Abschiebungen in Schleswig-Holstein: Konzentrierter abschieben

Schleswig-Holstein will alle Abschiebefälle am Amtsgericht Itzehoe bündeln. Der Flüchtlingsrat kritisiert, Angehörigen werde der Zugang erschwert.

Zäune und Stacheldraht vor den roten Klinkergebäuden der Haftanstalt

Nicht weit von Itzehoer Gericht: Abschiebhaftanstalt Glückstadt Foto: Ulrich Perrey/dpa

RENDSBURG taz | 38,5 Tage, also einen Monat und eine Woche: So lange sitzen im bundesweiten Durchschnitt Menschen zu Unrecht in einer Abschiebehaft. Und Fehlurteile seien keine Ausnahme, teilt das Justizministerium in Schleswig-Holstein mit und bezieht sich dabei auf eine Untersuchung der Hamburger Rechtswissenschaftlerin Hannah Franz, die 254 Beschlüsse des Bundesgerichtshofs aus den Jahren 2015 bis 2022 auswertete. Demnach hätte in 60 Prozent der Fälle keine Haft angeordnet werden dürfen.

Um diese Situation in Schleswig-Holstein zu verbessern, will das Land nun alle Verfahren rund um die Abschiebehaft an einem Amtsgericht bündeln – über die Abschiebung selbst entscheiden Verwaltungsgerichte. Kritik an der geplanten Änderung kommt vom Flüchtlingsbeauftragten des Landes und dem Flüchtlingsrat: Das Land wolle keineswegs die Lage der Geflüchteten verbessern, sondern durch ein spezialisiertes Gericht erreichen, dass Urteile seltener angefochten werden. Zudem könnten angesichts der weiten Wege im Flächenland die Betroffenen bei der Verhandlung ohne die Rückendeckung von Un­ter­stüt­ze­r*in­nen im Gerichtssaal stehen.

„Für Ehegatten oder Lebenspartner, Eltern, Kinder oder sonstige Personen des Vertrauens wird die Teilnahme an den Verfahren deutlich erschwert, möglicherweise sogar verhindert“, sagt Torsten Döhring, Stellvertreter des vom Landtag eingesetzten Flüchtlingsbeauftragten Stefan Schmidt. Die weite Fahrt nach Itzehoe, das im Südwesten des Landes liegt, könnte abschreckend auf Beteiligte wirken. So dauert die Fahrt von Kiel rund eineinhalb Stunden, von Flensburg oder Lübeck braucht die Bahn gute zwei Stunden.

Hoffnung auf Einheitlichkeit

„Die Stellungnahme des Flüchtlingsbeauftragten ist hier bekannt und in die fachliche Bewertung eingeflossen“, sagt Ministeriumssprecher Oliver Breuer auf Anfrage. Dennoch bleibt Ministerin Kerstin von der Decken (CDU) bei ihrer Entscheidung, ab Juli die Fälle am Amtsgericht Itzehoe zu bündeln. Als Grund nennt ihr Sprecher das „erhebliche Maß an zu vermeidenden ungerechtfertigt angeordneten Inhaftnahmen durch die Amtsgerichte“.

Dass die Justiz so oft falsch liegt, sei unter anderem dadurch zu begründen, dass an den kleineren Standorten „gerade einmal rund ein bis sechs Verfahren pro Jahr anfallen, weshalb eine Spezialisierung innerhalb jedes Amtsgerichts nicht möglich ist“. Finden nun alle Abschiebeverfahren an einem Gericht statt, sei zu erwarten, dass die Rich­te­r*in­nen sich im Lauf der Zeit spezialisierten. Durch die „höhere Fachlichkeit“ könnten die Verfahrensmängel beseitigt werden, hofft das Ministerium. Zudem sei eine „einheitlichere Vorgehensweise der Rechtsprechung“ in Abschiebehaftverfahren zu erwarten.

Doch das Argument gilt umgekehrt genauso: Spezialisierte Rich­te­r*in­nen fällen besser begründete Urteile. „Dass es darum geht, Menschen eine Haft zu ersparen, ist unserer Ansicht nach eine Nebelkerze, die aus dem Ministerium geworfen wird“, sagt Martin Link vom Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein. Angesichts der vielen Fehlurteile „wollen sie einen besseren Schnitt, um fehlerhafte Haftbeschlüsse zu vermeiden, die dem Gericht hinterher um die Ohren fliegen“. Denn die „lebhafte Öffentlichkeitsarbeit“ zivilgesellschaftlicher Organisationen, die regelmäßig die hohe Zahl der Fehlurteile ans Licht zerren, „nervt Ministerium und Richterschaft offenbar“, vermutet Link.

Nähe zur Abschiebehaftanstalt

Dass die Wahl ausgerechnet auf Itzehoe fällt, liegt daran, dass die Kreisstadt in der Nähe von Glückstadt liegt – dort befindet sich in einer ehemaligen Bundeswehrkaserne die Abschiebehaftanstalt des Landes, die auch von Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern belegt wird. Durch die Nähe zu Glückstadt sei das Gericht in ­Itzehoe ohnehin für einige Verfahrensschritte, etwa Verlängerungen oder Aufhebungen der Haft, zuständig, so Ministeriums­sprecher Breuer.

Den Standort am „Rand von Gut und Böse“ habe die damalige Jamaika-Landesregierung sehr kalkuliert gewählt, glaubt Martin Link: „Wir sehen tatsächlich das Problem der erschwerten Zugänglichkeit für NGO-Berater*innen und Besucher*innen, für Angehörige allemal.“ Zwar gibt es in Glückstadt eine Gruppe, die Inhaftierte im Abschiebegefängnis unterstützt, sowie eine kleine Besuchergruppe im Kreis. Die sei aber mit regelmäßiger Besuchspräsenz bei Gericht „sehr herausgefordert“, sagt Link.

Das Ministerium sieht hingegen Vorteile auch für Angehörige und Unterstützer*innen: Wenn klar sei, dass die Abschiebefälle ausschließlich in Itzehoe verhandelt würden, brächte das schließlich auch eine „bessere Planbarkeit“ für die Betroffenen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.