal damit tut, das Credo von der Souveränisierung euro­päi­scher Sicherheits- und Verteidigungspolitik in die Welt zu blasen, so wenig wird thematisiert, was das eigentlich für Konsequenzen hätte.

Mal ernsthaft: Stolz hat Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg in dieser Woche verkündet, dass schon 18 Staaten das 2-Prozent-Ziel erfüllten. Aber von selbstständiger Verteidigungsfähigkeit sind wir weiterhin Lichtjahre entfernt. Um das also zu erreichen, brauchte es massive Ausgabensteigerungen, die jene der vergangenen Jahre vollkommen in den Schatten stellen würden.

Selbst wenn durch intensive Kooperation und europäische Arbeits- und Aufgabenteilung maximale Effizienz erreicht werden könnte, sprechen wir dann nicht mehr von 2, sondern vermutlich von 5 oder gar 6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, die dafür ausgegeben werden müssten. Und das über einen Zeitraum von mindestens zehn bis fünfzehn Jahren.

Leider hat alles seinen Preis

Dieses Geld muss irgendwo herkommen, entweder durch drastische Steuererhöhungen oder Einsparungen oder, wahrscheinlicher, durch eine Kombination aus beidem. Die Einschnitte, die die Ampelregierung in den vergangenen Monaten verkündet hat, um ein paar Milliarden Euro einzusparen, sind Peanuts dagegen – und schon die haben eine Welle von Bauernprotesten ausgelöst, wie man sie in Deutschland so noch nicht gesehen hat.

Der Versuch, Deutschland und Europa gegen Bedrohungen von ­außen sicherer zu machen – und dazu gehören dann neben Militär auch der Schutz kritischer Infrastruktur, Katastrophenschutz, Cyberabwehr und anderes mehr –, kann insofern im schlechtesten Fall zu gesellschaftlichen Verwerfungen führen, die den Fortbestand der liberalen Demokratien westlicher Prägung akuter gefährden als die imperialistischen Pläne Wladimir Putins.

Denn die grundlegenden Aufgaben und Investitionsbedarfe des 21. Jahrhunderts haben sich auch durch den russischen Angriffskrieg nicht verändert: die Transformation hin zu Klimaneutralität einschließlich der Gestaltung des damit einhergehenden wirtschaftlichen Strukturwandels; die Anpassung an jene Folgen des Klimawandels, die gar nicht mehr zu verhindern sind; der Umgang mit demografischem Wandel und weltweit zunehmenden Migrationsbewegungen; das Schaffen besserer Schul- und Berufsbildung. Das alles braucht Geld, und zwar ebenfalls viel mehr, als derzeit dafür ausgegeben wird.

Wenn all diese Bedarfe in den nächsten Jahren in scharfe Konkurrenz gebracht werden mit dem Aufbau militärischer Kapazitäten, wird es noch schwieriger, gesellschaftlichen Konsens herzustellen. Der Aufstieg rechtsextremer Parteien ist das sichtbarste Symptom dafür, dass dieser ohnehin schon massiv bröckelt.

Ja, die Bedrohung durch Russland ist real geworden, etwas, was nach dem Ende der Blockkonfrontation nicht mehr möglich schien. Sie braucht Antworten, womöglich auch militärische. Aber wer jetzt postuliert, Europa müsse sich militärisch auf Augenhöhe mit den USA bringen, um unabhängig handlungsfähig zu werden, ohne zu benennen, wie die dadurch entstehenden Probleme gelöst werden sollen, macht es sich zu einfach.

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Jahrgang 1965, seit 1994 in der taz-Auslandsredaktion. Spezialgebiete USA, Lateinamerika, Menschenrechte. 2000 bis 2012 Mitglied im Vorstand der taz-Genossenschaft, seit Juli 2023 im Moderationsteam des taz-Podcasts Bundestalk. In seiner Freizeit aktiv bei www.geschichte-hat-zukunft.org

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