Neue Plattform „Bluesky“: Weder Himmel noch Hölle

Immer mehr wechseln von X zu Bluesky. Die Plattform ist umstritten. Unter richtigen Bedingungen kann sie ein wichtiges demokratisches Instrument werden.

Blick aus einem Flugzeugfenster, zu sehen ist ein blauer Himmel mit weissen Wölkchen

Gelingt des Bluesky X zu ersetzen? Foto: Panthermedia/imago

Am ersten Tag an einer neuen Schule erscheint fast alles möglich. Endlich ohne feste Rollenzuschreibung im Klassengefüge den ungeliebten Spitznamen ablegen oder sich ein neues Auftreten zulegen. So ähnlich fühlte sich diese Woche der Neustart bei der Plattform Bluesky an. Nach anstrengenden Jahren bei Twitter und später X sollte jetzt alles anders werden. Wie also sich nennen? Welche Internetpersönlichkeit annehmen – krawallige Pöbelmaus oder lieber zurückhaltend? Und was soll der erste Post werden?

Egal für welchen Post sich die Nut­ze­r*in­nen entschieden, die Stimmung bei Bluesky in den letzten Tagen war euphorisch. Endlich schien eine vernünftige Alternative zu X gefunden: ein digitaler Raum mit positiver Atmosphäre, konstruktiven Gesprächen und dem Gefühl einer „Netzgemeinschaft“.

Schließlich war X in den letzten Monaten immer unbenutzbarer geworden. Ihr Chef Elon Musk hatte mit seinen Sparmaßnahmen, neuen Funktionen und Algorithmen die App regelmäßig lahmgelegt, die Sichtbarkeit der Tweets gedrosselt und immer mehr Rechte zurückgeholt. Wenig über­raschend, schließlich ist er selbst dafür bekannt, rechtsradikale, verschwörungstheoretische und antisemitische Inhalte zu verbreiten. Als er vergangene Woche zur Wahl der AfD aufrief, war für viele Use­r:in­nen klar: jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, um von X zu Bluesky zu wechseln.

Doch so groß die Freude auf der einen Seite war, so enorm war die Kritik auf der anderen. Ein „elitärer Club“, schimpften einige, andere sahen in Bluesky gleich den Untergang der ­Demokratie. Beides ist sicherlich übertrieben. Aber ganz nüchtern betrachtet muss man sagen: Bluesky bietet einige Chancen.

Elitäres Gehabe

Auf den ersten Blick ist dort wenig anders als bei X. Die Oberfläche sieht mit ihrer Timeline, dem Profil und den Benachrichtigungen dem ehemaligen Twitter zum Verwechseln ähnlich. Das ist kein Zufall, stammt die App mit dezentralem Ansatz doch ursprünglich aus dem Hause Twitter. Dessen Mitgründer Jack Dorsey hatte sie 2019 als Erweiterung angekündigt. Mittlerweile ist Bluesky vollkommen unabhängig von X und Dorsey im Aufsichtsrat von Bluesky.

Dass die Anmeldung bislang nur nach monatelanger Wartezeit oder mit Einladungscode funktioniert, ist tatsächlich elitäres Gehabe. Das Unternehmen versucht so, die Zahl der Neuanmeldungen zu regulieren, damit ihr Netzwerk nicht zusammenbricht. Gleichzeitig ist es auch eine PR-Strategie, um sich durch künstliche Verknappung interessant zu machen. Auch Plattformen wie Facebook oder Clubhouse haben das zu Beginn so gehandhabt. Ein Zustand, der hoffentlich bald behoben wird, ähnlich wie die fehlenden Möglichkeiten, Direktnachrichten zu verschicken oder Videos und GIFs zu posten.

Doch das alles sind Kleinigkeiten im Vergleich zur sonstigen Kritik. Verschiedene Springer-Journalist*innen sehen in Bluesky bloß ein Antifa-Forum, auch die FAZ kommentiert, hier treffe sich nur „die linke Blase“ zum Abfeiern. Das Ganze führe dann wahlweise zur „Spaltung der Gesellschaft“, dem „Ende der Meinungsfreiheit“ oder es rüttele an den „Säulen der Demokratie“.

Doch Kritik kommt nicht nur von Konservativen, auch Linke fürchten, dass durch den Wechsel von X zu Bluesky eine immer noch gesellschaftlich relevante Plattform wie X vollkommen den Rechten überlassen wird. Musk würde letztlich einen Echo-Raum ohne Widerspruch behalten, in dem keine Debatte mehr stattfinde. Ein Raum, wie Donald Trump ihn mit Truth Social immer geträumt, aber nie erreicht hatte.

Zu „kuschelig“ – was soll das heißen?

Es stimmt, dass immer mehr gesellschaftlich progressive Institutionen und Privatpersonen sich von X zurückziehen. Am Donnerstag beendete beispielsweise der Bundesverband Trans* nach einem transfeindlichen Shitstorm seine Präsenz dort. Doch wer kann ihm das vorwerfen? Zudem stößt ein starker Rückgang der Nut­ze­r*in­nen die Plattform auch weiter in Richtung Bedeutungslosigkeit.

Twitter war mal ein Ort, an dem Menschen sich Gehör verschafft haben, die ansonsten im deutschen Diskurs keinen Platz fanden. Heute ist es ein Ort, der durch menschenverachtende Hetze und Trolle bestimmt wird. Auch, weil Twitter nie eine ordentliche Moderation und Handhabung gegen Hetze hatte. Es ergibt schlicht keinen Sinn, mit ihnen ins Gespräch zu gehen. Das war schon vor Elon Musks Übernahme im Herbst 2022 so, doch in den letzten Monaten hat sich die Situation verschlimmert.

Die Aussage einiger, bei Bluesky sei es ihnen zu „kuschelig“, weil sich hier nur Linke aufhalten würden, ist deswegen wenig nachvollziehbar. Zwar waren zu Beginn vermutlich mehrheitlich linke und linksliberale Use­r*in­nen dort unterwegs, doch immer mehr konservative Journalist*innen, Po­li­ti­ke­r*in­nen und Ak­teu­r*in­nen finden ihren Weg zur Plattform. Und schon jetzt finden Diskussionen statt. Doch wer ernsthaft Rechte und Trolle auf der Plattform vermisst, dem ist nicht zu helfen. Es auszuhalten, von Nazis beschimpft zu werden, darf keine Voraussetzung sein, um am gesellschaftlichen Diskurs teilzunehmen. Wer so denkt, hat nichts verstanden.

Wenn wir eines aus unseren ersten Schultagen gelernt haben, dann, dass es nicht so einfach ist, von einem Tag auf den anderen zu versuchen, ein neuer Mensch zu sein. Das müssen wir auch überhaupt nicht. Doch wir sollten die Zeit ohne Rechte und Trolle nutzen – und sie wird vermutlich schnell ­vorbei sein –, um uns Strategien an­zueignen, wie wir mit ihnen umgehen. Also nicht über jedes Stöckchen der Rechten springen und Schutzkonzepte für ­vulnerable Gruppen zu entwickeln. Damit der Preis, gehört zu werden, nicht mit rechten Hetz- und Mordkampagnen einhergeht.

Die Verantwortung liegt aber nur zum Teil bei den Use­r*in­nen, zum anderen beim Unternehmen selbst. Es bleibt zu hoffen, dass Dorsey etwas dazugelernt hat, aber letztlich wird auch hier irgendwann umgesetzt, was am meisten Geld fürs Unternehmen einspielt. Bleibt also die Politik, die die Unternehmen in die Verantwortung zwingen muss, bestehende Gesetze einzuhalten. Gerade bei einer neuen Plattform lohnt es sich, ganz genau hinzuschauen. Denn dann kann Bluesky ein wichtiges demokratisches Instrument sein.

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Ressortleiterin bei taz zwei - dem Ressort für Gesellschaft und Medien. Schreibt hauptsächlich über intersektionalen Feminismus, (digitale) Gewalt gegen Frauen und Popphänomene. Studium der Literatur- und Kulturwisseschaften in Dresden und Berlin. Seit 2017 bei der taz.

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