Nahost-Konflikt im Berliner Clubleben: Ein Klima der Angst

Der Krieg in Nahost ist im Berliner Nachtleben viel diskutiert und gleichzeitig beschwiegen. Auffällig wenig Stellung wird gegen den Hamas-Terror bezogen.

tanzende Menschen in einem Club

Irgendwie gerade ein Tanzen auf Vorbehalt in den Berliner Clubs Foto: Fabian Sommer/picture alliance

BERLIN taz | Der Terroranschlag und die Massaker der Hamas an Zivilisten in Israel, der zu einem Krieg in Nahost geführt hat, wirkt sich nun auch direkt auf den Berliner Clubbetrieb aus. So wurde vergangenen Freitag kurzfristig das AL.Festival im Festsaal Kreuzberg abgesagt, bei dem Acts aus dem arabischen Raum hätten auftreten sollen. Die genauen Gründe für die Absage bleiben in einer Erklärung der Veranstalter AL.Berlin auf deren Homepage etwas schwammig. Wegen des andauernden Krieges gegen Palästina, heißt es. Nebenbei wird in dem Text eine aufkommende Repression gegen „anti-israelische Stimmen“ in Berlin beklagt.

DJ Ipek, mit der man kurz vor der Gayhane-Party im SO 36 vergangenen Samstag spricht, die sie mitorganisiert und die sich an ein queeres migrantisches Publikum richtet, sagt, sie könne es absolut verstehen, dass einem in diesen Zeiten nicht nach Feiern zumute ist. Hoffe aber, mit ihrer Party wenigstens für etwas Ablenkung sorgen zu können. Doch weiter möchte sie sich so ad hoc erst einmal nicht zu der Thematik äußern.

Immerhin regt sich die Berliner Clubkultur nun, zeigt offen Emotionen und Empörung. Freilich tut sie das erst jetzt, als Israel im Begriff ist, wie angekündigt in nie vorher gesehener Weise gegen die Hamas vorzugehen und die humanitäre Lage in Gaza bereits katastrophal ist.

Verdächtig still

Kurz nach dem 7. Oktober, an dem Tag, als die Hamas-Terroristen ihre Untaten in Israel begingen, blieb es dagegen verdächtig still. Ganz anders als etwa beim Überfall Russlands auf die Ukraine, wo in der Clubszene schnell die ukrainischen Flaggen auf den Social-Media-Kanälen gehisst wurden. Dabei wurden von der Hamas nicht nur Kibbuzim überfallen, sondern auch auf einem Trance-Festival um die 260 Menschen ermordet. Der direkte Link zur Solidarität wäre also da gewesen: Die hedonistische Partykultur, für die man doch auch in Berlin so sehr einsteht, wurde von Gotteskriegern in brutalster Manier angegriffen.

Aber nun, drei Wochen nach den Massakern, ist relativ klar, dass eine nicht geringe Zahl von Akteuren im Berliner Clubbetrieb der Meinung ist, Israel habe gar keine Solidarität verdient. Es gab sie, die Betroffenheitsbekundungen. Sie kamen vom Holzmarkt, vom Musikfestival CTM und vom Club About Blank.

Aber als wirklicher Totalausfall erwies sich ausgerechnet die Berliner Clubcommission, die als erster Akteur des Berliner Clubbetriebs reagierte. Doch in derem Post fehlt jegliche Kontextualisierung. Die Begriffe Hamas und Antisemitismus tauchen erst gar nicht auf. Und am Ende wird für Spenden für diverse Organisationen aufgerufen, von denen zwei ausdrücklich für palästinensische Geflüchtete zuständig sind. Zumindest zu dem Zeitpunkt und bei dem Anlass gingen diese Aufrufe am Thema vorbei.

Die Clubcommission sieht sich nicht als „Plattform für diese Diskussionen“

Nach ein paar unwilligen Kommentaren auf Facebook antwortete die Clubcommission immerhin auf einen von diesen und schrieb, man sehe es „nicht als unsere Aufgabe, das generelle internationale politische Geschehen abseits des clubkulturellen Kontextes zu kommentieren“ und auch nicht als „Plattform für diese Diskussionen.“

Diese Stellungnahme der Clubcommission bezog sich auf einen Post von Mo Loschelder. Die betrieb selbst einmal einen Club in Berlin, war Technoproduzentin und Labelinhaberin und hat heute eine Künstleragentur für Musiker und Musikerinnen aus dem Bereich der elektronischen Musik. Sie hebt die besondere Bedeutung und Verantwortung der Clubcommission hervor, nennt sie die „Vertretung für alle, die mit der Berliner Clubkultur zu tun haben, und eine Stimme, die sozusagen für uns alle spricht“. Deswegen sei sie auch so entsetzt über das „Wischiwaschi“-Posting. Sie verweist auf das Berliner Atonal-Festival, das in den letzten Wochen einen weiteren Aufreger innerhalb der Berliner Szene verursacht hat. Nachdem es sich zwei Wochen nach dem Massaker der Hamas einem Boykottaufruf in Berlin anschloss, der von mit Palästina solidarischen Gruppen initiiert wurde, empörte sich der Techno- und Soundart-Künstler Robert Henke mit der an das Festival gerichteten Frage: „Wo war dein Post, als die Hamas letzte Woche Hunderte von Menschen getötet, lebendig verbrannt, vergewaltigt, entführte? Wo bleibt euer Aufschrei, wenn hier in Berlin Molotow-Cocktails an jüdische Institutionen geworfen werden?“

Diese Frage löste eine ausgiebige Diskussion auf Social-Media aus. Woraufhin die beiden Hauptorganisatoren des Festivals in einem weiteren Post klarstellten, nur Privatmeinungen zu äußern. Außerdem schafften sie es dann noch, den Hamas-Terror zu verurteilen.

Es ist also auch auf Social Media möglich – auch wenn der Insta-Post des Atonal inzwischen ganz entfernt wurde – sich zu korrigieren. Aber ganz offensichtlich nicht der Clubcommission. „Erschreckend, dass sie so stur geblieben sind und nicht einmal sachliche Details in ihrem Post korrigiert haben“, so Loschelder, „Bockigkeit – anders kann ich mir das nicht erklären. Wir haben was geschrieben, das muss reichen. Basta.“

Gerne hätte man von der Clubcommission selbst mehr dazu erfahren. Auf Anfrage schreibt deren Sprecher Lutz Leichsenring: „Das Thema ist gerade so aufgeheizt, dass wir uns aktuell nicht weiter äußern.“ Schiebt dann aber noch hinterher: „Wir werden versuchen, unsere Rolle hier bestmöglich als Brückenbauer einzunehmen.“ Marcel Weber, Geschäftsführer des queeren Clubs Schwuz und Erster Vorsitzender der Clubcommission, gibt auf Anfrage an, zu dem Thema ebenfalls nichts weiter beitragen zu wollen.

Sulu Martini vom About Blank, sagt, man habe versucht, sich mit der Clubcommission für ein gemeinsames Statement abzustimmen, sei dabei aber abgeblockt worden. Das About Blank positioniert sich schon seit Jahren ausdrücklich gegen eine eindeutige Parteinahme gegen Israel. Diese, so Sulu Martini, habe in den letzten Jahren massiv in der Szene um sich gegriffen. Die BDS-nahe Kampagne DJs for Palestine, die Plattendreher dazu aufruft, nicht in Israel aufzutreten und sich für die Sache der Palästinenser einzusetzen, habe sich auch in die Berliner Szene gefressen.

Ein Insta-Aktivismus

Sulu Martini spricht von einem „Insta-Aktivismus“, der bei dieser einseitigen Positionierung zum Nahostkonflikt zu beobachten sei. Gegen Israel, den angeblichen Apartheidstaat, zu sein, ist dann schnell dahingepostet und man bekommt die begehrten Likes.

Gegen dieses schablonenhafte Denken anzugehen und sich vielleicht so zu positionieren wie Robert Henke, sei da viel schwieriger, glaubt Loschelder. „Die meisten Leute haben Angst, sich überhaupt zu äußern. Weil der Themenbereich so komplex ist und wahrscheinlich relativ wenige sich mit dem Konflikt beschäftigt haben. Man hat die totale Panik davor, sich in ein Fettnäpfchen zu setzen, und Angst vor einem Islamophobievorwurf.“

Das wäre immerhin eine Erklärung dafür, warum die Berliner Clubcommission aktuell lieber nichts mehr sagen will: Angst.

Aber noch nicht dafür, warum Lewamm Ghebremariam aus deren Vorstand, Diversity-Beraterin und Awareness-Spezialistin, einen Post geliked hat, in dem das Massaker der Hamas als Akt des Widerstands gegen den „Apartheidstaat“ Israel verklärt wurde.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.